Meinungsforscher und Experten erwarten Neuwahlen

Meinungsforscher und Politikexperten sehen Österreich nach der jüngsten Regierungskrise und dem Rücktritt von Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner auf Neuwahlen zusteuern.

„Mitterlehner tritt zurück. Das heißt automatisch Neuwahlen. Alles andere ist undenkbar“, sagte OGM-Chef Wolfgang Bachmayer im APA-Gespräch. Auch der Politikberater Thomas Hofer hält dies für ein mögliches Szenario.

Laut Bachmayer muss Außenminister und ÖVP-Hoffnung Sebastian Kurz nun den Parteiobmann machen. „Eine solche Gelegenheit einer Machtfülle eines ÖVP-Obmannes gab es selten. Kurz ist in der Situation, wo er den als schwierig bekannten Parteigranden die Bedingungen diktieren kann, bis hin zur Gestaltung der Nationalratswahlliste.“

Bachmayer geht davon aus, dass Kurz Interesse an einem kurzen Wahlkampf hat. „Je länger es dauert, desto mehr Gefahren könnten entstehen. Ich rechne mit einer schnellen Entscheidung und einem raschen Neuwahltermin im September oder Oktober.“

Länder, die 2018 wählen: Salzburg zum Beispiel

Die Bundesländer, die kommendes Jahr wählen, wollten dies ebenfalls. „Die fürchten wie der Teufel das Weihwasser, dass sie für dieses entsetzliche Bild der Regierung abgestraft werden.“ Und auch Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) müsse letztlich an Wahlen vor den Landtagswahlen im Frühjahr 2018 interessiert sein. Das zu erwartende schlechte Abschneiden der SPÖ bei den Landtagswahlen würde dem Parteichef nämlich den schlechten Zustand der SPÖ bescheinigen. Der OGM-Chef schenkt dem Kern-Angebot einer „Reformpartnerschaft“ mit der ÖVP und mit Kurz deshalb nicht wirklich Glauben. „Das muss er sagen, weil jetzt beginnt der Kampf um den Schwarzen Neuwahl-Peter. Kern wird sich hüten zu sagen, dass er mit seiner Kommunikations- und Inszenierungspolitik auf Wahlen hinarbeitet. Er ist ja schon im Wahlkampf. Er muss nur noch aufs Gas steigen. Auch Kern hat ein vitales Interesse an Wahlen.“

HC Strache: „Der nette Blaue von nebenan“?

Durch den Fokus auf Kern und Kurz müsse sich die FPÖ laut Bachmayer eine Neupositionierung überlegen. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache könnte – ähnlich wie Norbert Hofer im Bundespräsidentschaftswahlkampf – als der „nette Blaue von nebenan“ auftreten.

Auch der Politikberater Thomas Hofer hält baldige Neuwahlen für ein realistisches Szenario. Alle anderen Varianten wären für Kurz im Falle einer Übernahme der ÖVP „nicht besonders prickelnd“. Wenn er als ÖVP-Obmann und Vizekanzler die Regierung mit Kanzler Kern weiterführt, bringe ihn das „in keine gute Position“. Sollte vorübergehend ein anderer ÖVP-Politiker den Posten des Vizekanzlers übernehmen, würde ihm das „wahrscheinlich eher als Feigheit ausgelegt“. Bleibe die Variante „lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“. Für Hofer eine durchaus „gangbare Geschichte“. Dafür brauche er aber entsprechende Kompetenzen und das Pouvoir seiner Partei. „Die eigene Partei ist es, was er zuerst zu überwinden hat, dann die Frage, ob es Sinn macht, in der Regierung weiterzuwursteln.“

Mitterlehner hat größtmöglichen Schaden angerichtet

Den Rücktritt Mitterlehners beurteilte Hofer als Schlag für die ÖVP. „Mitterlehner hat den größtmöglichen Schaden für sich und seine Partei angerichtet.“ Mit der Aussage, dass die Spitzen der Partei und auch sein präsumtiver Nachfolger schon monatelang wüssten, dass er nicht als Spitzenkandidat der ÖVP in eine Wahl gezogen wäre und er nicht Platzhalter auf Abruf sein wolle, bis irgendjemand Zeitpunkt, Struktur oder Konditionen festlegt, habe Mitterlehner eine „klare Zuweisung der Brutus-Rolle“ vorgenommen. Der Erwartungsdruck auf Kurz sei nun jedenfalls „immens hoch“

Neuwahl nicht vor dem Sommer, Frühherbst wahrscheinlich

Zerbricht die Koalition mit dem ÖVP-Obmannwechsel, findet die vorgezogene Wahl höchstwahrscheinlich im frühen Herbst – Ende September/Anfang Oktober – statt. Vor den Sommerferien geht sich nicht aus, denn für die Vorbereitung einer Wahl sind drei Monate nötig. Dennoch brächte die Neuwahl das Ende des Eurofighter-U-Ausschusses, noch ehe er seine Arbeit richtig aufgenommen hat.

Ein U-Ausschuss muss seine Arbeit nämlich beenden, sobald das „Bundesgesetz zur vorzeitigen Beendigung der Gesetzgebungsperiode“ kundgemacht wird. Dieses kurze Gesetz – das als „Neuwahlantrag“ von den Parteien im Nationalrat eingebracht wird – ist der erste Schritt zur vorgezogenen Wahl. Es könnte bereits nächste Woche im Nationalrat beschlossen werden.

Darin wird noch kein Wahltermin festgelegt, sondern nur beschlossen, dass sich der Nationalrat vor Ablauf der – nunmehr 25. – Gesetzgebungsperiode auflöst. Dafür braucht man prinzipiell zwei Tage (Einbringung in einer Sitzung, Zuweisung an den Verfassungsausschuss, Behandlung im Ausschuss und Beschluss im Plenum). Notfalls kann der Ausschussbeschluss auch mit einer Fristsetzung umgangen und der Antrag noch am Tag der Einbringung vom Plenum abgesegnet werden. Diese Not besteht jetzt allerdings nicht: Kommende Woche tagt der Nationalrat zwei Tage lang: Am Dienstag könnte der Antrag eingebracht, am Mittwoch im Plenum beschlossen werden.

Nach dem Nationalrat ist die Regierung am Zug: Sie legt den Wahltermin fest, in Abstimmung mit dem Hauptausschuss des Nationalrates. Der Ministerrat beschließt eine Verordnung mit Wahltermin und Stichtag (82 Tage davor), der Hauptausschuss muss sie bestätigen – und den Bundespräsidenten ersuchen, die Kundmachung im Bundesgesetzblatt öffentlich zu machen.

Diese „Ausschreibung der Wahl“ muss laut Nationalratswahlordnung vor dem Stichtag erfolgen – und der „muss am zweiundachtzigsten Tag vor dem Wahltag“ angesetzt werden. Mit dieser gesetzlichen Regelung ist sichergestellt, dass die Wahlbehörden genug Zeit für die Vorbereitung haben.

Alles zusammen dauert es mindestens rund 90 Tage von der Neuwahl-Entscheidung bis zum Wahlsonntag. Mit einem Auflösungsbeschluss kommende Woche könnte also frühestens Mitte August gewählt werden – mitten in den Sommerferien. Eine Höchstdauer zwischen Neuwahlantrag und Wahltermin gibt es in Österreich nicht, theoretisch könnte auch bei einem Auflösungsbeschluss kommende Woche die Regierung einen Termin im Frühjahr 2018 festlegen. Dagegen spricht freilich, dass zwischen März und Mai kommenden Jahres vier Landtagswahlen anstehen.

Theoretisch wäre jedoch viel Zeit, weil die reguläre Wahl erst Ende September/Anfang Oktober ansteht. Mit einer Neuwahl im heurigen Herbst würde die Legislaturperiode genau um ein Jahr verkürzt – auf die vier Jahre, die sie früher regulär gedauert hat. Die jetzige Periode ist erst die zweite fünfjährige. Die erste, von 2008 bis 2013, hat die rot-schwarze Koalition voll durchgedient.

Zwischen Auflösungsbeschluss und Neuwahl wäre Österreich auch nicht ohne Gesetzgeber: Der jetzige Nationalrat bleibt im Amt bis sich der neue – spätestens 30 Tage nach der Wahl – neu konstituiert. Er kann auch noch Gesetz beschließen. So wurde im September 2008, kurz vor der von ÖVP-Chef Wilhelm Molterer ausgerufenen Neuwahl, u.a. noch die Studiengebühren abgeschafft, und zwar von der SPÖ zusammen mit FPÖ und Grünen.

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