„New York Times“ schreibt von „tektonischer Verschiebung“

Der G-7-Gipfel war für Angela Merkel ernüchternd. „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt“, sagte Merkel mit Bezug auf die USA bei einem Bierzelt-Auftritt in Bayern.

Sie kritisierte dabei die US-Regierung unter Donald Trump, bezog sich aber auch auf den bevorstehenden Brexit. Merkels Fazit: „Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen.“ Das Publikum klatschte minutenlang.

US-Präsident Donald Trump hatte die Gruppe der sieben großen Industrienationen (G 7) mit seinem Konfrontationskurs in der Klimapolitik in eine schwere Krise gestürzt. Massive Differenzen gab es auch beim Umgang mit Flüchtlingen. Der Gesichtswahrung dienende Formulierungen fanden die G 7 in letzter Minute immerhin zum Thema Handel.

Die Beziehung Europa-USA entfremdet sich

US-amerikanische Medien werteten die Rede Merkels als Beginn einer neuen, sich entfremdenden Beziehung zwischen Europa und den USA. Die „Washington Post“ bezeichnete die Rede von „Europas de facto Anführerin“ als „ungewöhnlich eindeutig“. Sie biete eine düstere Aussicht auf die transatlantischen Beziehungen, die seit dem Zweiten Weltkrieg die Sicherheit des Westens sicherstellten. Obwohl es seit 1945 durchaus Probleme in Bezug auf die Beziehungen zwischen den USA und Europa gegeben habe, sei das Bewusstsein niemals so stark gewesen, dass Europa bei den globalen Problemen auf sich allein gestellt ist.

Obwohl Merkel während ihrer Rede den Namen Trump kein einziges Mal fallen ließ, seien ihre Aussage eine direkte Reaktion auf Trumps „desaströse Europareise, seine Worte und seine Taten“. Sie könne der verbale Auftakt einer langfristigen Entfremdung zwischen den USA und Europa sein, die länger andauern könnte als Donald Trumps Präsidentschaft. Eine stärkere militärische Zusammenarbeit innerhalb Europas und zahlreiche Abkommen mit asiatischen Ländern, die Trump “verprellt“ habe, könnten den globalen Einfluss der USA erheblich schwächen. Merkel habe keinen Zweifel daran gelassen, dass die EU an den schwächer werdenden transatlantischen Beziehungen wachse.

Merkel sei charakterlich das genaue Gegenteil von Donald Trump – sie sei „äußerst vorsichtig“, ihre Rede kein „impulsives Manöver“. Sie sei der Beginn einer “neuen EU“ – die stärker, selbstbewusster und unabhängiger von den USA sei.

„New York Times“ spricht von „tektonischer Verschiebung“

Angela Merkels „starke Aussagen“ bedeuteten eine „tektonische Verschiebung“ in den transatlantischen Beziehungen, meint die „New York Times“. Wenn die USA sich militärisch im Ausland zurückhielten, werde Deutschland gemeinsam mit Frankreich eine zunehmend dominantere Rolle spielen.

Merkels Statement sei auch als Ankündigung an ihre Wähler zu sehen, die mit ihr als Bundeskanzlerin ein „aktiveres Europa“ und mehr internationale Einmischung bekämen.

Hat Angela Merkel die westliche Nachkriegsordnung mit ihrer Rede in Frage gestellt? Das Politikmagazin „Politico“ meint „nein“. Merkels Rede stehe vielmehr in einer Linie mit ihren früheren Äußerungen zu Trump und ihrem Wunsch nach einer stärkeren europäischen Zusammenarbeit. Die Besonderheit sei, dass Merkel Europa erstmals als Gewinnerthema für die anstehenden Wahlen entdeckt habe.

Lesen Sie auch

US-Präsident greift an

Man dürfe Merkels Worte nicht auf die Goldwaage legen. Sie seien vielmehr ein Wahlkampfmanöver, mit dem sie ein USA-kritisches Wählerklientel erreichen wolle. Es sei zu früh von einer massiven Veränderung in den transatlantischen Beziehungen zu sprechen. Sie hätte für eine solche Ankündigung kein bayerisches Bierzelt aufgesucht. Trotz Donald Trump seien die USA ein wichtiger Handels- und Sicherheitspartner für Deutschland – das werde sich auch so schnell nicht ändern. Merkel habe mehrfach deutlich gemacht, dass Deutschland die USA brauche – unabhängig davon, wer gerade im Weißen Haus sitzt.

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*