Müssen die Briten 759 Vereinbarungen mit 168 Ländern neu aushandeln?

© EPA Brexit Gegner demonstrieren in London.

Schafft es die britische Regierung, innerhalb von zwei Jahren eine Einigung über die Modalitäten des EU-Austritts mit den übrigen EU-Ländern zu erreichen? Viele Zweifel bestehen. Die britische Premierministerin Theresa May hat gerade erst selbst daran erinnert, indem sie einmal mehr öffentlich zu Protokoll gab, dass ihr Land eher kein Abkommen schließen werde als ein schlechtes zu unterzeichnen.

Tatsächlich ist die Herausforderung für die Regierung des Vereinigten Königreichs und ihre Verwaltung wohl noch viel größer. Denn es geht nicht „nur“ um die Gespräche zwischen London und Brüssel. Eine Vielzahl von Vereinbarungen über Handel und Regulierung muss Britannien neu verhandeln, wenn das Land nach dem „Brexit“ mit der übrigen Welt mindestens so verbunden sein möchte wie jetzt.

„Nächstliegender Vergleich ist das Ende eines Staates“

Das geht aus einem Bericht der „Financial Times“ hervor. Demzufolge geht es um nicht weniger als 759 Vereinbarungen mit 168 Ländern. Diese hat die EU mit sogenannten Drittstaaten geschlossen, also Ländern, die ihr nicht angehören. Vielleicht nicht jede einzelne, aber wohl die allermeisten davon sind auch für die Briten so relevant, dass sie daran in irgendeiner Form festhalten müssen.

© reuters May im TV-Interview: Keine Brexit-Einigung um jeden Preis

Demnach geht es allein um 295 zwischen der EU und Drittstaaten geschlossene bilaterale Handelsverträge. Hinzu kommen 202 Vereinbarungen über Regulierung zum Beispiel des Datenverkehrs, der Finanzbranche und von Kartellen. Dazu gibt es noch spezielle Regeln wie etwa Fischerei, Flug- und Landerechte oder heikle Fragen wie etwa die Lieferung von radioaktivem Material und Bauteilen für Atomkraftwerke inklusive des dazugehörenden Knowhows. „Wir sprechen über eine enorme Zahl komplexer Rechtsgeschäfte, auf die wir heute angewiesen sind“, sagte der frühere britische EU-Botschafter Lord Hannay dazu der „Financial Times“.

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Auf jede einzelne Vereinbarung müssen sich die Briten grundsätzlich mit der jeweiligen Drittpartei verständigen. In der Luftfahrt etwa hängt von den Vereinbarungen ab, dass britische Flugzeuge in den Vereinigten Staaten, Kanada oder Israel landen dürfen. Insgesamt über alle Bereiche hinweg geht es dem Bericht zufolge allein um 49 Vereinbarungen mit der Schweiz, 44 mit den Vereinigten Staaten und 38 mit Norwegen. In einigen Fällen müssten sich die Briten nur mit dem jeweiligen Drittstaat einigen, in manchen müssen andere Länder zustimmen.

Als wahrscheinlich gilt, dass viele dieser Länder auch ein Interesse daran haben, einen möglichst guten Zugang zum britischen Markt zu bekommen. Unklar ist aber, was das für die möglichen Verhandlungen bedeutet. Ob bestehende Regeln etwa einfach übernommen werden können und in den Verträgen mehr oder weniger nur das Wort „EU“ durch „UK“ ersetzt werden muss. Mindestens müssen wohl in jedem einzelnen Fall die Parlamente zustimmen. Das kostet Zeit und bindet Personal.

„Der nächstliegende Vergleich, an den man denken kann, ist das Ende eines Staates – du startest beinahe ganz von Neuem“, sagte Andrew Hood, ein früherer Anwalt der britischen Regierung, der für die Kanzlei Dechert arbeitet, der „FT“: „Das wird ein sehr schwieriger, iterativer Prozess sein.“

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