Wladimir Putin und seine drastische Sicht der Weltlage – Der neue Kalte Krieg

Versöhnliche Töne? Von wegen. Drastisch wie selten erklärt Putin bei einer Versammlung seine Sicht der Weltlage. Sanktionen gegen Moskau? Lachhaft. Russland? Ein Global Player. Und die EU? Am Ende.

Es sei eigentlich nicht seine Art, aggressiv zu reden, sagte der russische Präsident Wladimir Putin. Doch Offenheit würde der Diskussion nur nutzen. Und dann trug er vor der Versammlung von Außenpolitikexperten die üblichen Vorwürfe an den Westen vor. „Das Projekt der Globalisierung ist in die Krise geraten“, so lautete Putins Diagnose.

Den Lauf der Ereignisse in den letzten 25 Jahren und die Politik des Westens hält Russland für ungerecht, macht der russische Präsident erneut deutlich. „Einige Länder haben angefangen, die Weltordnung zu ihren Interessen zu ändern“, sagt er. Die Prinzipien und Regeln seien geändert worden.

Bombardements von Belgrad, Irak, Libyen, der Nato-Raketenschild in Europa und angebliche Lieferungen von Waffen an Terrorgruppierungen durften nicht bei der Aufzählung von Sünden fehlen, die der Westen aus russischer Sicht begangen hat.

Russland will als Weltmacht gesehen werden

In den USA gebe es eine „Hysterie“ über den Einfluss Russlands auf die Präsidentenwahlen. „Denkt jemand ernsthaft, dass Russland die Wahl des amerikanischen Volkes beeinflussen kann? Die USA sind keine Bananenrepublik. Die USA sind eine Großmacht. Wenn ich mich irre, korrigieren Sie mich“, sagte Putin, und das klang wie Spott über die US-Wahlkampagne. Russland strebe keine Dominanz oder Konfrontation an. Was die Welt aber brauche, sei „gleiche und ungeteilte Sicherheit für alle Staaten“.

Seine Botschaft an diesem Donnerstag und in den letzten Monaten klingt deutlich: Lasst uns zusammen mit Russland neue Spielregeln der Weltordnung bestimmen.

Russland will als eine Weltmacht gesehen werden, als ein starkes Land und ein Global Player. Das ist die klare Botschaft, die Moskau in letzter Zeit verstärkt mit militärischen und diplomatischen Mitteln der Welt vermitteln will. Das ist auch der Eindruck, der beim jährlichen Gesprächsforum „Waldai“ entstehen soll, bei dem sich russische Regierungsvertreter und Experten mit ehemaligen Politikern und Russlandkennern aus aller Welt treffen.

Russland will bei neuen Regeln mitreden

Die Ost-West-Konfrontation schwingt im Hintergrund mit, ist aber offiziell gar nicht Thema. Stattdessen wird über globale Herausforderung geredet: Migration, Demokratie, die Krise der Europäischen Union. Denn aus russischer Sicht ist Russland nicht das größte Problem und Risiko für die Weltordnung. Sondern es muss darum gehen, zusammen mit Russland neue Regeln zu entwerfen.

„Ohne Russland ist der globale Krieg gegen den Terrorismus nicht zu gewinnen und der Frieden im Nahen Osten nicht zu erreichen“, erklärte der stellvertretende Außenminister Michail Bogdanow bei einer Diskussion über Syrien.

Doch schnell wird klar, dass Russland eine ganz andere Auffassung davon hat, wer als Terrorist gilt und wer nicht. Im Irak und in Afghanistan habe man schon gesehen, wie Radikale benutzt werden, um ungünstige Regime abzulösen, fuhr Bogdanow fort. Vielleicht habe jemand auch in Syrien ein ähnliches Szenario im Kopf – einen Plan B.

Russland will eine Revanche

Und die Vorwürfe wegen Kriegsverbrechen in Aleppo? Das kontern russische Teilnehmer gerne mit der Offensive auf Mossul. Russland hätte sich wegen Kollateralschäden bei der laufenden Operation auch besorgt zeigen können, werde das aber nicht tun, so Bogdanow.

Hinweise auf die Fehler der USA gehören eigentlich zu jeder Diskussion über die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen. Fragt man die russische Seite, wie es zu der jetzigen Krise gekommen ist, bekommt man eine lange Liste von missglückten Handlungen des Westens vorgelesen.

Das Narrativ in der russischen Wahrnehmung: Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde Russland schwach, und seine Interessen wurden nicht berücksichtigt. Die USA dagegen sahen sich als hegemoniale Weltmacht und versuchten anderen Ländern, ihre Spielregeln aufzudrängen. Jetzt will Russland eine Revanche.

Russland sieht neue Sanktionen als „lächerliche Drohung“

„Wichtigste Wendepunkte für Russland waren die Erweiterung der Nato und Bombardements von Jugoslawien“, sagt der Kreml-Berater Sergej Karaganow. „Unsere Partner haben die Regeln gebrochen. Und dann sagte Russland, wir spielen mal nach den Regeln von Dschungeln und schauen, wer in den Dschungeln stärker ist. Es stellte sich heraus, unsere Partner sind schwächer.“ Die Lage jetzt sei gefährlicher als im Kalten Krieg, da wenig vorhersagbar ist. „Doch allmählich werden wir uns an die neue Realität gewöhnen.“

Russland ist halt so, wie es ist – der Westen kann sich damit abfinden oder nicht, das ist die Botschaft in diesem Jahr. Neue Sanktionen seien eine „lächerliche Drohung“, sagt Karaganow. „Wir wissen, dass die EU auseinanderfällt. Sanktionen sind weiterhin in Kraft, lediglich um zu zeigen, dass die EU noch zusammenhält.“

Weniger militant, aber vom Sinn her ähnlich, fiel die Botschaft des stellvertretenden Premierministers Igor Schuwalow aus: Neue Sanktionen werden nichts bringen, und die bereits verhängten Einschränkungen habe Russland erfolgreich überstanden. Der Wirtschaftsliberale Alexej Kudrin äußerte vorsichtige Hoffnung darauf, dass man im kommenden Jahr mit der Aufhebung von Sanktionen beginnen könnte.

Autoritäres System wird als Stärke gesehen

Dabei wollen die russischen Vertreter die offensichtlichen Schwächen der russischen Wirtschaft übersehen. Stattdessen wird sogar ein autoritäres politisches System als eine Stärke gesehen.

„Sie wollen Russland als ein Land darstellen, das sein politisches System konsolidierte und sich in Zukunft auch harte wirtschaftliche Reformen leisten könnte“, sagt die Russlandexpertin Angela Stent, Professorin an der Georgetown University. In den Diskussionen über Demokratie und dem Gespräch mit Wjatscheslaw Wolodin, dem neuen Parlamentssprecher, der aus dem Kreml in die Duma wechselte, habe man gerne darauf hingewiesen, dass die Regierungspartei Geeintes Russland nun eine Verfassungsmehrheit im Parlament hat und der Präsident weiterhin populär ist.

Die Brücken scheinen momentan nicht überwindbar zu sein. Eine Lösung der Krise zwischen Russland und dem Westen erwartet in absehbarer Zeit niemand. Als in den vergangenen Jahren in den Medien immer wieder das Stichwort Kalter Krieg auftauchte, hatte sich der russische Außenpolitikexperte Fjodor Lukjanow immer geärgert und erklärt, warum sich Russland und der Westen eben nicht im Kalten Krieg befänden. Doch jetzt muss er das Gegenteil feststellen.

„Festzuhalten, dass wir im Kalten Krieg sind“

„Nachdem der Versuch, eine Lösung in Syrien zu finden, scheiterte, sind wir in einen Zustand des Kalten Krieges geraten.“ Natürlich gebe es auch klare Unterschiede zu der Zeit, als sich die USA und die Sowjetunion im globalen Wettlauf einander gegenüberstanden. Es gebe keine ideologische Konfrontation. Doch der wichtigste Punkt: „Kalter Krieg ist, wenn sich zwei Großmächte kein Ziel setzen, gemeinsam etwas zu lösen.“ Ab dann werde nur Risikomanagement betrieben, damit keine gefährlichen Grenzen überschritten werden.

„Wir sind jetzt in einer Übergangsperiode“, sagt Lukjanow. „Auch wenn es furchtbar klingt, es ist wohl besser, festzuhalten, dass wir im Kalten Krieg sind. Das ist verständlicher.“

Wenn russische Militärs erklären, sie würden alle Flugzeuge abschießen, die die syrische Armee angreifen, klingt das in einer normalen Situation wie eine schreckliche Drohung. Doch in einer Lage, in der eine militärische Konfrontation real sei, sei das eine Warnung, die dazu diene, einen Zusammenstoß zu verhindern. „In einem Kalten Krieg ist es kritisch, einander rote Linien aufzuzeigen.“

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