Barack Obamas Schlussoffensive auf Raqqa startet vermutlich schon bald

© Reuters So wie es für Mossul (Archivfoto) geplant ist, soll auch Raqqa bald nicht mehr in der Hand des „Islamischen Staates“ sein.

Hillary Clinton hat schon als Präsidentschaftskandidatin zeitliche Vorgaben gemacht für die Offensive gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) in Mossul. Wenn der künftige Präsident Ende Januar ins Weiße Haus einziehe, werde die nordirakische Stadt nicht mehr in den Händen des IS sein, hatte die Demokratin schon vor Wochen gesagt. Nun spricht einiges dafür, dass der künftige Oberkommandierende der amerikanischen Streitkräfte – und damit der internationalen Anti-IS-Koalition – auch eine neue Lage im syrischen Raqqa, der „Hauptstadt“ der Terrororganisation, vorfinden wird.

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Verteidigungsminister Ashton Carter hat angekündigt, dass die Offensive gegen Raqqa binnen Wochen beginnen werde. Der Grund für die Entscheidung, die von einigen regionalen Partnern anfänglich nicht gerade bejubelt wurde, ist die Notwendigkeit, Planungen einer asymmetrischen Gegenoffensive des IS im Keim zu ersticken. Dem Pentagon sollen nämlich Hinweise vorliegen, der IS werde auf die Offensive in Mossul mit Terroranschlägen im Westen reagieren. Da diese im logistischen Herzen der Terrororganisation geplant werden, soll Raqqa nun früher als ursprünglich erwogen ins Visier genommen werden. Aus der Devise „Erst Mossul, dann Raqqa“ wird somit „Mossul jetzt, schon bald auch Raqqa“.

Obamas Vermächtnis

Für den scheidenden Präsidenten Barack Obama geht es um sein außenpolitisches Vermächtnis. Die Militäroperationen sind ein letzter Test für seine Strategie, die amerikanischen Anti-Terror-Kriege zu beenden, indem die Partner in den Konfliktregionen ertüchtigt werden, den Kampf allein zu Ende zu führen. „Leading from behind“ nannte er das mit Bezug auf die Intervention in Libyen – auch wenn dieser Einsatz nicht als Muster taugt. Heute bedauert Obama selbst, in Nordafrika nicht am Ball geblieben zu sein. Wenn sich sein Versprechen, die Soldaten nach Hause zu bringen, schon nicht in Gänze erfüllen ließ, dann will er doch zumindest im Januar mit militärischen Erfolgen gegen den IS aus dem Amt scheiden.

Mehrfach musste Obama seine Strategie an die Realität anpassen: In Afghanistan wurde die Reduzierung des Kontingents amerikanischer Streitkräfte aufgrund des Wiedererstarkens der Taliban deutlich verlangsamt. Im Irak musste der Präsident nach dem Komplettabzug der Streitkräfte infolge des gescheiterten Truppenstatuts nach und nach wieder Soldaten in das Land zurückschicken.

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Die Schlussoffensive sind ein letzter Test für Obamas Strategie „Leading from behind“.

Obama © AP Vergrößern Die Schlussoffensive sind ein letzter Test für Obamas Strategie „Leading from behind“.

Inzwischen sind es immerhin 5000, wovon die Hälfte auf die eine oder andere Art an der Mossul-Offensive beteiligt ist. 200 bis 300 Spezialkräfte werden unmittelbar hinter den insgesamt 30.000 kurdischen und arabischen Soldaten an der Frontlinie über Funk „beratend“ tätig sein. Andere kommen bei den Operationen aus der Luft zum Einsatz oder in der Nachrichtenauswertung des militärischen beziehungsweise des Auslandsgeheimdienstes. In Syrien sind inzwischen nach Angaben des Pentagons „mehr als 300 Spezialkräfte“ im Einsatz. In der Raqqa-Operation sollen sie dabei helfen, syrisch-arabische Kämpfer zu rekrutieren, auszubilden und auszurüsten.

Dass die Einheiten der kurdischen Miliz YPG zwar an dem Einsatz in der Umgebung Raqqas, nicht aber an der eigentlichen Offensive auf die ostsyrische Stadt beteiligt werden sollen, hat unterschiedliche Gründe: Da ist die Türkei, welche die YPG als syrische Schwester der verbotenen PKK bekämpft. Da ist aber auch das Widerstreben in der YPG selbst, für die arabisch-sunnitische Stadt eigenes Blut zu vergießen.

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Ankara, das seinerseits zunächst nicht angetan war von der Idee, schon zum jetzigen Zeitpunkt dem IS auch Raqqa zu nehmen, hat nun – nach Gesprächen der Verteidigungsminister und einem längeren Telefonat Obamas mit Präsident Recep Tayyip Erdogan – beschlossen, sich an der Offensive zu beteiligen, wohl auch, um sicherzustellen, dass die Einnahme der Stadt im türkischen Sinne verläuft. Im Irak gibt es ebenfalls derlei Widersprüche in der Anti-IS-Koalition.

Die amerikanische Ertüchtigungsstrategie leidet insgesamt an den Animositäten zwischen den regionalen Partnern Washingtons. Das gilt auch für das Misstrauen zwischen Sunniten und Schiiten im Irak. So ist vieles Stückwerk – auch wenn die Offensiven im Irak und in Syrien zum Erfolg führen sollten und der IS bis zum Ausscheiden Obamas aus dem Weißen Haus geschlagen sein sollte.

Obama und die Folgen

Ben Rhodes, der stellvertretende nationale Sicherheitsberater, hatte vor einigen Monaten, als Obama die Zahl der „Berater“ in Syrien von 50 auf 300 erhöhte, versucht deutlich zu machen, dass die Strategieanpassungen eine Leistung seines Präsidenten nicht in Frage stellen werde: Obama habe die Außenpolitik der Vereinigten Staaten grundlegend verändert. Zu Beginn seiner Amtszeit seien 180.000 amerikanische Soldaten in Afghanistan und im Irak stationiert gewesen. Heute seien es 10.000 am Hindukusch und gut 5300 an Euphrat und Tigris, also hauptsächlich im Irak und neuerdings auch in Syrien.

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Das Urteil über Obamas Ertüchtigungsstrategie wird aber nicht allein bestimmt durch den Umstand, dass er seine Soldaten nach Hause geholt haben und der IS bis zur Amtsübergabe womöglich aus Mossul und Raqqa vertrieben sein wird. Auch die Frage, was die Bevölkerungsgruppen in Syrien und im Irak sowie die Nachbarstaaten mit ihren sehr eigenen Interessen nach einer Niederlage des IS aus der neuen Lage machen, wird in die abschließende Bewertung der Obama-Jahre mit einfließen.

Schließlich bleibt der Kardinalfehler, Russland gleichsam die Tür zum Nahen Osten geöffnet zu haben: Moskaus Präsenz in Syrien, die ein Ende der Tragödie von Aleppo weiterhin verhindert, ist jener Teil von Obamas Vermächtnis, der seiner früheren Außenministerin womöglich bald die größten Kopfschmerzen bereiten dürfte.

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