Die SPD im Schulz-Rausch: „Ja, ich will Kanzler sein“

Leicht fällt ihm der Abschied nicht. „Eine der schwersten, aber auch eine der richtigsten Entscheidungen“ seines Lebens sei der Rücktritt gewesen, sagt Sigmar Gabriel; ein paar Minuten später wird er mit den Tränen kämpfen.

Der alte SPD-Chef steht da schon neben dem neuen, dem Hoffnungsträger schlechthin, und die Umarmung der beiden ist innig: Die Delegierten in Berlin haben Martin Schulz gerade zu Gabriels Nachfolger gekürt, mit einem Ergebnis, von dem nicht nur der scheidende Parteichef nur träumen konnte, sondern auch alle vor ihm: 100 Prozent, keine einzige Gegenstimme erhält Schulz an diesem Sonntag, das beste Ergebnis der Parteigeschichte. „Den Ergebniszettel nehme ich mit nach Hause“, sagt der frisch Gewählte fast gerührt.

13.000 neue Mitglieder

Der Jubel ist frenetisch, doch dass das Ergebnis so eindeutig ausfallen würde, verwundert hier kaum. Schon die Vorschusslorbeeren für den „Mann aus Würselen, den Mann aus einfachen Verhältnissen“, wie er sich in seiner Rede nennt, waren enorm. 13.000 neue Eintritte hat die Partei verzeichnet, seit Gabriel die Übergabe vor acht Wochen angekündigte. Doch mit jedem Neueintritt und vor allem mit den 100 Prozent wachsen auch die Erwartungen: Nicht jeder sieht die „Gottkanzler“-Plakate, die das Publikum Schulz entgegenreckt, nur ironisch – der Anspruch, Angela Merkel auch wirklich abzulösen, kann jetzt kein leeres Versprechen mehr sein wie in den Jahren unter Gabriel, heißt es dann auch von den Genossen.

„Ja, ich will der nächste Kanzler sein“, sagt Schulz dementsprechend pflichtschuldig. Die Antwort darauf zu finden, wie das gehen soll, ist aber die deutlich größere Herausforderung als die Wahl vom Sonntag. Klar, da ist die Erzählung vom kleinen Mann, der sich nach oben gekämpft hat, die Schulz bestens bedient – „ihr kennt mich“, sagt der einstige Alkoholiker und Schulabbrecher, „ihr wisst, wo ich herkomme“. Und ja, da ist auch das Versprechen auf mehr Gerechtigkeit, einer Grundforderung der SPD, der Schulz neues Leben einhauchen will: „Schlussmachen mit dem Lohngefälle“ will er, „Bildung, die gebührenfrei ist“, und natürlich, auch die Agenda 2010 ein wenig rückabwickeln: längere Ansprüche für Arbeitslose, mehr Qualifizierung, das ist sein Plan.

Doch die Visionen bleiben vage – und der Gegner unkonkret. Schulz grast mit am rechten wie am linken Rand, will Wähler von der AfD ebenso zurückgewinnen wie von Grünen und Linken; seine stärkste Gegnerin, Angela Merkel, lässt er aber unangetastet – dabei ist sie es, die ihm den schwersten Kampf bereiten wird: Die Partei, die sich spätestens seit Sonntag durch ihn wie wiedergeboren fühlt, fordert nicht nur das Kanzleramt, sondern auch das Ende der Großen Koalition. Doch das ist angesichts der Umfragen, in denen CDU und SPD gleichauf liegen, nicht so einfach.

Abschiedsgeschenk

Dass es gerade Gabriel ist, der in seiner Abschiedsrede dann lautstark fordert, der Koalition mit der CDU Adieu zu sagen, mag man als bitteres Abschiedsgeschenk deuten. Oder als Kampfansage – damit der Rausch, in dem sich die SPD mit ihrem Martin Schulz befindet, nicht in einem bösen Kater endet

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