Bröckelt Putins Macht?: Die Urangst des Kreml

© dpa Eiszeit für die Demokratie: Russlands Präsident Wladimir Putin bei einem Besuch der arktischen Inselgruppe Franz-Josef-Land.

Im siebzehnten Jahr der Herrschaft Wladimir Putins sind Glanz und Elend seiner Macht nicht voneinander zu trennen. Bis zum vergangenen Sonntag, als Zehntausende im ganzen Land gegen Korruption der Eliten auf die Straßen gingen, schien das politische Leben in Russland tot. Es beschränkte sich im Wesentlichen auf Nutznießer des Status quo, die denjenigen preisen, dem Russland, das sich „von den Knien erhoben“ habe, seine neue Herrlichkeit zu danken habe.

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Das führt regelmäßig zu Szenen wie Ende Januar im Kreml, als der Präsident wieder einmal verdiente Bürger aus Wirtschaft, Kirche und Staatsmedien ehrte, die ihrerseits Verdienste Putins um Russlands Rüstung, Eisenbahn, Atomkraft rühmten. Ein greiser Schauspieler mit ordensschwerer Brust richtete den Blick auf die Präsidentenwahl in einem Jahr und gab seiner Sorge Ausdruck, Putin könne erwägen, nicht als Präsident weiterzumachen. „Wissen Sie, Wladimir Wladimirowitsch“, sagte er, „wenn Sie irgendwann aufmerksam die Augen gen Himmel richten, werden Sie eine Stimme hören: ,Denk nicht einmal daran.‘“ Beifall im Saal. „Und das wird die Stimme unserer und Ihrer großen Heimat sein: Russlands.“

In Apfelbäume investiert

Vorbei sind die Zeiten, in denen Wirtschaftslage und westliche Sanktionen wenigstens rhetorisch als Impuls für Reformen genannt wurden. Solche würden das Macht- und Umverteilungssystem stören und so wirken, als reagiere man auf äußeren Druck, ein Zeichen der Schwäche. Der Rubel ist weniger wert als früher, also etabliert man sich als Billiglohnland. Zugleich sind die Sanktionen zum Vorwand für mehr Protektionismus geworden. Putins Weggefährte Gennadij Timtschenko etwa, der viel Geld im Ölhandel machte, hat in Apfelbäume investiert; Westfrüchte hält das als „Gegensanktion“ verhängte Lebensmittelembargo fern. Bekundungen der Loyalität zu Land und Präsident flankieren solche Entscheidungen.

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Wichtige Ereignisse, vom Auslandskriegseinsatz bis zur Festnahme eines Ministers, überrumpeln Parlament, Ministerien und Regierung. Deren Vertretern bleibt nur, den unergründlichen Ratschluss mit immer gleichen Phrasen zu kommentieren. Echte Kritik und Fragen sind tabu, Verschleierung ist allgegenwärtig. Das hat zum Beispiel zur Folge, dass russische Analysten westliche Berichte studieren, um zu erfahren, wohin Putins Weltmachtpolitik (Afghanistan? Libyen?) gerade driftet. Den mit Verve vorgebrachten („russophobe Hysterie“) Standard-Dementis der eigenen Ministerien glauben sie nicht. Mit Blick nach innen wird von den bedrängten Putin-Gegnern im Land regelmäßig „Tauwetter“ ausgerufen, wenn ein politischer Gefangener freigelassen wird, und für beendet erklärt, wenn wieder ein Regimekritiker ins Gefängnis muss.

So gab es bis zu den Protesten am Sonntag letztlich nur zwei Fragen: Erstens, wie lange die Kunstpause noch dauere, bevor Putin auf zahlreiche Bitten hin abermals seine Kandidatur verkündet. Zweitens, was der Kreml unternehmen werde, um die Wahlbeteiligung in die Höhe zu treiben. So soll die Präsidentenwahl am Jahrestag der Krim-Annexion stattfinden, wobei sich der Enthusiasmus über die „Heimholung“ der Halbinsel schon in diesem Jahr nicht wieder aufwärmen ließ.

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Russlands Präsident Wladimir Putin in einer Militärbasis auf der arktischen Inselgruppe Franz-Josef-Land.

45611218 © AFP Vergrößern Russlands Präsident Wladimir Putin in einer Militärbasis auf der arktischen Inselgruppe Franz-Josef-Land.

Sklerose und Phlegma bringen noch keine unmittelbare Gefahr für Putins Macht. Wahlen dürften diese nicht brechen, selbst wenn auf Fälschung verzichtet würde: Putins Beliebtheitswerte bleiben hoch. Auch, weil der Präsident sich als einzige Hoffnung im Kampf gegen Missstände von Straßenschäden bis zu übergriffigen Staatsdienern inszeniert. Gedankenspiele über einen „Palastcoup“ sind beliebt, aber Spekulation. Doch seit Sonntag ist auf einmal die Kreml-Urangst vor Kontrollverlust zurück. Lokale Proteste, etwa gegen den Bau von Kirchen in Moskauer Parkanlagen, und soziale Proteste, wie gerade wieder von Fernfahrern gegen eine Maut, gibt es regelmäßig.

Nun jedoch gingen im ganzen Land Zehntausende wegen politischer Forderungen auf die Straßen wie zuletzt vor fünf Jahren. Das gelenkte Fernsehen, das Putins Erzählungen von Russland als stabiler, aber von westlichem Militär und Sittenverfall „belagerter Festung“ bedient, schaut die Jugend des Landes nicht. Das Internet, zu dem sieben von zehn Russen Zugang haben, ist der Weg, die Verschleierungen der Mächtigen zu durchbrechen und eine Gegenöffentlichkeit herzustellen, wie es der Oppositionelle Aleksej Nawalnyj und seine Stiftung zum Kampf gegen Korruption vormachen. Aus deren online veröffentlichtem Film über Reichtümer, die Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew zugeschrieben werden, stammten die Erkennungszeichen der Demonstranten, Turnschuhe und Gummienten.

Korruption erscheint den jungen Russen, die nun unerschrocken auf die Straßen gingen, als Attribut der Macht und der Verknöcherung des Regimes. Dessen Reaktion musste wie eine Bestätigung wirken: Noch mehr „Patriotismus“-Pflichtstunden für Schüler und Studenten sollen dafür sorgen, dass Ruhe herrscht. Putin nahm Medwedjew nun demonstrativ mit auf eine Reise in die Arktis. Dort stellte er die Proteste in eine Reihe mit dem „Staatsstreich in der Ukraine“ und schlug mit einem Eispickel Stücke von einem Eisbrocken ab.

© AP, Deutsche Welle Putins Kampf gegen den Schwarzmarkt

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