HSV vor Zweitliga-Topspiel gegen Köln: Auf der rechten Fahrspur und niemand zieht vorbei



Es könnte eine der besseren Spielzeiten in der jüngeren Vereinsgeschichte des Hamburger SV werden. Der Klub darf auf das erste Pokal-Endspiel seit 1987 hoffen, und wenn der HSV seinen zweiten Platz in der Liga hält, kehrt das Team in die Fußball-Bundesliga zurück. Wenn man den derzeitigen Zuschauerschnitt von 48.346 Fans pro Heimspiel (50.567 im Vorjahr in der Bundesliga) betrachtet, scheint die Begeisterung um den Verein groß. Die personelle Planung geht voran: Sportchef Ralf Becker konnte das vielversprechende Defensivtalent David Kinsombi, Kapitän von Holstein Kiel, für das nächste Jahr gewinnen.

So könnte Aufbruchstimmung vor dem Topduell in der zweiten Liga beim 1. FC Köln (20.30 Uhr) aussehen. Allerdings ist das nur ein grober Überblick, die härtesten Fakten sozusagen – und sie täuschen über die aktuelle Lage hinweg, ein zweiter Blick zeigt: Beim HSV ist die Stimmung mal wieder schlecht. 14 Punkte aus elf Rückrundenspielen, die vergangenen zwei Heimspiele gegen Zweitliga-Mittelmaß nach Führung noch verloren, Trainer Hannes Wolf in der Kritik. „Ist der HSV zu blöd für den Aufstieg in die erste Liga?“, fragte das „Hamburger Abendblatt“ nach der 1:2-Pleite gegen Magdeburg.

Der HSV ist immer noch Zweiter, könnte man antworten, weil sich die Konkurrenz noch blöder anstellt. Vor allem Union Berlin auf Platz drei, das seit vier Partien auf einen Sieg wartet, hat es mehrfach verpasst, Hamburg zu bestrafen. Als würde der HSV seit Wochen auf der rechten Fahrspur tuckern, aber niemand traut sich vorbeizuziehen.

Wenn der HSV bereits in den Vorjahren in die zweite Liga abgestiegen wäre, hätte der Klub stärker unter Druck gestanden: In den vergangenen neun Jahren wäre der HSV mit 51 Punkten nach 28 Spieltagen nur dreimal auf einem der beiden direkten Aufstiegsplätze gewesen, fünfmal hätten die 51 Punkte nicht für einen Platz unter den ersten drei Teams gereicht, wie unsere Übersicht zeigt. Aber hätte, hätte. Was ist los beim HSV?

  • Keine Konstanz

Auf dominante Auftritte wie im Lokalderby gegen St. Pauli (4:0) oder beim Pokal-Weiterkommen in Paderborn (2:0) folgten Niederlagen gegen Darmstadt und Magdeburg. Auffällig: Bei beiden Heimpleiten und der Niederlage in Regensburg am 23. Spieltag lag der HSV jeweils zur Halbzeit in Führung; dass der Klub am Ende nicht einmal einen Punkt gegen die klar schlechter platzierten Gegner retten konnte und sogar zweimal noch in der Nachspielzeit verlor, lässt auf eine Unsicherheit des Teams schließen und wirft die Frage auf, warum Trainer Wolf nicht gegensteuern kann.

  • Abhängigkeit von Hunt

Aaron Hunt sollte der Mannschaft diese Sicherheit auf dem Platz geben und das ist dem 32-Jährigen meist auch gelungen. In 19 Ligapartien mit Hunt hat das Team einen Punkteschnitt von 2,3 erreicht – das wären auf 34 Saisonspiele gerechnet 78 Punkte, der sichere Aufstieg.

Ohne den früheren Bremer gab es in neun Ligapartien allerdings fünf Niederlagen, zwei Remis und zwei Siege – das ergibt einen Punkteschnitt von 1,1, der auf eine komplette Spielzeit gesehen Abstiegskampf bedeuten würde. Bitter: Hunt fehlte zuletzt immer häufiger und stand 2019 erst in drei Ligapartien (drei Siege) auf dem Feld. Er wird auch gegen Köln ausfallen, Toptorjäger Pierre-Michel Lasogga (13 Tore) ist ebenfalls verletzt.

  • Fahrlässige Personalplanung

Der HSV hat einen der teuersten Kader der Zweitliga-Geschichte (der Kader soll 31 Millionen Euro kosten) – aber Trainer Wolf ist es nicht gelungen, diese teure Mannschaft so zu entwickeln, dass sie in der Liga ohne Hunt erfolgreich spielt. Wolf kam erst in der laufenden Saison zum HSV und hatte zumindest im Sommer keinen Einfluss auf die Zusammenstellung des Kaders.

Damals hätte die sportliche Leitung Zweifel an Hunt als zentrale Figur in Vollzeit haben können: In seiner mittlerweile 15 Jahre langen Profikarriere hat Hunt 135 Pflichtspiele verletzungsbedingt verpasst. Der zweite Routinier im Kader, Lewis Holtby, kämpfte bereits in den Vorjahren mit Leistungsschwankungen und drängt sich in der aktuellen Rückserie nur selten auf (erst vier Torbeteiligungen).

Kölns Team jubelt über einen Treffer (links); Aaron Hunt ist der Spielmacher beim HSV

Maja Hitij; Martin Rose/ Getty Images

Kölns Team jubelt über einen Treffer (links); Aaron Hunt ist der Spielmacher beim HSV

Mitte Februar gab es auch in Köln noch Probleme, damals verlor der Effzeh nach 2:0-Führung 2:3 in Paderborn. Sportchef Armin Veh hatte Trainer Markus Anfang für die Niederlage verantwortlich gemacht. Wenig später waren Streitigkeiten zwischen Präsident Werner Spinner und Veh bekannt geworden, Spinner trat im März zurück. Viel Getöse, kaum beeindruckte Spieler: Nach Paderborn gewann der FC sechsmal, die Bundesliga-Rückkehr steht bevor. Sie ist nur logisch, denn Köln ist besser und breiter aufgestellt als alle anderen Teams. Besonders deutlich wird die Klasse im Angriff.

Offensiv, offensiver, 1. FC Köln

Die Torjägerliste führen Simon Terodde (28 Treffer) und Cordoba (16) an und beide haben zusammen mehr Treffer (44) erzielt als der gesamte HSV (39), zudem gibt es noch Anthony Modeste (5), der im Winter aus China zurückgekehrt ist. Bei den besten Vorlagengebern stehen Kölns Dominick Drexler (15 Assists) und Louis Schraub (12) an der Spitze. Diese Offensive ist für die zweite Liga viel zu stark.

Hamburg dürfte sich in Köln die nächste Niederlage erlauben, Union kam am Freitag im Heimspiel gegen Regensburg nicht über ein Remis hinaus. Wieder kein Überholmanöver, und mit einem Erfolg im direkten Duell gegen Union am 31. Spieltag würde der HSV den Weg zum direkten Aufstieg wohl endgültig versperren. Dann soll Hunt wieder spielen, genauso wie im Pokal-Halbfinale gegen RB Leipzig, das wenige Tage zuvor am 23. April stattfindet. Noch kann es eine der besseren Spielzeiten werden.

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