Abe in Pearl Harbor – Der Moment, als der alte Feind um Fassung ringt

Japans Premierminister Abe hat es vermieden, sich für den Angriff seines Landes auf Pearl Harbor vor 75 Jahren zu entschuldigen. Aber im Gespräch mit Überlebenden überkamen ihn die Emotionen.

Als die japanischen Flugzeuge kurz vor acht Uhr morgens am 7. Dezember 1941 Pearl Harbor angreifen, nehmen zehn Torpedobomber gleich das amerikanische Schlachtschiff USS Arizona unter Beschuss. Die letzte Bombe dieser ersten Welle war ein Volltreffer, sie ging im Munitionsdepot des Schiffes hoch und löste eine katastrophale Kettenreaktion von Explosionen aus. Fast die Hälfte der 2403 amerikanischen Soldaten, die in den anderthalb Stunden andauernden Angriffswellen umkamen, starben an Bord der USS Arizona.

Entsprechend berührt war Japans Premierminister Shinzo Abe, als er nun am Dienstag an jener Perlenbucht sprach, im Hintergrund das weiße Mahnmal, das an die Arizona und die Toten des Angriffs erinnert. Abe rief die jungen Soldaten in Erinnerung, die damals auf der Arizona Dienst taten, ihre Träume und Lebenspläne, ihre Mütter und Väter, Freundinnen und Ehefrauen. „All dem wurde ein Ende gesetzt“, sagte Abe und für einen Moment schien es, als müsste er nach Fassung ringen. „Wenn ich über diese ernste Realität nachdenke, dann macht es mich gänzlich sprachlos.“

Abe ist nicht der erste japanische Nachkriegspremier, der Pearl Harbor einen Besuch abstattet. Aber er ist der erste, der dort eine öffentliche Rede bei einer feierlichen Trauerzeremonie hält. Und angesichts der Schwierigkeiten, die das offizielle Japan immer noch hat, gegenüber den ehemaligen Feinden seine Kriegsschuld einzugestehen und symbolische Gesten der Reue zu zeigen, ist dieser Besuch eine außergewöhnliche historische Zäsur.

Keine Entschuldigung – aber fast

Gerade auch weil Abe als Konservativer gilt in seiner Partei, in der es durchaus stramme Nationalisten gibt mit revanchistischen und geschichtsklitternden Ansichten über den Zweiten Weltkrieg. Proteste der Nationalisten in Japan hatten im Jahr 1994 noch einen geplanten Besuch des Kaisers in Pearl Harbor verhindert.

Abes Besuch in Pearl Harbor ist sozusagen das Gegenstück zu Barack Obamas symbolischer Visite in Hiroshima im Mai diesen Jahres. Japanexperten sagen, dass Obamas Aussöhnungsgeste Abe den Rücken freigehalten habe, um nun eine vergleichbare japanische Geste zu ermöglichen.

Wie Obama in Hiroshima vermied es zwar auch Abe, sich explizit für den japanischen Angriff zu entschuldigen. Aber unterhalb dieser Schwelle ging Abe so weit, wie er konnte. „Ich biete meine aufrichtiges und immerwährendes Beileid den Seelen derjenigen, die hier ihr Leben verloren haben, genauso wie all den Seelen derjenigen mutigen Frauen und Männer, deren Leben genommen wurde durch einen Krieg, der an genau diesem Ort begann, und auch den Seelen der unzähligen unschuldigen Menschen, die zum Opfer dieses Krieges wurden“, sagte der Premier.

Zuvor hatten er und Präsident Obama am Mahnmal der USS Arizona mit weißen Lilien geschmückte Kränze abgelegt und violette hawaiianische Orchideen ins Meer gestreut.

Beistand für den alten Feind

Abe bekräftigte den feierlichen Schwur, den sein Land abgelegt habe, die Schrecken des Krieges niemals zu wiederholen und äußerte Stolz über die demokratische und freiheitliche Entwicklung, die Japan in den 70 Jahren seit Kriegsende genommen hat. Und er erinnerte an die Großherzigkeit, mit der Amerika dem besiegten Japan die Hand ausgestreckt und es wieder aufgerichtet hat und ihm den Weg zurück in die internationale Gemeinschaft bahnte.

„Der gute Wille und der Beistand, den ihr uns Japanern entgegengebracht habt, dem Feind, den ihr so verbissen bekämpft habt, zusammen mit dem enormen Geist der Toleranz sind tief in die Herzen und Köpfe unserer Großväter und unserer Mütter eingegraben worden“, sagte Abe. „Und auch wir erinnern uns daran. Unsere Kinder und Enkelkinder werden diese Erinnerungen ebenfalls weitergeben und niemals vergessen, was ihr für uns getan habt.“

Obama erinnerte seinerseits an die Schrecken jenes Überraschungsangriffes auf Pearl Harbor, mit dem der Weltkrieg sich auch auf den pazifischen Raum ausdehnte, und an die Heldentaten der gänzlich unvorbereiteten amerikanischen Soldaten. Obama sagte, die Annäherung beider Nationen nach dem Krieg sei eine Erinnerung daran, was alles möglich sei zwischen Nationen und Völkern.

Gesten vor acht Jahren undenkbar

Und dann äußerte er eine Mahnung, die so klang, als könnte sie auch an sein eigenes, von den tiefen Wunden des Wahlkampfes gezeichneten Landes gerichtet sein. „Selbst dann, wenn der Hass am tiefsten brennt und der Sog des Tribalismus am urtümlichsten ist, müssen wir dem Drang widerstehen, uns auf uns selbst zurückzuziehen. Wir müssen dem Drang widerstehen, die zu dämonisieren, die anders sind. Die Opfer, die hier erbracht wurden, die Angst des Krieges, erinnern uns daran, den göttlichen Funken zu suchen, der der ganzen Menschheit eigen ist“, sagte Obama.

Beide Staatsmänner sprachen nach der Zeremonie noch mit US-Veteranen, die den Angriff überlebt haben. Besonders auffällig war dabei, wie viel Zeit sich Abe nahm, die Geschichten der sitzenden Veteranen anzuhören, während er sich tief zu ihnen hinunterbeugte, um den Ex-Soldaten auf Augenhöhe begegnen zu können. Einen der Veteranen umarmte der Ministerpräsident nach dem Gespräch.

Sowohl der Besuch Obamas in Hiroshima als auch Abes Visite nun in Pearl Harbor sind ein Beleg dafür, wie eng die Beziehungen beider Seiten geworden sind. Das Weiße Haus jedenfalls ist überzeugt, dass solche Gesten vor acht Jahren, als Obama antrat, noch undenkbar gewesen wären.

Furcht vor Chinas Machtanspruch

Obama hat seitdem viel in die Beziehung zu Japan investiert, getreu seiner Überzeugung, dass Asien das nächste große Konfliktfeld ist, dem sich Amerika gegenübersehen wird. Und auch Abe war vor vier Jahren mit der Absicht angetreten, die Beziehungen zu Amerika zu vertiefen und zu intensivieren, es war der Kern seiner Außen- und Sicherheitspolitik. Der Aufstieg Chinas und dessen immer aggressiveres Ausgreifen in der asiatischen Nachbarschaft flößt den Japanern Furcht ein und hat beide Seiten in eine noch engere Partnerschaft getrieben.

Nun jedoch geht in Tokio die Angst um, dass all das Erreichte von Donald Trump wieder zunichte gemacht werden könnte. Der hatte im Wahlkampf Japan wiederholt in Handelsfragen attackiert und gefordert, das Land müsse mehr für seine eigene Verteidigung tun. Abe hat Trump deshalb nach der Wahl gleich in New York besucht, wo der kommende Präsident ihm versicherte, die Allianz bleibe bestehen.

Doch die Unberechenbarkeit von Trump, der den Japanern im Wahlkampf sogar empfohlen hatte, sich die Bombe zu besorgen, macht Tokio nervös. Zumal klar ist, dass das unter Obama ausgehandelte pazifische Freihandelsabkommen (TPP), mit dem das amerikanische Bündnissystem in Asien gestärkt werden sollte, keine Chance unter Trump haben wird.

Obama und Abe haben in diesem Jahr die Partnerschaft beider Länder, die aus den Trümmern des Krieges hervorgegangen ist, auf ein neues Niveau gehoben. Doch trotz der bemerkenswerten historischen Gesten stehen nun wieder große Fragezeichen über diesem für den Westen so wichtigen Bündnis.

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