Türkische Polizei nimmt Chefs der pro-kurdischen Partei HDP fest

© dpa Festgenommen: Die beiden Parteivorsitzenden der HDP Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag, hier im April 2015 auf einer Veranstaltung in Istanbul.

In einer Serie nächtlicher Razzien hat die türkische Polizei führende Politiker der prokurdischen Oppositionspartei HDP festgenommen. Unter den Festgenommenen seien die beiden Parteivorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag sowie mehrere Parlamentsabgeordnete der HDP, berichteten die Agentur Anadolu und weitere Medien in der Nacht zu Freitag. Die Zugriffe seien im Rahmen von Anti-Terror-Ermittlungen erfolgt.

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Mit den Festnahmen weiteten die türkischen Behörden ihr Vorgehen gegen Kritiker von Präsident Recep Tayyip Erdogan dramatisch aus. Den Medienberichten zufolge gab es kurz nach Mitternacht (Ortszeit) zeitlich abgestimmte Polizeirazzien mit Festnahmen von HDP-Politikern in mehreren türkischen Städten. Die Parteizentrale in Ankara werde durchsucht. Die HDP ist mit 59 Sitzen die drittgrößte Partei im Parlament und die größte politische Vertretung der Kurden.

Parteichef Demirtas wurde den Angaben zufolge aus seinem Haus in Diyarbakir im Südosten der Türkei abgeführt. Kurz vor seiner Festnahme hatte er eine Erklärung über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreitet: „Vor der Tür meines Hauses in Diyarbakir stehen Polizisten mit der Anweisung zur Vollstreckung eines Haftbefehls.“ Schon in der vergangenen Woche hatte ein türkisches Gericht die zweite Parteichefin Yüksekdag mit einem Ausreiseverbot belegt. Sie wurde nun den Berichten zufolge in Ankara festgenommen. Für beide Parteichefs war es die erste Festnahme.

Der Sender NTV berichtete unter Berufung auf das Innenministerium, neben den beiden Parteichefs seien neun andere HDP-Abgeordnete festgenommen worden. Unter ihnen seien Fraktionschef Idris Baluken und der prominente Parlamentarier Sirri Sürreya Önder.

Umfassendes Vorgehen gegen Kritiker

Die Festnahmen wurden nur möglich, weil das türkische Parlament die Immunität von Parlamentariern gegen Strafverfolgung aufgehoben hatte. Dies war eine der international als repressiv kritisierten Maßnahmen, mit denen die Führung um Erdogan auf den gescheiterten Militärputsch im Juli reagierte. Zuletzt waren die Behörden auch massiv gegen kritische Medien vorgegangen, etwa gegen die Zeitung „Cumhuriyet“.

Gegen Demirtas, Yüksekdag und andere HDP-Politiker liefen bereits seit längerem mehrere Ermittlungsverfahren, in denen es um „Terrorpropaganda“ und „Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation“ geht. Die türkische Regierung wirft der linksliberalen HDP vor, der politische Arm der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu sein, was die Partei zurückweist. Welche exakten Verdachtsmomente nun zum Zugriff der Polizei in der Nacht zu Freitag geführt hatten, wurde zunächst nicht mitgeteilt. Im September hatte die Türkei in Kurdenprovinzen 28 gewählte Bürgermeister wegen des Vorwurfs der Terrorunterstützung gegen neue Verwalter ausgetauscht.

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Unterdessen hat der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, mehr Unterstützung für die Opposition in der Türkei gefordert. Sofuoglu hält es allerdings für falsch, als Reaktion auf die fortdauernden Menschenrechtsverletzungen in der Türkei mit dem Ende der EU-Beitrittsverhandlungen zu drohen. „Die Drohung, die Beitrittsverhandlungen zu beenden, ist für (Recep Tayyip) Erdogan keine Sanktion“, sagte er der Zeitung „Frankfurter Rundschau“ (Freitag/Online-Ausgabe). „Denn er ist sowieso kein Freund der Europäischen Union. Außerdem werden die Verhandlungen gerade ohnehin nicht fortgeführt. Mit dieser Forderung hilft man daher weder der Opposition in der Türkei, noch ist sie glaubwürdig.“

Sofuoglu fügte hinzu: „Stattdessen muss man die Forderung nach Einhaltung der Menschenrechte in bilateralen Gesprächen mit der Türkei lauter erheben. Noch wichtiger sind Solidaritätsbekundungen mit den Oppositionellen. Sie fehlen leider.“ Vor allem müsse man Erdogan „direkt kritisieren“, nicht das ganze Land, mahnte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde. „Ja, man muss die Türkei vor Erdogan schützen.“

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