Amerikas Demokratie ist unter Trump nicht verloren

© dpa Kein Respekt vor niemandem – mit dieser Haltung begeisterte Donald Trump seine Wähler.

Die Demokratie der Vereinigten Staaten hat schon vielen Stürmen getrotzt. Wenn Donald Trump an diesem Freitag den Amtseid ablegt, bricht ihr System robuster checks and balances nicht plötzlich zusammen. Doch Wachsamkeit ist geboten. Denn die freiheitliche Demokratie verliert an Halt. Zum Teil liegt das am Fortschritt: Das System muss sich auf die neuen Kommunikationsformen und die globale Verflechtung einstellen.

Andreas Ross Folgen:

Zum Teil liegt die Gefahr in der seit Jahrzehnten geschürten Feindseligkeit in der Gesellschaft: Wenn Richtungsstreit zum Stammeskrieg mutiert, schwächen die demokratischen Institutionen ihre Widerstandskraft. Akut bedrohlich wird die Erosion durch die autoritären Neigungen des neuen Präsidenten. Trumps Bekenntnis zum Bruch macht vor demokratischen Normen und Usancen nicht halt.

Das muss man erkennen, nicht dramatisieren. Zunächst bleibt daher festzuhalten, dass Trump kein illegitimer Präsident ist. Auf Basis wilder Gerüchte sollte niemand behaupten, dass Trump nur dank russischer Einmischung gesiegt habe oder gar als Moskauer Marionette ins Weiße Haus ziehe. Genug Wähler haben sich für Trump entschieden – in dem Wissen, dass er seine Geschäftsinteressen nicht offenlegt sowie routinemäßig ganze Bevölkerungsgruppen und Bündnispartner vor den Kopf stößt. Dass ein solcher Establishment-Schreck überhaupt die Präsidentschaft erringen konnte, belegt zunächst die Vitalität der Volksherrschaft.

Wer nun Hillary Clinton wegen ihres Stimmenvorsprungs zur wahren Siegerin erklärt, setzt sich nur selbst über die Regeln der Demokratie hinweg, in diesem Fall über das Wahlleute-System. Das ist nicht besser als Trumps haltloses Gejammer über Wahlbetrug, das er groteskerweise nach seinem Sieg noch zuspitzte.

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Trumps Respektlosigkeit gegenüber der repräsentativen Demokratie ist vielfach belegt. Zwar ist er von seiner Ankündigung abgerückt, Clinton hinter Gitter zu bringen. Dafür hat er Bürger beschimpft, die gegen ihn demonstrierten. Kein Präsidentschaftskandidat ist frei von Hybris. Doch aus Trumps Versprechen, er allein könne Amerika „reparieren“ und alle anderen Politiker sollten „die Klappe halten“, sprach mehr als Narzissmus – nämlich Verachtung für die Gewaltenteilung, in der nie ein Organ oder gar eine Person alle Weisheit gepachtet hat. Wenigstens holt sich Trump Schwergewichte ins Kabinett, die sich gewiss nicht als Claqueure hergeben.

Donald Trumps Spiel mit der Wahrheit

Die Kongress-Republikaner wiederum bemühen sich seit dem 9. November zwar eilfertig um einen Deal mit Trump. Sie halten sich in kontroversen Fragen wie dem Freihandel zurück, um auf anderen Feldern wie der Gesundheits-, Bildungs- oder Sozialpolitik möglichst viel von ihrer Agenda durchzusetzen. Doch haben sie ihre Wächterfunktion bisher nicht an der Garderobe des Weißen Hauses abgegeben.

Ungeachtet Trumpscher Empfindlichkeiten machten sich die Senatoren an die Aufarbeitung des russischen Hacking. Für die demokratische Opposition freilich rächt sich, dass sie in besseren Zeiten die Rechte der Senatsminderheit beschnitt – und dass Barack Obama autoritär veranlagten Nachfolgern den Boden bereitete, indem er die Macht des Präsidenten dehnte.

#Inauguration: Amerikas Demokratie ist mit #Trump nicht verloren. Seine Wähler sollten aber wachsam sein

Das alles macht aus Donald Trump noch keinen Hugo Chávez. Doch wie andere „Postdemokraten“ vor ihm hat Trump wenig so konsequent betrieben wie die Relativierung von Fakten und Wahrheit, um mit den Massen zu spielen. Sein großes Twitter-Gefolge erlaubt es Trump, sich mit den traditionellen Medien anzulegen. Es wird nun erwogen, das Pressekorps aus dem Machtzentrum im Westflügel des Weißen Hauses zu vertreiben. Zensur ist das nicht. Aber er verwischt damit weiter die Grenzen zwischen den Desinformationskampagnen von Trollen und solide recherchiertem Journalismus.

Wähler sollten Trump kritisch beobachten

Auch jenseits der Attacken auf die „vierte Gewalt“ setzen Autoritarismusforscher Häkchen auf ihren Listen mit Erkennungszeichen abrutschender Demokratien. So hat Trump das Land, in dem seit sieben Jahren die Wirtschaft wächst und seit Dekaden die Kriminalität abnimmt, als „verkrüppelt“ und belagert beschrieben. Er hat diese angeblich existentielle Krise bestimmten Bevölkerungsgruppen (Mexikanern, Muslimen) in die Schuhe geschoben und als Kandidat Gewalt gegen Andersdenkende gutgeheißen.

Das Ausmaß, in dem sich der neue Präsident auf Familienmitglieder stützt, zeugt ebenso von seiner Geringschätzung demokratischer Institutionen wie seine Faszination für Wladimir Putin und andere unumschränkte Machthaber. Dabei hat gerade Putin den Amerikanern vor Augen geführt, dass ihre Demokratie starke Abwehrkräfte braucht, um sich in einer Welt voll schmerzfreier Autokraten zu behaupten.

Viele von Trumps Wählern sehen in ihm eine Abrissbirne, mit der sie einem Washington zu Leibe rücken wollen, von dem sie sich verraten fühlen. Die allermeisten dieser Wähler wollen ihre Demokratie so retten, nicht zerstören. Doch die schleichende Delegitimierung von Institutionen der Politik, Justiz, Medien und Wissenschaft hat das Frühwarnsystem beschädigt. Reparieren könnten es Trumps Wähler, indem sie sich von ihrem Helden nicht einlullen lassen, sondern dem neuen Präsidenten so kritisch auf die Finger sehen wie seinem Vorgänger.

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