Brexit: EU-Chefverhandler Barnier warnt Briten vor Illusionen

Barnier warnte, die Einhaltung der Finanzverpflichtungen seien für die Durchführung der EU-Regionalprogramme erforderlich. Zahlen der Kosten für Großbritannien nannte Barnier keine. Es gebe verschiedene Schätzungen. In Presseberichten ist von zwischen 60 Mrd. und 100 Mrd. Euro die Rede, welche die EU London in Rechnung stellen will.

Ziel der ersten Verhandlungsphase sei es, zu einer klaren Berechnungsmethode zu kommen, sagte der frühere französische EU-Regionalkommissar. Für die Vergangenheit gebe es eine klare Methodik, doch würden sich die Kosten weiter entwickeln. Auch die Garantien für das EU-Budget, für die Europäische Investitionsbank (EIB) und für den EU-Investitionsfonds müssten berücksichtigt werden.

„Das ist keine Bestrafung und auch keine Austrittssteuer“, fügte Barnier hinzu. Der EU-Chefverhandler machte klar, dass die EU erst über die künftigen Beziehungen mit Großbritannien im Rahmen eines Freihandelsabkommens verhandeln wird, wenn grundlegende Fragen geklärt seien. Dazu gehörten die Rechte der europäischen Bürger, der Finanzausgleich und die künftigen Außengrenzen der EU.

„Eine der Grundvoraussetzungen ist es, dass wir bestimmte Reihenfolgen einhalten“, sagte Barnier. Übergangsregelungen seien jetzt kein Thema. „Ich hoffe im Herbst, Oktober oder November, in der Lage zu sein festzustellen, ob wesentliche Fortschritte“ erreicht worden seien.

Barnier warnte vor Illusionen im Zusammenhang mit den bevorstehenden Brexit-Verhandlungen. Einige hätten die Illusion geschaffen, „dass der Brexit keine wesentliche Auswirkungen auf unser Leben hat oder dass die Verhandlungen schnell und schmerzfrei sein werden“, sagte Barnier. 43 Jahre Beziehung müssten aufgedröselt werden, und jene, „die gesagt haben, es gibt keine Konsequenzen, haben gelogen“, so der ehemalige EU-Kommissar. Er sei beeindruckt, wie komplex das sei, „rechtlich, technisch und welche Konsequenzen das hat“.

Die EU werde für die rund 3,2 Millionen Unionsbürger „lebenslange“ Garantien ihrer bisherige Rechte auf Aufenthalt, Arbeit und Studium fordern, betonte Barnier. Er machte auch klar, dass er auch die Rechte jener EU-Bürger wahren wolle, “ die erst nach dem Brexit nach Großbritannien übersiedeln wollen“. Das gelte für den Zugang zum Arbeitsmarkt, zum Bildungssystem und zum Gesundheitssystem, ebenso müsse die gegenseitige Anerkennung von Abschlüssen garantiert werden. Auch bisher erworbene Pensionsrechte sollen nach den Plan der EU erfasst werden.

Der Franzose und frühere EU-Kommissar schloss auch ein Scheitern der Brexit-Gespräche nicht aus. „Wir bereiten uns auf alle Optionen vor. Ich arbeite auf eine Einigung hin“, sagte er. Er hoffe auf einen Abschluss der Brexit-Verhandlungen im Oktober 2018, sagte er. Dies würde in die Zeit der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft fallen.

Die EU-Staaten sollen das Verhandlungsmandat der europäischen Seite am 22. Mai beschließen, starten werden die Gespräche erst nach der britischen Parlamentswahl am 8. Juni. Die konservative Premierministerin Theresa May hatte die Wahlen vorgezogen, um ihre innenpolitische Position zu stärken.

Das Abendessen mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und der britischen Premierministerin Theresa May sei entgegen anderslautenden Medienberichten seiner Meinung nach „sehr freundlich und umgänglich“ verlaufen, sagte Barnier. Er und May hätten ein gemeinsames Hobby, ergänzte Barnier, beide gingen sehr gerne in den Bergen wandern. Da lerne man „einen Fuß vor den anderen zu setzen und man muss aufpassen, dass man nicht zu schnell aus dem Atem kommt, man will ja bis zu Gipfel kommen.“

Juncker betonte am Mittwoch, er habe „tiefen Respekt“ vor der britischen Regierungschefin. Die Aussage Mays, sie sei eine „bloody difficult woman“ („sehr schwierige Frau“), wollte der EU-Kommissionspräsident nicht bewerten. Er selbst drücke sich nicht so aus. „Ich mag sie als Person, sie ist eine knallharte Frau“, so Juncker. Gelassen äußerte er sich zur Drohung der britischen Brexit-Ministers David Davis, den Verhandlungstisch notfalls verlassen zu wollen. „Alle, die rausgehen, müssen zurückkommen“, sagte Juncker.

Die britische Premierministerin May beschuldigte europäische Politiker indes jedoch, mit Drohungen Einfluss auf die Parlamentswahl in Großbritannien nehmen zu wollen. Das sagte sie am Mittwoch in einer Stellungnahme in London. Sie erhob auch schwere Vorwürfe gegen EU-Spitzenvertreter. „Bestimmte Leute in Brüssel wollen keinen Erfolg der Verhandlungen“, sagte sie.

Im Vereinigten Königreich wird am 8. Juni vorzeitig ein neues Parlament gewählt. May will sich damit mehr Rückendeckung für die Brexit-Verhandlungen verschaffen. Die konservative Ministerpräsidentin gerät innenpolitisch immer stärker unter Druck, weil sie mit ihren Forderungen bei den EU-Partnern auf Granit beißt.

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