ÖVP-Pflegepläne „absurd“ und „teuer“

Wenig begeistert von dem am Montag präsentierten ÖVP-Pflegekonzept zeigten sich neben anderen Parteien unter anderen auch die Behindertenvertreter, die Ärztekammer, die Arbeiterkammer und die Industrie. Die Pflegeversicherung soll nach ÖVP-Vorstellung organisatorisch in der Unfallversicherung untergebracht werden – geplanter Name AUPVA. Was nicht durch die Mittel der AUVA gedeckt werden kann, soll aus dem Staatshaushalt zugeschossen werden. Schon am Wochenende gab es viel Kritik, als erste Informationen über das ÖVP-Vorhaben durchsickerten.

„Undurchdacht“ ist der ÖVP-Vorschlag zur geplanten Pflegeversicherung für SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch. Denn die Finanzierung könne sich „finanziell niemals ausgehen“. Den Betroffenen würden damit Mehrausgaben bleiben. Auch gibt es im ÖVP-Papier nach Muchitschs Meinung null Verbesserung für Beschäftigte im Pflegesektor.

FPÖ sieht unausgegorenen Vorschlag

„Hier wird mit Überschriften gearbeitet, ohne sich im Detail mit der Realität zu befassen“, kritisierte FPÖ-Bundesparteiobmann Norbert Hofer. Er konzentriert sich vor allem auf die Bereitstellung von genügend Personal und will eine Bundesgenossenschaft für Pflege und Betreuung. „Eine Pflegeversicherung über die Sozialversicherung ist die denkbar teuerste Variante für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler“, sagtr NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker. Dass eine weitere Sozialversicherung über kurz oder lang „zusätzliche finanzielle Belastungen für alle“ nach sich zieht, bemängelte auch JETZT.

„Absurd“ findet GPA-Chefin Barbara Teiber den Ansatz, die Pflege über Mittel der AUVA zu finanzieren. Diese brauche ihre Mittel zur Topbehandlung von Unfallopfern. „Die AUVA hat ein Budget von etwa 1,45 Milliarden Euro, der öffentliche Pflegeaufwand beträgt jährlich etwa fünf Milliarden Euro, Tendenz stark steigend. Man braucht keinen Taschenrechner, um zu wissen, dass sich das nie und nimmer ausgeht“, kritisierte Teiber zudem.

Das Argument, dass die Arbeitsunfälle sinken und daher Mittel für die Pflege frei werden, ließ wiederum der Vorsitzende der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen, Rainer Wimmer, nicht gelten. „Gerade im Bereich der Gesundheitsversorgung hat sich viel getan. Die heutige Spitzenmedizin und ausgezeichnete Rehabilitationsprogramme kosten Geld und müssen im Notfall den ArbeitnehmerInnen immer zur Verfügung stehen“, so Wimmer.

IV für Senkung der Lohnnebenkosten

Eine Finanzierung der Pflege über die AUVA sei ein „Luftschloss“, findet Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl. Den AUVA-Beiträgen von rund 1,4 Milliarden Euro stünden schon derzeit rund fünf Milliarden Euro an öffentlichen Aufwendungen für die Pflege gegenüber. Der Rest soll aber ohnehin über das Budget kommen. Ehrlicherweise sollte man dann gleich über eine Steuerfinanzierung reden, meint Anderl und spricht ihren Wunsch nach einer Erbschaftssteuer an.

Wenig Gefallen am Finanzierungsmodell zur Pflege findet auch die Industriellenvereinigung (IV). Deren Präsident Georg Kapsch meinte in einer Aussendung: „Ein schlichter Zugriff auf Dienstgeberbeiträge bzw. Lohnnebenkosten für Erwerbstätige wäre unsachlich und ist daher klar abzulehnen.“ Überhaupt missfällt Kapsch ein Versicherungsmodell an sich, vielmehr brauche es eine Senkung der Lohnnebenkosten.

Seitens der Wirtschaftskammer wurde darauf verwiesen, dass es ungeachtet der Pflegereform zu einer spürbaren Senkung der Lohnnebenkosten kommen müsse. Aus Sicht der Wirtschaft müssten jedenfalls ein nachhaltigerer Einsatz der vorhandenen Mittel zur Unterstützung der Menschen sowie eine bessere Koordination gefunden werden, etwa wenn es darum gehe, sicherzustellen, dass die Unterstützung bei den Pflegebedürftigen ankomme.

Behindertenvertreter für Valorisierung des Pflegegeldes

Die Einführung einer solchen Versicherung dürfe nicht dazu führen, dass die Pflegeleistung von der Höhe des Beitrags abhängt, erklärten die führenden Köpfe des Behindertenrates, der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger und der Behindertenanwalt. Sie forderten unisono eine jährliche Valorisierung des Pflegegeldes ab Pflegestufe eins – also eine automatische Anpassung der Geldleistung an die Inflation.

Vertretungen von Menschen mit Behinderung kritisieren ÖVP-Vorschlag

Jene Menschen, die mehr verdienen und somit mehr ins System einzahlen, bekämen dann auch mehr Pflegegeld, befürchten die Vertretungen von Menschen mit Behinderung in Österreich.

„Sehr kritisch“ sieht die ÖVP-Pläne Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres, der einen Bürokratiemehraufwand erwartet. Österreich brauche nicht zwingend eine neue Versicherung neben den vier bestehenden, sondern eine bessere Verteilung der schon bestehenden Mittel sowie Investitionen in Prävention, medizinische Versorgung und eben den Pflegebereich.

Auch Pensionistenverband skeptisch

Neben der Finanzierung sieht der Präsident des Pensionistenverbandes (PVÖ), Peter Kostelka, auch weitere Eckpunkte des ÖVP-Vorstoßes kritisch. So ist der PVÖ-Präsident davon überzeugt, dass eine von der ÖVP vorgesehene „Pflegelehre“ die steigenden Anforderungen nicht zu lösen imstande ist. Die im Rahmen der Präsentation angesprochenen „One-Stop-Shops“ in den Bezirken bieten nach der Einschätzung des Pensionistenverbandes eine zu geringe Betreuungsdichte.

Caritas-Generalsekretär Bernd Wachter pocht darauf, dass eine Reform nicht wegen der Neuwahl auf die lange Bank geschoben werden solle: „Wichtig ist, dass es ein Pflegekonzept gibt, das auch nachhaltig ausfinanziert ist. Auch bei einer Pflegeversicherung stellt sich die Frage, wer das finanziert.“ Jedenfalls müssten pflegende Angehörige besser unterstützt werden und wirksame Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel gefunden werden.

Zurückhaltung bei AUVA

Zurückhaltend zeigte sich trotz der heftigen Kritik der Hauptbetroffene des ÖVP-Konzepts. Aus Sicht der AUVA-Führung müssten zunächst Leistungsspektrum und Finanzierung definiert und mit einem tragfähigen legistischen Konzept versehen werden. Grundsätzlich müsse der Gesetzgeber entscheiden, „welche Leistungen wir als Sozialversicherungsträger erbringen sollen“, hieß es in einer Mail von Obmann Anton Ofner.

AUVA soll zu AUPVA werden

Konkret geht es der ÖVP in puncto Pflegeversicherung darum, dass die Pflege mit einer eigenen Versicherung genauso anerkannt werden soll wie die anderen Bereiche Pensionen, Arbeitslosigkeit, Gesundheit und Unfall. ÖVP-Obmann Sebastian Kurz stellte am Montagvormittag klar, dass es angesichts der neuen Aufgaben zu keiner weiteren Beitragssenkung in der nur von den Arbeitgebern dotierten Versicherung kommen könne.

ÖVP präsentiert Modell zur Pflegeversicherung

Am Montag präsentierte die Volkspartei die Details ihres Plans einer eigenen Pflegeversicherung als fünfte Säule in der Sozialversicherung.

Da nun die Zahl der Arbeitsunfälle zurückgehe und sich dieser Trend angesichts des Rückgangs körperlicher Arbeit fortsetzen werde, blieben hier Mittel übrig, die man für die Pflege einsetzen könne. Wie viel genau von der Unfall- für die Pflegeversicherung abgezogen werden soll, sagte Kurz bei der Pressekonferenz nicht. Wie er auch betonte, sei die Pflege ein zusätzliches Lebensrisiko geworden, was sich schon an den Zahlen zeige. 461.000 Personen bezögen Pflegegeld, dazu gebe es eine Million Angehörige.

Pflegegeld: Erhöhung und Umschichtung vorgesehen

Die Umsetzung der Reform würde etwa ein Jahr in Anspruch nehmen, erläuterte Seniorenbund-Obfrau Ingrid Korosec. Das Konzept enthalte dabei noch diverse andere Punkte, etwa einen Ausbau von Tageszentren und flexiblere Modelle bei der 24-Stunden-Betreuung, wo Pflegerinnen auch für zwei oder drei Personen zuständig sein könnten.

Was das Pflegegeld angeht, soll es laut Korosec zu einer Erhöhung, aber auch zu einer Umschichtung kommen. Kurz versteht darunter, dass es für Pflege daheim mehr Geld geben soll. Einerseits werde die Betreuung zu Hause von den meisten Betroffenen gewünscht, andererseits sei diese für den Staat am besten (finanziell und organisatorisch) zu stemmen. Betreuende Angehörige könnten einen Teil der Pflegeleistung künftig auch persönlich beziehen.

Pflegenden Angehörigen solle das Leben auch insofern leichter gemacht werden, als man mittels eines „One-Stop-Shops“ gebündelt Informationen zu allen für Pflege relevanten Dingen erhalten solle, sagte ÖVP-Frauenchefin Juliane Bogner-Strauß. Sie kündigte auch die Etablierung einer Pflegehotline an. Ferner plädierte sie für einen Ausbau von Pflegekurzzeitdiensten. In puncto Ausbildung schwebt Korosec hier die Einführung einer Pflegelehre vor. Um einem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, sollen aber auch gezielt Arbeitskräfte für den Pflegebereich in den Nachbarländern angeworben werden.

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