Trump sprach einen klaren Satz. Mit unklaren Konsequenzen

Am frühen Morgen des 20. Januar, dem großen Tag der amerikanischen Demokratie, bekam Donald Trump die Startcodes für die amerikanischen Atomwaffen überreicht. Bill Clinton hat nie in seinem politischen Leben auf enge Vertraute so ernst, so verschlossen gewirkt wie nach dieser rund 20 Minuten währenden Sitzung am 20. Januar 1993.

Es ist verbürgt, dass George H. W. Bushs Sicherheitsberater Brent Scowcroft, der Clinton die Prozedur erläuterte, anschließend allein auf die Straße trat, mit Tränen in den Augen.

Der Augenblick, in dem ein neuer Präsident die kleine verschweißte Plastikkarte mit den eingeprägten Codewörtern überreicht bekommt, den „Keks“, verdichtet wie kein anderer die ungeheure Verantwortung, die am 20. Januar auf einen einzigen Menschen übergeht.

+ Lesen Sie hier die komplette Antrittsrede im Wortlaut +

Die Freigabe des Atomwaffeneinsatzes ist bewusst ohne jede Gegenkontrolle konzipiert. Im Fall eines Falles, so ist bisher die Annahme, beträgt die Entscheidungszeit nur wenige Minuten.

Donald Trump war der erste Kandidat, der offen über den möglicherweise wünschenswerten Einsatz solcher Waffen gesprochen hat. Kein Amtsinhaber vor ihm hat seit 1945 mit der Macht kokettiert, die ihm im Fall des Amtseids zufallen würde. Nun ist Trump der 45. Präsident der USA.

Trump sprach anders

Viele Amtsinhaber sind zu Recht vergessen, aber Trump zählt mit Sicherheit zu denen, die im Gedächtnis bleiben. Dafür sorgt schon seine kurze Rede, mit 16 Minuten nur zwei Minuten länger als Kennedys Ansprache für die Ewigkeit im Jahr 1961.

Aber welch ein Unterschied! Kennedy, wie nahezu alle Präsidenten vor Trump, appellierte an die amerikanische Größe, nicht ausschließlich an Amerika zu denken. Der Schutz seiner Küsten durch zwei Ozeane ist nicht mit Sicherheit zu verwechseln.

Trump sprach anders. Er verabschiedete zwar formvollendet Barack Obama – anders als der zweite deutschstämmige Präsident der USA, der Republikaner Dwight Eisenhower, der sich geweigert hatte, mit seinem demokratischen Amtsvorgänger Harry Truman im selben Auto zum Kapitol zu fahren.

In der Antrittsrede aber hatte Eisenhower gesagt, die Sehnsucht nach Freiheit bewege den Reisbauern in Burma so wie den Maisbauern in Iowa, den Schäfer in Süditalien oder den Bergbauern in den Anden. Es war die Weltsicht der Republikaner Abraham Lincolns.

„Er redete wie ein Usurpator“

Nicht so bei Trump. Der neue Präsident, sagte ein Veteran des konservativen Senders „FoxNews“, „sprach nicht wie ein Konservativer. Er redete wie ein Usurpator“. Trump tat die gesamte politische Landschaft Washingtons als Egoisten ab. Er suggerierte, wegen Amerikas Außenpolitik gebe es in den USA Slums, zerfallende Fabriken und Arbeitslosigkeit.

Es war die nationalistische Parole aller Populisten seit 1789, mit der schon Franklin Roosevelt zu kämpfen hatte, als er Hitler entgegentrat. „Kauft amerikanisch, stellt Amerikaner ein“: Die Risse der Gesellschaft sollen durch Patriotismus und Protektionismus überwunden werden – „America first!“

Amerika, sagte Trump, wolle die Freundschaft aller Länder, „aber in dem Geist, dass alle Nationen das Recht haben, zuvorderst an ihre Interessen zu denken. Wir wollen unseren Lebensstil niemandem aufzwingen, sondern ihn stattdessen als leuchtendes Beispiel verstanden wissen“.

Die USA werden unter Präsident Trump ein Nationalstaat wie jeder andere. Immerhin kündigte Trump nicht die Nato auf. „Wir werden alte Allianzen erneuern und neue bilden“, sagte er und benannte ein einziges außenpolitisches Ziel. „Wir werden die zivilisierte Welt gegen den radikalen islamischen Terrorismus einen und ihn ausradieren.“

In einer Hinsicht war die Rede gelungen

Das war ein klarer Satz mit unklaren Konsequenzen. Sein Erfolg ist konkret messbar – aber die Kontrolle gewinnt Trump nur dann, wenn er militärisch viel stärker aktiv wird als Obama.

Der hat am 19. Januar noch einen schweren Luftangriff auf ein IS-Lager in Libyen fliegen lassen, in dem Terroristen für Anschläge in Europa ausgebildet wurden. Trump muss mehr tun, wenn er bis zu den nächsten Kongresswahlen im Herbst 2018 einen messbaren Erfolg haben will.

Demonstranten protestieren gewaltsam gegen Trump

Am Rande der Vereidigung gab es gewaltsame Protesten. Die Polizei setzte offenbar auch Pfefferspray ein. Die Protestierenden trugen Schilder, auf denen sie Trump und den Kapitalismus verurteilten.

Quelle: N24/Nadine Mierdorf

Genauso messbar ist Trumps Wirtschaftspolitik. Der 45. Präsident hat Barack Obamas Krankenkassenreform, auf die sich unter Trumps Wählern so viel Zorn konzentrierte, in der Antrittsrede mit Schweigen übergangen. Bei diesem Thema scheiden sich schon jetzt immer mehr Geister.

Trumps Rede war im Sinne einer Anfeuerungsrede der Wählerbasis sehr gelungen. Aber auf die Wählerbasis kommt es erst bei der nächsten Kongresswahl im Herbst 2018 wieder an.

Ein Herzensmoment für viele, die sich nicht gewürdigt fühlten

Jetzt beginnt der politische Alltag in dem von Trump so ostentativ verachteten Washington. Kennedys Aufbruch zerbrach mit der missglückten, amateurhaften Invasion in der kubanischen Schweinebucht. Richard Nixons politischer Morgen versank im Morast des drastisch ausgeweiteten Vietnamkrieges. Bill Clintons Neubeginn 1993 endete im Grabenkampf um die Krankenkassenreform.

Donald Trumps großer Augenblick war ein Herzensmoment für viele, die sich nicht gewürdigt fühlten. Der Rausch der Macht indes pflegt schnell zu verfliegen, denn auch in Amerika ist Demokratie nicht einfach Mehrheitsherrschaft, sondern die Kombination von Grundrechten mit unverhandelbaren Verfahrensweisen.

Trumps patriotische Rhetorik trifft nun auf einen Senat, in dem seine erbitterten innerparteilichen Gegner die entscheidenden Stimmen für die Mehrheit der Republikaner in den Händen halten. Diese Senatoren, vor allem John McCain, haben unmissverständlich deutlich gemacht, dass sie den Populismus des Amtsinhabers nicht teilen.

Der Konflikt zwischen dem Oval Office und dem Senat, und nicht die Eleganz des Machtübergangs oder der Zorn der Gegendemonstranten, wird das erste Jahr der neuen Ära bestimmen.

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