Das Problem mit den Helden

© dpa Grablichter und Blumen zum Gedenken an die Opfer des Terroranschlages, der sich am 19.12.2016 auf dem Weihnachtsmarkt nahe der Gedächtniskirche in Berlin ereignete.

Das Problem mit Helden ist, dass man nicht auf sie warten kann. Sie zeigen sich im Augenblick größter Not oder eben gar nicht. An einem Ort, an dem kein Held ist, ist entweder alles halbwegs in Ordnung – oder die Bösen haben gesiegt.

In Berlin war nach dem Anschlag gar nichts in Ordnung. Aber die Bösen sollten nicht gewonnen haben. Also, wo war der Held? Man suchte. Naturgemäß nicht lange. Dann war der Gute gefunden. Noch am selben Abend erfuhr man: Ein Mann habe den flüchtenden Tatverdächtigen verfolgt, dabei die Polizei fortwährend über seinen Standort informiert, somit zur Ergreifung des Terroristen maßgeblich beigetragen. Er sei ein „Berliner Held“ (Focus) und somit „heldenhaft“ (Radiosender 104.6 RTL). Der Radiosender Radio Saw meldete: „Berlin hat einen Helden.“ Die Waffenlobbyisten von der German Rifle Association lobten: „Berliner Held zeigt Zivilcourage“, da war es gerade 23.22 Uhr am Abend der Tat. Dem Urteil schlossen sich in den sozialen Netzwerken viele an. Tweets und Facebook-Postings sind so schnell geschrieben wie ersonnen, manchmal sogar schneller.

Wunderkerzen brennen heller

Wunderkerzen brennen heller als Feuer, doch wärmen tun sie nicht. Alte berlinerische Weisheit. Dementsprechend erwies sich der „Berliner Held“ bald als Mann, dessen Heldentum bezweifelt werden kann. Jedenfalls hatte er einen Mann verfolgt, der bald wieder freigelassen wurde. Anders als gehofft war der Gejagte, ein Pakistaner, gar nicht der Fahrer des Lastwagens gewesen. Man weiß nicht, wie der Zeuge darauf kam, der Flüchtige müsse verfolgt werden. Vielleicht fand er es verdächtig, dass ein Dunkelhäutiger davonlief, und dachte gar nicht darüber nach, dass Dunkelhäutige auch aus anderen Gründen schnell laufen könnten als aus Angst vor Strafe. Der Pakistaner jedenfalls sagte aus, er habe mit dem Anschlag nichts zu tun, er sei bloß zur U-Bahn geeilt. Vielleicht verfolgte der Zeuge erst den Richtigen, verlor ihn dann aus den Augen, und die Polizei schnappte später den Falschen. Vielleicht war es ganz anders. Sicher ist es bis heute nicht. Der Radiosender 104.6 RTL meldet statt „Heldenhaft: Mutiger Zeuge lotste die Polizei per Handy zum Täter“ jetzt „Festgenommener ist womöglich nicht der Täter“, der Zeuge ist nur noch „Zeuge“.

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Der nächste Held war der Pole Lukasz Urban. Das ist der Mann, der am Abend des Anschlags tot im Führerhaus des Lastwagens lag. Wenige Tage später setzte eine Frau eine Online-Petition auf: Sie richtet sich an den deutschen Bundespräsidenten und fordert, dem Lastwagenfahrer das Bundesverdienstkreuz zu verleihen. Und zwar, weil dieser „auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin sein Leben beim Versuch ließ, einen Terroristen vom Schlimmsten abzuhalten“. Und weiter: „Mit diesem heldenhaften Handeln hat er vermutlich viele Menschenleben gerettet und ein großes Zeichen gesetzt für die Freundschaft und Aussöhnung zwischen unserem Land und Polen – dem unsere Vorfahren Furchtbares angetan haben.“ Die Frau und das Kind des Toten wurden auch noch erwähnt; ihnen sei zu danken.

Die Frau, die die Petition geschrieben hatte, warb in den folgenden Tagen auf Twitter dafür. Auf Deutsch und Englisch twitterte sie im Laufe des 22. Dezembers immer wieder, wie viele jetzt schon unterschrieben hatten: „Schon >2000 Unterschriften!“, „Please sign: >2000 signatures already“, „Schon >3000 Unterschriften“, „>3000 signatures!“, „Jetzt >5000 Unterschriften“, „Now >5000 signatures“, „Thanks all“. Am nächsten Tag machte sie weiter: „Amazing“, „Incredible“, „Wunderbar“. An Heiligabend twitterte die Frau: „Frohe Weihnachten: >13000 Unterschriften“, am zweiten Weihnachtstag „Danke an alle Zeichner: >35000 Unterschriften“. Inzwischen haben mehr als 40000 Menschen die Petition unterschrieben.

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