Ende eines Kampfes? Was die „Ehe für alle“ in Deutschland bedeutet

Um die Tragweite dessen zu ermessen, was am Freitag im deutschen Bundestag beschlossen wurde, muss man in der Geschichte etwas ausholen. Der deutsche Staat hat wegen des lange gültigen Strafrechtsparagrafen 175 eine unrühmliche Historie der Homosexuellenverfolgung. Lesben und Schwule dürfen also nun richtig heiraten – ein historischer Moment. SPD, Grüne und Linke stimmten für die Ehe für alle, und auch fast ein Viertel der Unionsfraktion (75 Abgeordnete).

Wie kam es diese Woche so schnell zur Abstimmung über die Ehe für alle, für die laut neuestem ZDF-„Politbarometer“ 73 Prozent der Menschen in Deutschland sind und die nach Meinung der meisten niemandem schadet und keinem etwas wegnimmt?

Eine „Gewissensentscheidung“

Bei einer Veranstaltung der Zeitschrift „Brigitte“, auf der Bundeskanzlerin Angela Merkel auch Fragen aus dem Publikum beantwortete, stellte Ulli Köppe, Mitarbeiter des schwulen Verlagshauses „Blu“, am Montagabend die alles auslösende Frage: „Wann darf ich meinen Freund Ehemann nennen, wenn ich ihn denn heiraten möchte?“ Die dpa-Reporterin Kristina Dunz hörte in der Antwort das Wort „Gewissensentscheidung“, was als Dammbruch in der jahrelangen Blockadehaltung der Union gelten kann. Sie schrieb eine Eilmeldung: „Merkel rückt vom Nein der CDU zur Ehe für alle ab.“

Hintergrund dieser Kehrtwende: Alle potenziellen Koalitionspartner der Union nach der Bundestagswahl im September, darunter auch die FDP, hatten sich zuletzt festgelegt, die Ehe für alle als Bedingung für eine neue Regierung anzuführen – ausgegangen war dies von den Grünen, bei denen Volker Beck seit Jahrzehnten für Homorechte kämpft.

„Ich bin schwul, und das ist auch gut so“

Die Meldung über Merkels neue Sicht landete auch auf den Mobiltelefonen der SPD-Spitze, die eine Chance witterte. Warum warten, bis Merkel das Thema nach der Bundestagswahl behandeln will? Die Ehe für alle gärte seit langem.

Bei der SPD, zu deren Geschichte der Satz „Ich bin schwul, und das ist auch gut so“ des späteren Berliner Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit gehört, ärgerte man sich, dutzende Male gegen das eigene Programm im Zuge der Koalitionstreue eine Abstimmung darüber vertagt zu haben. Da eine Mehrheit gegen die Union als sicher galt, setzte die SPD die Abstimmung in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause zusammen mit Grünen und Linken auf die Tagesordnung.

Der Weg bis zu diesem Tag war lang, wie die Geschichte zeigt:

Im Deutschen Reich ab 1871 bedrohte Paragraf 175 „widernatürliche Unzucht“ zwischen Männern mit bis zu sechs Monaten Gefängnis. Die Nationalsozialisten verschärften ihn 1935. Während der systematischen Schwulenverfolgung der Nazis wurden mehr als 100 000 Männer polizeilich erfasst und etwa 50 000 nach Paragraf 175 verurteilt. Zwischen 10 000 und 15 000 Homosexuelle wurden in Konzentrationslagern gequält, Tausende ermordet.

Paragraf erst 1994 endgültig abgeschafft

Nach 1945 behielt die Bundesrepublik die NS-Fassung des Paragrafen weitgehend bei, während die ebenfalls 1949 gegründete DDR zur alten Fassung zurückkehrte. Strafrechtliche Verfolgung gab es also für westdeutsche Schwule bis 1969 weiter, etwa 50 000 Urteile wurden gefällt. Erst vergangene Woche rehabilitierte der Bundestag Tausende homosexuelle Justizopfer der Bundesrepublik.

Erst im Jahr 1994 wurde der Paragraf endgültig abgeschafft – zuletzt gab es noch unterschiedliche Schutzalter. Seit den 70er Jahren machte eine zunächst antibürgerliche Schwulenbewegung Schlagzeilen, die meist gegen die Ehe eingestellt war. Im Jahr 1992 aber, also vor 25 Jahren, organisierte der damalige Schwulenverband in Deutschland (SVD; inzwischen heißt er LSVD), die „Aktion Standesamt“. Dutzende Paare, darunter die Komikerin Hella von Sinnen und ihre Partnerin Cornelia Scheel, bestellten das Aufgebot. Erwartungsgemäß lehnten die Standesämter dies ab, Gerichte wiesen Beschwerden dagegen ab.

2001 führte Rot-Grün das Lebenspartnerschaftsgesetz ein. Im Laufe der Jahre wurde es in vielen Bereichen gleichgestellt. Zuletzt bestand noch ein Verbot der gemeinsamen Adoption. Nun wird mit der Entscheidung des Bundestags das „LPartG“ mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes hinfällig. Wer eine Lebenspartnerschaft eingegangen ist, kann sie künftig beim Standesamt in eine Ehe umwandeln.

Der US-Historiker Robert Beachy, der zur deutschen Schwulengeschichte geforscht hat („Das andere Berlin – Die Erfindung der Homosexualität“) sagte zur aktuellen Entwicklung: „Die Homo-Ehe ist eine besonders bittere Pille für die CSU. So lange sie die Homo-Ehe aufhalten konnte, bewies sie sich ihre Macht und Relevanz als politische Partei. Ich glaube, für Merkel ist das letztendlich unwichtig und nur eine politische Sache.“ Es gebe für Merkel und insgesamt in der EU zunehmend eine Art „Homo-Nationalismus“, meint Beachy: Die Akzeptanz Homosexueller werde als Fortschrittsmerkmal eingestuft und zu einem Teil kultureller Identität stilisiert, etwa in Abgrenzung zu islamisch geprägten Ländern oder zu Russland.

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