Brexit-Leitlinien: Eine Entscheidung in vier Minuten

Wenn die EU-Staats- und Regierungschefs zusammentreffen, dauert das erfahrungsgemäß. Selten bis nie halten die vorher festgelegten Zeitpläne für die Sitzungen. Nicht so beim Sondergipfel zum Austritt Großbritanniens aus der EU – ohne die britische Premierministerin Theresa May, am Samstag, der eigentlich ein längeres Mittagsessen (das Menü: Burrata, Jungente und Zitronenauflauf) war.
Der Beschluss der Leitlinien für die Verhandlungen mit London waren binnen vier Minuten erledigt – „mit Applaus“ . Das sei „die einzige Überraschende bei dem Gipfel“ gewesen und eine Premiere in der EU-Geschichte, sagte Ratspräsident Donald Tusk nach dem Treffen, und „vielversprechend für die Zukunft“. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte, es sei „das erste und letzte Mal“ gewesen, dass ein Beschluss in diesem Tempo erreicht worden sei. Bundeskanzler Christian Kern betonte, dass die EU nur dann eine „schlagkräftige Lösung“ in den Brexit-Gesprächen schaffen wird, wenn die 27 verbleibenden EU-Staaten auf einer Linie bleiben. Die „rote Linie“ für die Gespräche aus seiner Sicht: Keine Ausnahmen für die Briten beim Binnenmarkt-Zugang und die volle Erfüllung aller Zahlungsverpflichtungen.
Zentraler Punkt der Leitlinien ist, dass in zwei Phasen verhandelt wird. Erst müssten wichtige Fragen des Austritts wie die Absicherung der Rechte der EU-Bürger in Großbritannien ausreichend geklärt sein, bevor mit London über die künftige Zusammenarbeit verhandelt. Laut Plan könnte diese zweite Phase „bei ausreichendem Fortschritt“ bereits ab Herbst beginnen.

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Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die London diese Woche vor „Illusionen“ gewarnt hatte, wies Kritik von Premierministerin Theresa May an der EU zurück.. Es habe „sich niemand gegen Großbritannien verbündet“, sagte sie in Brüssel. Es sei „das Natürlichste von der Welt“, dass die 27 anderen EU Staaten eine gemeinsame Position Austritt einnähmen und mit einer Stimme sprächen.

Über die Höhe der „Austritts-Rechnung“ wird weiter spekuliert. EU-Kommissionspräsident Juncker betonte, dass die kursierenden 60 Mrd. Euro keine Forderung seien, „sondern vorsichtige Schätzungen“.

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Mehr Details soll das Verhandlungsmandat für den Brexit-Chefunterhändler, Ex-EU-Kommissar Michel Barnier, bringen, das die EU-Kommission nächste Woche vorlegt. Die eigentlichen Austritts-Verhandlungen werden erst nach den britischen Unterhauswahlen am 8. Juni beginnen und bis März 2019 abgeschlossen sein. Experten rechnen mit extrem komplexen Gesprächen, denn die EU betrete völliges Neuland. „Wir wissen nicht, was auf uns zukommt“, sagt einer mit der Materie befasster Diplomat. Tausende Rechtsakte müssen geändert werden.
Schwierig wird laut Kern auch, den Ausfall des zweitgrößten Nettozahlers der EU zu kompensieren. Nach ersten Schätzungen würden im EU-Budget netto 8 Mrd. Euro ausfallen, die eingespart werden müssten. „Da wird es nicht reichen, 13 Kommissare zu streichen“, sagte er – ein kleiner Seitenhieb auf Außenminister Sebastian Kurz, der eine Verkleinerung der EU-Kommission gefordert hatte. Österreichs Ziel sei keine Mehrbelastung , was aber aber auch Kürzungen bei EU-Förderungen bedeute.
„Im Gepäck“ hatte Kern Österreichs Bewerbung für die EU-Arznemittelagentur mit rund 900 Mitarbeitern, die nach dem Brexit von London auf den Kontinent übersiedeln muss. Österreich habe sehr viel zu bieten, sagte der Kanzler. Die Entscheidung wird – auf Basis eines Prozedere, das bis Juni fixiert sein soll – im Herbst fallen.

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