Kanzlerkandidat Schulz: Gabriels Husarenstück

© Reuters Martin Schulz und Sigmar Gabriel am Dienstagabend in Berlin

Soll die SPD nun lachen oder weinen? Der Verzicht Sigmar Gabriels auf die Kanzlerkandidatur, ein Paukenschlag zu Beginn des Wahljahrs, mit dem kaum jemand gerechnet hatte, ist nur auf den ersten Blick eine Erlösung für die Partei. Der Parteivorsitzende zieht die Notbremse, weil die Umfragen seit Monaten so sind, wie sie sind, und weil er weit davon entfernt war, zum echten Herausforderer Angela Merkels zu werden. Auf die Partei wirkte das seit Monaten lähmend und deprimierend.

Jasper von Altenbockum Folgen:

Gabriels Kanzlerkandidatur wäre als „Opfergang“ ausgelegt worden, nicht gerade die ideale Begleitmusik für einen Wahlkampf aus einer ohnehin hoffnungslosen Defensive. Unter diese nahezu ausweglose Perspektive hat Gabriel nun einen Schlussstrich gezogen. Nach allem, was er für die Partei getan hat, verdient das Respekt. Den zollt er sich gewissermaßen selbst, indem er ins Außenamt wechselt. Das ist ein Rückzug, aber alles andere als ein Abschied.

Was aber ändert sich eigentlich für die SPD? Der Verzicht auf die Kanzlerkandidatur bedeutet auch den Rückzug als Parteivorsitzender, von einem Amt, das Gabriel zu einem Zeitpunkt übernommen hatte, als die SPD nach der Wahlniederlage von 2009 am Abgrund stand. Gabriel hat sie stabilisiert, aber nicht aufrichten können. Darauf kann Martin Schulz nun aufbauen, sein designierter Nachfolger, dessen Heimkehr aus Straßburg die Phantasie der Gabriel-Kritiker angeregt hatte, aber auch die politische Abenteuerlust des Europapolitikers.

Nicht „Schwielowsee“ und auch nicht „Steinbrück“

Für die SPD-Führung muss es ein Erlebnis der anderen Art gewesen sein, dass es nach den Jahren des Klagens und Haderns plötzlich jemanden gab, der am Gitter des Kanzleramts rüttelte. Ob aber Schulz damit schon der richtige Mann am richtigen Platz ist, steht auf einem anderen Blatt. Richtig war nur der Zeitpunkt, zu dem er seine Ambitionen durchsetzen konnte – weil kein anderer es machen wollte. Deshalb wirkt die Kandidatur von Schulz wie die nächste Sturzgeburt in einer Reihe von hektischen Entscheidungen der SPD vor einer Bundestagswahl. Das hier ist nicht „Schwielowsee“ und auch nicht „Steinbrück“. Aber ein Husarenstück ist es schon, und zwar nicht nur aus Wagemut, sondern auch aus Verzweiflung.

Die SPD muss den Wechsel deshalb auch mit einem weinenden Auge sehen. Schulz hat weder Erfahrung an der Parteispitze noch in der deutschen Innenpolitik. Das muss nicht nur ein Nachteil sein. Niemand wird ihm im Wahlkampf vorwerfen können, er kritisiere Entscheidungen, für die er als Kabinettsmitglied doch Mitverantwortung trage. Schulz mag deshalb den frischen Wind mitbringen, den die SPD so dringend braucht. Den hat aber auch schon Gabriel in mehreren Anläufen herbeigeredet und sogar in die Regierung getragen, ohne daraus einen Sturm entfachen zu können.

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Mit oder ohne Gabriel: Der Wind, den sich die SPD wünscht, weht meist nicht aus Richtung Mitte, wo die Mehrheit schlummert, sondern von links. Die SPD müsste deshalb aus Martin Schulz schon einen Bernie Sanders machen, damit er besser dasteht als Gabriel. Der frische Wind, den Schulz mitbringt, könnte sich aber auch schon deshalb schnell verflüchtigen, weil er vor allem mit seiner Kernkompetenz in Verbindung gebracht wird, mit Europa. Da kann er mit Merkel konkurrieren, aber nicht wirklich auf Augenhöhe. Merkels Europa ist ein anderes als das von Schulz. Niemand repräsentiert „Brüssel“ und das „Establishment“ so sehr wie er. Nach der Kandidatur Merkels wird die AfD ein zweites Mal ihr Glück kaum fassen können.

© AP, reuters Reaktionen auf Sigmar Gabriels Rücktritt

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