Surreal wie das Leben

Nockherberg: Die Politik spielt mit beim umjubelten Singspiel

Ist der Starkbieranstich auf dem Nockherberg jetzt nur ein großinszenierter Werbeabend einer Brauerei? Oder ist er doch eine Traditionsveranstaltung mit wegweisender politischer Bedeutung, allzumal in einem Wahljahr? Wer am Nockherberg bejubelt oder – am schlimmsten – gar nicht wahrgenommen wird, kann zumindest erahnen, wie es ihm im Rest des Jahres ergehen könnte. So gesehen kann zumindest Ministerpräsident Horst Seehofer gelassen bleiben. Denn Mama Bavaria Luise Kinseher („sehr gut, aber deutlich weniger bissig als in den Vorjahren“, Oberbürgermeister Dieter Reiter) g

Ist der Starkbieranstich auf dem Nockherberg jetzt nur ein großinszenierter Werbeabend einer Brauerei? Oder ist er doch eine Traditionsveranstaltung mit wegweisender politischer Bedeutung, allzumal in einem Wahljahr? Wer am Nockherberg bejubelt oder – am schlimmsten – gar nicht wahrgenommen wird, kann zumindest erahnen, wie es ihm im Rest des Jahres ergehen könnte. So gesehen kann zumindest Ministerpräsident Horst Seehofer gelassen bleiben.

Denn Anwesenheit ist am Nockherberg oberste Politikerpflicht, nur Landtagspräsidentin Barbara Stamm und Sozialministerin Emilia Müller blieben fern, weil ihnen 2016 die Frauen zu schlecht weggekommen waren. Wohl auch deshalb ging Mama Bavaria Luise Kinseher („sehr gut, aber deutlich weniger bissig als in den Vorjahren“, Oberbürgermeister Dieter Reiter) in ihrer Fastenpredigt erstaunlich sanft mit ihren Kindern um. Die nahmen die Zurückhaltung dankbar auf – insbesondere Seehofer.

Als „voll gelungen, pfiffig und hintersinnig“, lobte er die Rede, niemand müsse sich diesmal verletzt fühlen. Der CSU-Chef hat sich trotz schwerer Erkältung hergeschleppt. Er sei zwar angeschlagen, sagt Seehofer, „aber zum Nockherberg würde ich selbst noch mit dem Bett herkommen“.

Finanzminister Markus Söder holt sich traditionell die bösesten Pointen ab. Abgehängt habe Söder seine Rivalin Ilse Aigner aber keineswegs, findet Kinseher. Die Wirtschaftsministerin habe halt Wichtigeres zu tun, als sich im parteiinternen Gerangel abzumühen.

Ein Debüt im bejubelten Singspiel (Seehofer: „köstlich“) feiert SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, auch der scheidende Landeschef Florian Pronold hat eine tragende Rolle. Der echte Pronold zeigt sich bestens gelaunt, es sei „nicht das Schlechteste“ mit einem schönen Wein („gut im Abgang“) verglichen zu werden – dabei wurde er als reichlich naiv dargestellt. Die ganz große Show der SPD bleibt aber aus, da Schulz statt nach München zum Wahlkämpfen ins Saarland fährt.

Luise Kinseher hat schon die ersten Pointen gesetzt, als Christian Ude erst in den Saal kommt und ratlos vor den Tischen steht, auf der Suche nach seinem Platz. Ähnlich ratlos sehen viele der Gäste oft aus, während sie der Bavaria zuhören. Kinseher bringt allerdings zunächst Karl Hopfner, den früheren Präsident des FC Bayern, so zum Lachen, dass er sich verschluckt und gleich von seinem Vorgänger und Nachfolger im Amt Uli Hoeneß ängstlich angeschaut wird. Hoeneß schmunzelt ab und an bei der Rede und sagt hinterher: „Es war sehr unterhaltsam und nicht sehr hart.“ Da könne sich niemand beschweren, dass er unter der Gürtellinie angegriffen wurde. Begeisterung klingt anders. Hoeneß geht dann, aber nicht aus Langeweile oder Protest, sondern aus Terminzwang, seine Basketballer spielen auch am Abend.

„Ich war entsetzt über die Stille“

Kabarettist Andreas Giebel lächelt milde nach der Rede. „Es gab viele schöne Formulierungen, auch über die aktuelle Politik hinaus“, vor allem atmosphärisch sei es sehr gelungen gewesen, „sie ruht als Bavaria eben in sich und spricht oft raffiniert“. Für Regisseur Franz Xaver Bogner war es „etwas sanfter“ als im Vorjahr, „aber unterhaltsam“. Sein Kollege Joseph Vilsmaier hat eine „entschärfte Rede“ gehört, während Kabarettist Christian Springer, der am nächsten Tag die Rede beim Anstich im Löwenbräukeller hält und der zuletzt meist am kritischsten urteilte, fast nur lobt. „Ich mag das Sanfte in diesen Zeiten, wo von allen sonst nur beleidigtes Geschrei kommt“, sagt Springer. „Es ist nicht leicht, über Trump, Erdoğan oder Scheuer satirisch zu sprechen, die kannst du nur noch zitieren.“ Da seien sehr viele schöne Pointen dabei gewesen, „aber sie hat so eine reservierte Stimmung nicht verdient, ich war entsetzt über die Stille“.

Nockherberg-Wirt Peter Pongratz, für den dieser Abend der letzte Starkbieranstich ist, hätte sich „etwas mehr Power“ gewünscht. Die kommt dann beim Singspiel. Was Regisseur Marcus H. Rosenmüller wieder auf die Bühne stellt, fesselt das Publikum von Anfang. Bis zum Schlusslied „Ein Vorsicht der Gemütlichkeit“ gibt es fulminante Pointen und nachdenkliche Momente, alles mehr als echt.

Regisseur Bogner sagt: „Das war einfach klasse inszeniert.“ Und Vilsmaier fand es „völlig anders als im letzten Jahr und wieder wunderbar, das sind eben einfach lauter Profis“. Springer nennt die Vorstellung ein „bayerisches Billy-Wilder-Märchen, aber das versteht jetzt wieder keiner“, womit die Aussage gut zum wunderbar wirren Stück passt. Manchmal etwas zu verkopft, ist eine der wenigen Einschränkungen. Springer ist begeistert wie selten: „Fesselnd bis zum Ende, eine schöne Parabel auf unsere politische Welt.“

Und auch Pongratz ist überwältigt, ruft während der stehenden Ovationen: „Sensationell, eine Eins mit 27 Sternen. Das beste Stück, das ich hier gesehen habe.“ Und er war 27 Jahre Wirt auf dem Nockherberg.

ing in ihrer Fastenpredigt erstaunlich sanft mit ihren Kindern um. Die nahmen die Zurückhaltung dankbar auf – insbesondere Seehofer.

Als „voll gelungen, pfiffig und hintersinnig“, lobte er die Rede. Der CSU-Chef hatte sich zum Starkbieranstich geschleppt. Er sei zwar angeschlagen, sagte Seehofer, „aber zum Nockherberg würde ich selbst noch mit dem Bett herkommen“. Nach dem Singspiel („köstlich“) zeigte er sich so gelöst wie selten, plauderte trotz Erkältung noch lange mit Schauspielern. Anfang Mai will sich der Regierungschef ja erklären, ob er weitermachen will. Für Mama Bavaria steht die Zukunft der CSU schon jetzt fest: Seehofer bleibe Ministerpräsident, „und zwar noch sehr, sehr lange“. Das führte zwar nicht zu Jubelstürmen im Saal, aber immerhin zu bravem Beifall. Ähnlich bei Joachim Herrmann, den die Bavaria als Innenminister nach Berlin schickt und zum Parteichef macht. „Aber Joachim, du musst dich schon bewegen, das Amt fällt nicht auf dich drauf.“

Einer, dem diese Aussichten vermutlich gar nicht behagen, bekam zwar reichlich Aufmerksamkeit, aber weit weniger tragende Rollen als in den Vorjahren: Finanzminister Markus Söder. Abgehängt habe er seine Rivalin Ilse Aigner keineswegs, fand Kinseher. Die Wirtschaftsministerin habe halt Wichtigeres zu tun, als sich im internen Gerangel abzumühen. Söder lobte danach trotzdem Stück wie Schauspieler – und immerhin bleibe sein Double Stephan Zinner bei den Zuschauern ja immer am meisten in Erinnerung. Umjubelte Bühnenpremiere feierten SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz und Sahra Wagenknecht (Linke), auch Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter und der scheidende SPD-Landesvorsitzende Florian Pronold kamen im surrealen Singspiel groß raus. Der echte Pronold zeigte sich bestens gelaunt („habe nie so viel gelacht“), obwohl er als reichlich naiv dargestellt wurde. Die große Show für die SPD fiel aber aus, da Schulz statt nach München zum Wahlkämpfen ins Saarland gefahren war.

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