Folter-Paar aus Höxter – Eine lange Liste von Grausamkeiten

Was in dem „Horror-Haus“ in Höxter geschah, wird immer klarer. Vor Gericht berichtet der Staatsanwalt von einer Grausamkeit nach der anderen. Dort geht es auch um die Frage der Schuldfähigkeit.

Oberstaatsanwalt Ralf Meyer beschreibt die Folterqualen und das Sterben der beiden Frauen. Im Eiltempo verliest er die Anklageschrift; reiht atemlos eine Grausamkeit an die nächste. Der Angeklagte Wilfried W. hört dem Stakkato des Anklägers zu, kaut intensiv auf seiner Unterlippe. Manchmal zuckt sein rechtes Auge hinter der Brille. Ansonsten blickt er unbeeindruckt zum Ankläger und in den voll besetzten Saal 205 des Landgerichts Paderborn.

Einige Plätze weiter links von ihm, getrennt durch zwei Polizisten, sitzt seine mitangeklagte Ex-Frau Angelika mit ausdruckslosem, blassem Gesicht und dunklen Knopfaugen. Zum ersten Mal seit seiner Verhaftung vor einem halben Jahr begegnet sich das Paar wieder, das im Ortsteil Bosseborn der nordrhein-westfälischen Stadt Höxter über Jahre hinweg Frauen sadistisch misshandelt und zwei von ihnen zu Tode gefoltert haben soll.

Der 46-jährige Wilfried W. trägt kurze Haare, Dreitagebart und hat einen ausgeprägten Bauchumfang. Als der massig wirkende Mann mit seinen 1,88 Metern einige Minuten zuvor den Gerichtssaal in Lederjacke betrat, ließ er sich minutenlang filmen und blickte dabei zeitweise beinahe herausfordernd in die Kameras. Die ein Jahr ältere Angelika W., wesentlich kleiner als er, untersetzt, Pagenschnitt, hielt sich eine rote Aktenmappe vors Gesicht. 

Nach Erkenntnis der Ermittler soll sie die meisten Taten begangen haben, weil sie ihm hörig gewesen sei. Sie sei Täter und Opfer zugleich, sagte einmal ihr Anwalt. Die Staatsanwaltschaft Paderborn hat das Paar wegen zweifachen Mordes und Körperverletzung in bis zu 30 Fällen angeklagt. Es konnten sechs weitere Frauen ausfindig gemacht werden, die die Treffen mit dem Paar überlebt haben.

Vorbestraft, weil er schon seine erste Frau quälte: Der Angeklagte Wilfried W. (2.v.l.) im Gerichtssaal in Paderborn. (Foto: dpa)

In der Anklageschrift ist das Grauen stark komprimiert

Die Frauen sollten „durch physische und psychische Gewalt gefügig gemacht werden“, damit sie wie „Leibeigene“ zur Verfügung standen, erklärt Oberstaatsanwalt Meyer vor dem Landgericht Paderborn. In der Anklageschrift ist das Grauen stark komprimiert, nüchtern vermerkt, doch es zog sich über Jahre hin.

Angelika W. hat während der Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Bielefeld eine lange Liste der Qualen aufgeschrieben und in Vernehmungen ausführlich die Exzesse beschrieben. Die Staatsanwaltschaft stützt sich in wesentlichen Teilen auf ihre Ausführungen, während Wilfried W. schweigt und vor dem Prozess über seinen Anwalt die Vorwürfe zurückweisen ließ.

Der Angeklagte hat eine brisante Vorgeschichte: Wilfried W. war bereits 1995 zu einer fast dreijährigen Haftstrafe verurteilt worden, weil er mit einer Geliebten seine erste Ehefrau gequält hatte. Vier Jahre später heiratete Wilfried W. dann Angelika, und der Sadismus ging nach ihren Ausführungen weiter. Sie schilderte den Ermittlern, dass sie selbst viele Attacken erleiden musste und dass das Paar ständig weitere Frauen als Opfer suchte.

Nach mehreren Umzügen mieteten sie 2010 einen bäuerlichen Hof im abgelegenen Bosseborn. Es ist ein winziger Ort mit gerade einmal 600 Einwohnern dennoch konnte das neu hinzugezogene Paar recht anonym bleiben. Sie sollen zwar im Nachbarort einen Kiosk betrieben, nach früheren Ausführungen der Staatsanwaltschaft aber das „Leben eines Hartz-IV-Empfängers“ geführt haben. Die Nachbarn bekamen in den nächsten Jahren nichts von dem Horror mit, der sich in ihrem Haus abspielte.

Täglich gequält, gewürgt, getreten, erniedrigt

Nach Erkenntnissen der Ermittler schaltete das Paar mehrere Hundert Partneranzeigen in Zeitungen, die nach Recherchen von „Spiegel TV“ unter anderem so lauteten: „Netter Er aus Paderborn, 41/1,88, romant., sucht symp. Sie, die zu ihm zieht, Alter egal.“ Er soll bei Dating-Internetportalen unter dem Namen „Wilfried70“ vorgegeben haben, eine feste Partnerin zu suchen, manchmal auch mit dem romantischen Statement „Zu zweit ist alles schöner“. Beim Alter der gesuchten Frauen stand einmal „egal“, ein anderes Mal „20 bis 50 Jahre“.

Auf diese Weise fand Christel P. im Jahr 2011 den Weg nach Bosseborn. Sie soll sich nach Darstellung des Staatsanwalts einige Tage auf dem Hof des Paars aufgehalten haben, misshandelt und gewürgt worden sein. Sie habe eine Erklärung unterschreiben müssen, dass keine Straftaten gegen sie begangen worden seien. Dann durfte sie nach Magdeburg zurückkehren und brach den Kontakt ab. Christel P. überlebte.

Zwei Jahre später kam Annika W. nach Bosseborn. Wilfried und Angelika waren seit 2013 geschieden und gaben sich als Geschwisterpaar aus. Die damals 33-jährige Annika W. heiratete Wilfried W. sogar damit soll für sie ein beispielloses Martyrium begonnen haben. Die Staatsanwaltschaft schildert in der Anklageschrift, wie die Frau täglich gequält, gewürgt, getreten und erniedrigt wurde. Ihre Peiniger fesselten sie demnach nackt und kahl geschoren an eine Heizung, damit sie nachts nicht auf Toilette ging und das Paar beim Schlafen störte.

Sie nässte sich an der Heizung ein, wurde dafür bestraft, musste den Urin von Wilfried W. trinken und wurde schließlich gefesselt in eine Badewanne gelegt. Sie wurde mit siedendem Wasser übergossen und verbrüht. Sie ertrank fast, als Angelika die Wanne mit kaltem Wasser volllaufen ließ.

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft war Annika W. spätestens im Mai 2014 so schwer verletzt, dass sie in Lebensgefahr schwebte. Als die Gefangene Wochen später einmal die Badewanne verlassen konnte, war sie so schwach, dass sie stürzte und schwer mit dem Kopf aufschlug. Sie schleppte sich zurück in die Badewanne.

Am nächsten Morgen soll Wilfried W. gesagt haben: „Ich glaube, sie nippelt uns ab.“ Kurz danach, im August 2014, soll sie tatsächlich gestorben sein. Diese Darstellung basiert auf Aussagen von Angelika W. Weitere Beweise existieren nicht, denn die Leiche soll, nachdem sie wochenlang in einer Tiefkühltruhe mit Lebensmitteln gelegen hatte, von Angelika W. mit einer Säge zerstückelt und im Ofen verbrannt worden sein.

Das Horror-Haus in Höxter-Bosseborn (Nordrhein-Westfalen). (Foto: dpa)

„Ich bin kein Monster“

Der Oberstaatsanwalt nennt noch ein weiteres Todesopfer. Die 41-jährige Susanne F. wurde Anfang dieses Jahres auf ähnlich schreckliche Weise gequält wie Annika W., und als sie nach den Misshandlungen lebensgefährliche Verletzungen aufwies, wollte das Paar Susanne F. wieder in ihre Wohnung im niedersächsischen Bad Gandersheim bringen.

Auf dem Weg dorthin hatte der Wagen eine Panne; Angelika W. rief den Rettungswagen. Am 21. April 2016, 22.50 Uhr ging ihr Notruf ein. Sieben Minuten später kam der Rettungswagen und brachte Susanne F. ins Krankenhaus, wo sie kurz darauf starb. Erst dadurch kamen die jahrelangen Folterexzesse des Paares ans Licht.

Nach einer drohenden lebenslangen Freiheitsstrafe könnte aus Sicht der Staatsanwaltschaft eine anschließende Sicherungsverwahrung von Wilfried W. in Betracht kommen. Doch dessen Anwalt Detlef Binder zieht am ersten Prozesstag das psychiatrische Gutachten zur Schuldfähigkeit in Zweifel.

Binder verweist auf „eklatante Widersprüche“ und „fachliche Unzulänglichkeiten“ des bisherigen Sachverständigen, der bei Wilfried W. eine „sadistische Persönlichkeitsstörung in Verbindung mit einer stark ausgeprägten psychopathischen Persönlichkeit“ diagnostiziert hat. Verteidiger Binder beklagte veraltete Diagnoseschemata und benennt einen erheblichen Widerspruch: Der Sachverständige sehe an einer Stelle auf Basis der Aktenlage „Anzeichen für einen sexuellen Sadismus“ und an anderer Stelle wiederum „keine Hinweise“. Deshalb beantragt der Anwalt, einen weiteren Sachverständigen hinzuzuziehen.

Nachdem die Anklageschrift verlesen war, kündigte der Vorsitzende Richter Bernd Emminghaus an, dass von nun an wöchentliche Verhandlungstermine bis Ende März angesetzt sind. Es wird ein aufwendiger Prozess mit fast 50 Zeugen werden. In der nächsten Sitzung will der Anwalt von Wilfried W. eine Erklärung im Namen seines Mandanten verlesen. Angelika W. werde sich zu einem späteren Zeitpunkt persönlich äußern, kündigte ihr Verteidiger vor Gericht an. Wilfried W. wirkt am ersten Prozesstag dagegen wie unbeteiligt. Nur einmal soll er zu seinem Anwalt gesagt haben: „Ich bin kein Monster.“

Möchten Sie diesen Artikel kommentieren? Dann nutzen Sie die Kommentarfunktion auf unserer neuen Seite

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*