Theresa Mays Vorschlag zur Zukunft der EU-Bürger stößt in Brüssel auf Ablehnung

© AFP Premierministerin Theresa May sprach von einem „sehr fairen und sehr ernsthaften Angebot“. Das sahen jedoch nicht alle so.

Genau ein Jahr war seit dem Brexit-Referendum vergangen, als sich die EU-Staats- und Regierungschefs am Freitag zum zweiten Tag ihres Gipfels in Brüssel versammelten. In ihren Beratungen spielte das Thema dennoch keine Rolle. Die britische Premierministerin Theresa May hätte am Donnerstagabend zwar gerne eine Diskussion über ihren Vorschlag für die Zukunft der 3,2 Millionen EU-Bürger geführt, die im Vereinigten Königreich leben. Ratspräsident Donald Tusk aber lehnte das ab. „Der Europäische Rat ist kein Forum für Brexit-Verhandlungen“, stellte Tusk klar. Auf dem Gipfeltreffen gehe es um die Zukunft der EU, nicht deren Vergangenheit, fügte Bundeskanzlerin Angela Merkel hinzu.

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So erhielt May nur die Gelegenheit, ihren seit langem angekündigten „großzügigen“ Vorschlag für die EU-Bürger in Großbritannien vorzustellen. Anschließend wurde sie hinauskomplimentiert, damit der Brexit-Chefunterhändler der EU, Michel Barnier, die 27 verbleibenden Staats- und Regierungschefs über den Auftakt der Austrittsgespräche zu Wochenbeginn unterrichten konnte und diese das einzige Thema mit Brexit-Bezug auf der Agenda, die Bedingungen für den nötigen Umzug der Bankenaufsicht und der Arzneimittelbehörde von London aufs europäische Festland, diskutieren konnten. Die Debatte dauerte nur vier Minuten. Die Rest-EU ist inzwischen geübt darin, bei Brexit-Themen Geschlossenheit zu zeigen.

Vorschlag reicht nicht aus

Merkel bezeichnete den Vorschlag Mays als „guten Anfang – aber eben auch noch nicht den Durchbruch“. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker äußerte sich ähnlich. Das sei ein erster Schritt: „Aber dieser Schritt ist nicht ausreichend.“ Am deutlichsten formulierte seine Enttäuschung EU-Ratspräsident Donald Tusk. „Mein erster Eindruck ist, dass das Angebot des Vereinigten Königreichs unter unseren Erwartungen liegt“, sagte er nach dem Ende des Gipfels.

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Der Vorschlag von May sieht vor, dass kein momentan im Vereinigten Königreich lebender EU-Bürger nach dem Brexit gezwungen wird, das Land zu verlassen. Nach fünf Jahren Aufenthalt sollen die Betroffenen auf Antrag Anspruch auf einen dauerhaften Aufenthaltsstatus haben, für den Antrag aber wohl nur maximal zwei Jahre Zeit haben. Der Aufenthaltsstatus soll ihnen einen gleichberechtigten Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem sowie zu allen Sozialleistungen verschaffen.

Weitere Details folgen am Montag

Offen blieb unter anderem, welches Datum als Stichtag gelten soll, der Tag des Austritts selbst oder der Tag, an dem die Briten die Austrittserklärung nach Artikel 50 des EU-Vertrags abgegeben haben. May verzichtete am Freitag darauf, ihr Angebot – wie zuvor der britischen Chefunterhändler David Davis – als „großzügig“ zu bezeichnen. Sie sprach von einem „sehr fairen und sehr ernsthaften Angebot“. Die britische Regierung werde am Montag weitere Details vorlegen. Aus den EU-Institutionen hieß es, von einem „großzügigen Angebot“ hätte May auch nicht mit gutem Gewissen sprechen können. „Alles andere wäre ja eine Kampfansage gewesen“, sagte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn.

Tatsächlich bleibt das Angebot klar hinter dem von der EU vorgelegten Vorschlag für die Rechte der 3,2 Millionen in Großbritannien lebenden EU-Bürger und der 1,2 Millionen in der EU lebenden Briten zurück. Das gilt etwa für den Familienzusammenzug, den die Briten einschränken wollen, und für einen problemlosen Wohnsitz- und Arbeitsplatzwechsel zwischen der EU und Großbritannien. Außerdem sind die Briten weiterhin nicht bereit anzuerkennen, dass der Europäische Gerichtshof bei strittigen Fragen die letzte Instanz sein soll, wie von der EU gefordert.

Zusammenarbeit mit nordirischer Unionistenpartei sorgt für Unmut

Positiv sei immerhin, dass die Briten überhaupt etwas vorlegten, hieß es in Brüssel. Schließlich sei seit der Austrittserklärung vom 29. März mit den Wahlen genug Zeit verplempert worden. Auch der Beginn der eigentlichen Austrittsgespräche am vergangenen Montag habe wenig Klarheit geliefert. May habe vor allem aus innenpolitischen Gründen darauf gedrungen. Es sei aber offenkundig, dass die Findungsphase in Großbritannien noch nicht abgeschlossen sei.

© Reuters, reuters May über Brexit: „Keiner wird gehen müssen“

Als neue Hürde für die Verhandlungen gilt in Brüssel nicht zuletzt die geplante Zusammenarbeit der Tories mit der protestantischen nordirischen Unionistenpartei DUP. Diese stoße bei der irischen Regierung auf großes Befremden, hieß es in EU-Diplomatenkreisen. Es widerspreche nicht zuletzt der Rolle der britischen Regierung als Garant des sogenannten Karfreitagsabkommens, mit dem der gewalttätige Nordirlandkonflikt 1998 beendet wurde, wenn eine der Konfliktparteien mit der Regierung auf der Basis eines Kooperationsabkommen zusammenarbeite. Damit werde eine Einigung über die – neben den Rechten der EU-Bürger in Großbritannien und der 100-Milliarden-Euro-Austrittsrechnung – wichtigsten Frage des Austritts spürbar erschwert: die Frage der Grenze zwischen Irland und Nordirland.

Kein Exit vom Brexit

Aus dem Umfeld von Chefunterhändler Barnier hieß es am Freitag, dass der Zeitdruck angesichts der neuen Schwierigkeiten in dieser Frage und dem alles in allem enttäuschenden Angebot für die Rechte der EU-Bürger nicht geringer werde. Eine Verlängerung der im EU-Vertrag auf zwei Jahre angesetzten Gespräche wurde allerdings ebenso ausgeschlossen wie ein Abrücken der Briten vom „harten Brexit“ (Austritt aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion) oder gar vom Brexit überhaupt.

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Tusk hatte zum Auftakt des Gipfeltreffens unter Anspielung auf die Zeile „You may say I’m a dreamer, but I’m not the only one“ aus dem Lied „Imagine“ von John Lennon gesagt, er halte einen Exit vom Brexit für möglich. Der belgische Premierminister Charles Michel antwortete darauf direkt: „I am not a dreamer and I am not the only one. Wir müssen die Entscheidung des Vereinigten Königreichs respektieren.“

© Opinary

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