Der May-Einflüsterer

Am Montag vor zwei Wochen stand Theresa May im Unterhaus und beschwor die Abgeordneten, ihren Brexit-Deal anzunehmen. „Dies ist der Moment. Der Moment, in dem wir zusammenkommen müssen, um dieses Abkommen anzunehmen und damit den Deal abzuschließen. Nur wenn wir das tun, können wir endlich mit dem anfangen, wofür wir eigentlich gewählt worden sind.“

Die Stimme versagte May mehrfach, während ihre Augen mit einem heftige Emotion verratenden Blick die Parlamentarier fokussierten. Kein einziges Mal wanderten ihre Augen nach oben. Dahin, wo der wichtigste Mensch in Mays Leben das Drama verfolgte.

Philip May war an jenem Dienstagmittag ins Unterhaus gekommen. Er saß still auf einer der hölzernen Bänke gleich neben der Pressegalerie, mit seinem immer freundlichen Lächeln. Jener Mann, der seit mehr als vier Jahrzehnten „mein Fels ist“, wie seine Ehefrau einmal sagte.

Für Mays Parteikollegen ist der 61-Jährige mittlerweile etwas ganz anderes. „Philip May ist keine Hilfe. Er sagt ihr die ganze Zeit, dass sie weiterkämpfen muss. Aber wir sind an einem Punkt angelangt, an dem seinerzeit Denis Thatcher (zur damaligen Premierministerin Margaret Thatcher, d. Red.) sagte: ,Es ist Zeit, altes Mädchen, um Schluss zu machen’“, zitiert die „Sunday Times“ einen Regierungsinsider.

Exklusiv für Abonnenten
Sir Ian Kershaw

Sir Ian Kershaw

Das Drama, das an diesem Wochenende in der Downing Street abläuft, erinnert an die letzten Tage von Margaret Thatcher, der legendären Tory-Chefin. Auch sie wollte bis zuletzt nicht gehen und musste im November 1990 von ihren Kabinettskollegen zum Rücktritt gezwungen werden. Während Thatchers Mann Denis dem Kabinett Schützenhilfe leistete, um die Eiserne Lady zur Machtaufgabe zu bringen, tut Philip May offenbar das Gegenteil.

Wie seine Frau ist die Konservative Partei für den einstigen Portfolio-Manager alles. Seit Jugendtagen Mitglied, wollte er selbst anfangs in die Politik gehen. Als seine Frau 1997 zur Abgeordneten gewählt wurde, ließ er ihr jedoch endgültig den Vortritt und arbeitete seither erfolgreich im Finanzsektor.

Als „blaublütige Tories“ wird das Paar beschrieben. Sinngemäß die blaue Farbe der Konservativen in den Adern, ist Wohl und Weh der Partei ihr Lebensantrieb. Die Zukunft der Partei aber steht durch den Brexit auf der Kippe.

Es steht schlecht um die Konservative Partei

Denn sie ist so gespalten, dass nur noch wenige an ihr Überleben in heutiger Form glauben. Drei bekannte proeuropäische Parlamentarier haben sie jüngst sogar verlassen. Die anderen Anti-Brexit-Verfechter in der Fraktion machen gemeinsame Sache mit der oppositionellen Labour-Partei.

Auf der anderen Seite des Spektrums stehen Hardcore-Brexit-Anhänger wie Jacob Rees-Mogg und Steve Baker. Aber auch Boris Johnson, den weniger politische Überzeugungen antreiben als die Gier auf das höchste Regierungsamt. May stand immer wieder vor der Wahl: Geht sie auf die Proeuropäer in den eigenen Reihen und bei Labour zu und rettet damit einen geordneten Brexit? Das aber hätte ihre Partei zerrissen.

Mehrfach wählte sie deshalb, auch zum Entsetzen der EU-Partner, die rechte Fraktion. Sie lehnt ein fraktionsübergreifendes Vorgehen ab, weil das in einen „weicheren“ EU-Ausstieg münden würde. Labour fordert einen Verbleib in einer Zollunion mit Brüssel. Eine der roten Linien Mays, weil das bedeuten würde, dass die EU Handelsverträge mit Drittstaaten aushandelt ohne britische Beteiligung, an die die Briten aber gebunden wären.

May ist selbst ein „Remainer“, sie stimmte 2016 gegen den Brexit. Zwar tat sie das nicht mit Euphorie, aber sie wusste um die Vorteile, die die Mitgliedschaft bedeutet. Als Nachfolgerin von David Cameron vollzog sie jedoch eine 180-Grad-Wende und verschrieb ihre Brexit-Politik vollends der Tory-Ideologie.

Exklusiv für Abonnenten
Brexit: Nach Theresa May übernehmen die Europagegner

Brexit-Krise

Dahinter, da sind sich die Beobachter einig, stand auch ihr Mann Philip. Dieser knallharte Kurs aber ist innen- wie außenpolitisch an seinem Ende angelangt. Seit vergangenem Freitag ist klar, dass die EU sich keinen Meter mehr bewegt. Entweder May bekommt ihren Deal durchs Unterhaus – was angesichts des nur noch wachsenden Widerstand in den Tory-Reihen als ausgeschlossen gilt.

Oder aber es gelingt dem Parlament bis zum 12. April, einen belastbaren Plan B vorzulegen. Ansonsten droht der No Deal, der ungeordnete Ausstieg. Von den Brexit-Extremisten abgesehen sind sich alle Lager einig, dass dies ein verheerender Ausgang wäre.

Innen- wie auch parteipolitisch ist May ebenfalls am Ende. Ihr Kopf muss rollen, und das schnell, ist sich die Spitze der Partei mittlerweile einig. Am Montag schon muss sie sich dem Kabinett stellen. In britischen Medien heißt es, die Kollegen werden sie vor die Wahl stellen: Entweder sie geht freiwillig, oder das Kabinett kollabiert durch einen Massenrücktritt.

Bittere Ironie

Die dann entscheidende Frage: Wer folgt? Und schon wieder zerreißen sich die Tories an dieser Frage. Im Gespräch ist David Lidington, qua Amt Mays Stellvertreter, der geschäftsführend übernehmen soll. Der Ex-Europaminister gilt als klarer Proeuropäer und ist für die Hardliner nicht tragbar. Übernähme hingegen ein Brexit-Vertreter, steigt das No-Deal-Risiko weiter. Denn diese wollen immer noch Kompromisse von Brüssel. Die aber wird es nicht mehr geben. Und die Uhr tickt.

Dass ausgerechnet Theresa und Philip May ihre geliebte Partei so nah an den Untergang bringen, ist bittere Ironie des Schicksals. Als Studenten wurden sie einander 1976 von Benazir Bhutto vorgestellt, der späteren Premierministerin Pakistans. Der Anlass: ein Discoabend in Oxford, veranstaltet von der Konservativen Partei.

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*