Auf den Spuren des Phänomens Mikaela Shiffrin

Ganz eindeutig konnte man ihr Kopfschütteln im Zielraum nach dem ersten Slalomdurchgang am Semmering nicht deuten. War es der Ärger über einen ungewohnt fehlerhaften Lauf oder die Verwunderung, dass sie trotzdem schneller war als die Konkurrenz? Es war wohl beides. Der Ärger einer Perfektionistin, die nicht nur die Skiwelt staunen lässt, sondern beim Blick auf die Anzeigentafel auch sich selbst.

Am Ende waren es diesmal 0,64 Sekunden, die sie zwischen sich und den Rest gesetzt hast. 0,64 Sekunden Vorsprung – wäre der interessierte Beobachter geneigt zu sagen – ist für eine Shiffrin nicht viel. „Es ist fast schon pervers, dass gestaunt wird, wenn Mikaela nicht mindestens eine Sekunde vorn ist“, sagt ihr Manager Kilian Albrecht. Gestaunt haben 13.500 Zuschauer am Zauberberg aber vor allem über den Schlussteil von Shiffrin, wo sie nach 33 Hundertstel Rückstand bei der letzten Zwischenzeit der vor ihr ebenfalls entfesselt fahrenden Slowakin Veronika Velez Zuzulová um eine Sekunde davonfuhr.

„Ich bin nur ein 21-jähriges Mädchen“

„Das war sicher kein perfektes Rennen von mir, aber ein verrückter Sieg am Ende eines unglaublichen Jahres“, sagte Shiffrin, die seit 13 Slaloms (inklusive WM), bei denen sie am Start war, ungeschlagen ist. Und drei Rennen in drei Tagen an einem Ort zu gewinnen war zuvor nur Annemarie Moser-Pröll, Vreni Schneider und Lindsey Vonn gelungen. Alles Allzeitgrößen, mit denen sie Vergleiche scheut. „Ich bin nur ein 21-jähriges Mädchen! Ihr solltet alle aufhören, mir diese Sachen zu erzählen“, blockte sie ab. Doch was soll sie auch Weltbewegendes sagen, wenn Siege längst zur Routine geworden sind?

26 Siege (gleich viele wie Tina Maze) im Alter von 21 Jahren – auch da liegt nur die Salzburger Skilegende Moser-Pröll (38) vor ihr. Aber was macht das Phänomen Shiffrin eigentlich aus? „Ganz kurz zusammengefasst: Riesiges Talent gepaart mit extrem harter Arbeit“, sagt Albrecht. Der Vorarlberger, Olympia-Vierter 2002, hat die US-Amerikanerin seit ihrem 15. Lebensjahr unter seinen Fittichen und erinnert sich an die erste Begegnung: „Ich habe sie trainieren gesehen. Mir sind die Augen rausgefallen, welche Schwünge sie mit 14 gefahren ist.“

Ihr Potenzial sei unübersehbar gewesen. Aber Talente gibt es viele. Bei Shiffrin habe alles zusammengepasst. „Sie hatte in der Jugend den besten Trainer, eine skiverrückte Mutter, die ihrer Tochter alles ermöglichte und war auch kaum verletzt.“ Die Arbeit mit Shiffrin beschreibt Albrecht seit jeher als „total unkompliziert. Sie ist extrem professionell und hat in sieben Jahren nicht einmal gemeckert.“ Das habe sich auch mit zunehmendem Erfolg nicht geändert, Starallüren seien ihr fremd. So wird sie auch von der Öffentlichkeit wahrgenommen, was die Arbeit des Managers leicht macht.

Gesamtweltcup ist noch kein Thema

Olympiasiegerin, zweifache Weltmeisterin und im Slalom auf den Spuren von Rekordsiegerin Marlie Schild (35). Was fehlt, ist die große Kristallkugel. Da hat sie spätestens mit dem Semmering-Triple Lara Gut den Kampf angesagt. Allerdings nur sportlich, denn trotz nun 215 Punkten Vorsprung sieht sie die Schweizerin als Favoritin. „Der Gesamtweltcup ist für mich noch kein Thema. Lara ist zu stark“, sagt Shiffrin. Ein Understatement, auch das hat sie mit 21 schon gelernt.

„Das Gerede vom Gesamtweltcup ist um diese Zeit sinnlos. Vergangene Saison haben alle vom Duell mit Lindsey gesprochen. Und was war? Beide haben sich verletzt. Für den Gesamtweltcup braucht man 1300 bis 1700 Punkte. Das ist noch ein weiter Weg“, sagt Albrecht. Shiffrin hält bei fast 800 Punkten und mit Zagreb am Dienstag und Marburg am folgenden Wochenende warten drei weitere Technikrennen.

Hirscher, Veith. . . und dann?

Da wollen die Österreicherinnen den leichten Aufwärtstrend fortsetzen, müssen aber freilich kleinere Brötchen backen. Im Gesamtweltcup ist Michaela Kirchgasser als Beste 16. Warum keine Österreicherin konstant um Podestplätze fährt, kann sich Albrecht, der außer Shiffrin auch die vierfache Saisonsiegerin Ilka Stuhec betreut, nur so erklären: „Wenn man sich ansieht, wer in den vergangenen 15 Jahren um den Gesamtweltcup gefahren ist, dann waren das mit Pärson, Kostelic, Vonn, Riesch, Maze immer Athletinnen, die ein Privatteam um sich hatten. Und in Österreich musst du wie Veith schon vorher so außergewöhnlich gut sein, dass du so ein Team haben darfst.“

Sorgen um künftige große rot-weiß-rote Erfolge macht sich Albrecht trotzdem nicht. „In Österreich kommt alle fünf bis zehn Jahre eine richtige ‚Granate‘ hervor. Es wird auch einen nächsten Hirscher und eine nächste Veith geben. Das geht auch gar nicht anders, weil es hier schon aus der Tradition zum Skisport die meisten Talente gibt.“ Vielen davon ist aber nicht das optimale individuelle Umfeld vergönnt, das sie wie Shiffrin von klein auf bis an die Spitze führen kann.

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