„Wenden Sie sich nicht angewidert von der Politik ab“

In der Regierungskrise in Österreich ist der Machtkampf voll entbrannt. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) muss sich in einer Sondersitzung des Parlaments am kommenden Montag voraussichtlich einem Misstrauensantrag stellen.

In einem emotionalen Appell wandte sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen an die Bevölkerung: „Ich bitte Sie, wenden Sie sich nicht angewidert von der Politik ab.“ Zugleich entschuldigte er sich für das Bild, das „die Politik gerade hinterlassen“ habe.

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Die Regierungskoalition in Wien war nach der Veröffentlichung eines Enthüllungsvideos rund um Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache auseinandergebrochen. Nachdem Kurz am Montag die Entlassung von FPÖ-Innenminister Herbert Kickl gefordert hatte, machte dessen Partei ihre Drohung wahr und zog all ihre Minister aus der Koalition mit Kurz‘ ÖVP zurück.

Der Regierungschef will für die Ministerien, die nun vakant sind, Experten benennen. Der Rest des Regierungsteams soll unverändert bleiben.

Das sind offenbar Kurz‘ neue Minister

Wie die österreichische Nachrichtenagentur APA berichtet, stehen vier Ministerposten bereits fest. Demnach soll der ehemalige Präsident des Obersten Gerichtshofs, Eckart Ratz, Innenminister werden. Das Sozialressort soll dem Vernehmen nach der SPÖ-Politiker Walter Pöltner leiten.

Das Verteidigungsministerium übernimmt – das sickerte bereits im Laufe des Dienstags durch – der Offizier und stellvertretende Generalstabschef Johann Luif. Zuletzt soll die Chefin der Flugsicherung „Austro Control“, Valerie Hackl, das Ministerium für Infrastruktur übernehmen.

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Nach übereinstimmenden Medienberichten will Kurz die neuen Minister der Übergangsregierung erst am Mittwoch offiziell benennen. Zunächst sollte dies bereits am Dienstagabend geschehen.

Bei dem Misstrauensantrag am Montag könnte die SPÖ und die nach dem Skandal-Video aus Ibiza aus der Regierung gedrängte FPÖ mit ihren Stimmen den Kanzler stürzen.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner schloss am Dienstag aber auch ein Misstrauensvotum ihrer Partei gegen den Kanzler nicht aus. Kurz habe sich nicht ernsthaft um eine gesicherte parlamentarische Mehrheit für seinen Vorschlag bemüht, meinte die Parteivorsitzende.

„Ich mache mir Sorgen über die aktuelle Vorgangsweise von Sebastian Kurz“, meinte Rendi-Wagner. Sie habe erwartet, dass Kurz im Interesse der Stabilität Österreichs einen anderen Weg wähle.

Der 32-jährige Kurz zeigte sich von all dem nach außen unbeeindruckt. Nach einem zweistündigen Treffen mit dem Bundespräsidenten referierte er seine Vorschläge für eine Übergangsregierung unter dem Motto: Ohne mich bricht das Chaos aus. Er werde „ehebaldigst“ Van der Bellen die möglichen Nachfolger für den geschassten Kickl und die aus Solidarität zurückgetretenen FPÖ-Minister nennen.

Van der Bellen entschuldigt sich: „So sind wir nicht“

Die Situation in Österreich spitzt sich zu: Bundeskanzler Kurz muss sich kommende Woche einem Misstrauensvotum stellen. Bundespräsident Van der Bellen wendet sich in einer Rede zur politischen Lage direkt an die österreichische Bevölkerung.

Quelle: Reuters

Auslöser der Krise ist ein Skandalvideo, das den bisherigen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zeigt, wie er vor der Wahl von 2017 auf Ibiza einer vermeintlichen russischen Oligarchin Staatsaufträge für Wahlkampfhilfe in Aussicht stellte. Auch werden darin möglicherweise illegale Parteispenden an die FPÖ thematisiert. Strache ist als Vize-Kanzler und FPÖ-Parteichef zurückgetreten, Neuwahlen wurden ausgerufen. Es folgte eine Kettenreaktion: Kanzler Kurz bat um die Entlassung von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ), da dieser im Juli 2017 – also als das Skandal-Video entstand – FPÖ-Generalsekretär war und nun gegen sich selbst ermitteln müsste. Daraufhin traten die FPÖ-Minister aus Solidarität zurück.

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