Deutschland: Debatte über Umgang mit Gefährdern

„Dort, wo Bedarf für politische oder gesetzliche Veränderungen gesehen wird, werden wir notwendige Maßnahmen innerhalb der Bundesregierung zügig verabreden und umsetzen“, versprach die deutsche Kanzlerin Angela Merkel am Freitag. Nach dem Anschlag in Berlin ist die Sicherheitsdebatte in Deutschland neu entbrannt.

Dass der mutmaßliche Attentäter Anis Amri behördlich bekannt und sogar als Gefährder eingestuft war – aufgrund fehlender Papiere aber nicht in sein Heimatland Tunesien abgeschoben werden konnte -, stößt vielen Politikern sauer auf. Wie genau die von Kanzlerin Merkel angekündigten „gesetzlichen Veränderungen“ aussehen sollen, darüber herrscht aktuell jedoch noch kaum Einigkeit.


Polizei sucht fieberhaft nach Amri
Konnte aufgrund fehlender Papiere nicht abgeschoben werden: Anis Amri Die CDU setzt vor allem auf schnellere Abschiebungen. „Gefährder, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die vollziehbar ausreisepflichtig sind, müssen unverzüglich abgeschoben werden“, sagte der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Armin Laschet der Bild-Zeitung. „Die Menschen verstehen nicht, wenn gewaltbereite Radikale ohne Aufenthaltsstatus sich frei in unserem Land bewegen können“.

Abschiebehaft und elektronische Fußfesseln

Der CSU scheint das jedoch nicht weit genug zu gehen. Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung, die aus einer Beschlussvorlage mit dem Titel „Sicherheit für unsere Freiheit“ für die Klausurtagung der CSU-Landesgruppe Anfang Jänner zitiert, soll der Verfassungsschutz künftig bereits bei 14-Jährigen tätig werden dürfen. Für Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren solle in der Regel nicht mehr das Jugend-, sondern das Erwachsenenstrafrecht gelten. Der „Ausreisegewahrsam“, also die Abschiebehaft, soll von derzeit vier Tagen auf vier Wochen verlängert werden.

Zudem sollen verurteilte Extremisten umfassender durch elektronische Fußfesseln überwacht werden. Wer sich für den Dschihad ausbilden lässt oder im Ausland für eine Terrororganisation kämpft, soll laut Süddeutscher Zeitung die deutsche Staatsbürgerschaft verlieren, falls möglich. Die SPD müsse hier ihren Widerstand „endlich aufgeben“, heißt es aus der CSU.

Scharfe Kritik an SPD, Grünen und Linken übt die CSU auch bei der Videoüberwachung. Es dürfe nicht sein, dass Ermittler „auf zufällig gefilmte Privatvideos“ angewiesen seien. Die Ankündigung der neuen rot-rot-grünen Landesregierung in Berlin, nicht stärker auf öffentlichen Plätzen Videotechnik einzusetzen, nennt die CSU laut Süddeutscher Zeitung „verantwortungslos“.

„Kein Gesetzes-, sondern ein Vollzugsdefizit“

Der Grünen-Fraktionschef im Bundestag, Anton Hofreiter, sieht dagegen keinen Bedarf für eine Rechtsänderung. Schneller abgeschoben und länger in Abschiebehaft genommen werden können heute schon Ausländer – „zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit“ oder „einer terroristischen Gefahr“. Und auch strenge Meldeauflagen zur „Überwachung ausgewiesener Ausländer aus Gründen der inneren Sicherheit“ bis hin zur U-Haft gibt es längst.


Faction co-leader of the Greens Hofreiter speaks a
Foto: REUTERS/FABRIZIO BENSCH

„Nach allem, was man bislang erkennen kann, haben wir im vorliegenden Fall kein Gesetzesdefizit, sondern ein Vollzugsdefizit“, sagte Hofreiter der Saarbrücker Zeitung. Eine umfassende und wirksame Überwachung Amris sei auch auf der heutigen gesetzlichen Grundlage möglich gewesen – wenngleich es sich als schwierig gestalten dürfte, alle Gefährder in Deutschland lückenlos zu überwachen.

Unter einem Gefährder verstehen die Sicherheitsbehörden einen gewaltbereiten Islamisten. Derzeit trauen Polizei und Geheimdienste 549 Personen aus der Islamisten-Szene in Deutschland einen Terrorakt zu (Stand 21. Dezember 2016). Um einen gefährlichen Islamisten rund um die Uhr zu observieren, sind mehrere Teams nötig. Experten nennen etwa 40 Beamte pro Islamist. Das würde also bedeuten, dass rund 22.000 Beamte allein zur Observierung dieser Gefährder abgestellt werden müssten.

Neue Fragen, alte Rezepte

Indes wiederholte CSU-Chef Horst Seehofer einmal mehr seine altbekannte Forderung nach einer Flüchtlingsobergrenze von 200.000 Zuwanderern im Jahr. Seit mehr als einem Jahr liegt er deswegen mit Kanzlerin Merkel über Kreuz. Am Sonntag traute sich Seehofer gegenüber der Welt aber sogar eine Garantie abgeben. „Die Obergrenze kommt, für den Fall, dass wir regieren. Das gebe ich hier zu Protokoll.“


Bavarian State Governor and Chairman of German Chr…
Foto: AP/Matthias Schrader

Für den innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka, müsse man schon bei der Einreise genauer darauf achten, wer nach Deutschland komme. „Migranten, bei denen Zweifel an der Identität bestehen, sollten bis zur Klärung in speziellen Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben“. Eine Forderung, die bisher unter dem Schlagwort „Transitzentren“ nur von der Union gekommen war – die SPD hatte sich bisher stets dagegen ausgesprochen. Die CSU will allerdings die kompletten Asylverfahren dort durchführen. Dennoch: Das klare Nein der Sozialdemokraten scheint zu bröckeln.

Die Opposition bleibt jedoch bei ihrer Ablehnung von Transitzentren. Für den Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz ist die Idee schlicht unpraktikabel. „Man müsste aufgrund der hohen Zuwanderungszahlen Hunderttausende Menschen – Männer, Frauen und Kinder – dort einsperren. Die Verfahren würden Monate bis Jahre dauern“, sagte Notz in der Welt am Sonntag. „So etwas verhindert Integration und ist auch menschenrechtlich völlig inakzeptabel.“

Die Debatte über islamistische Gefährder – und in diesem Zuge über die Flüchtlingspolitik generell – wird Deutschland also noch länger beschäftigen. Im September 2017 wird gewählt. Zumindest die Frage, was das Wahlkampfthema Nummer eins sein wird, dürfte bis dahin unstrittig bleiben.

Link: Bericht der Süddeutschen Zeitung

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*