Reich durch Schulden – wie Berlin von den Minuszinsen profitiert

Es kommt sehr selten vor, dass ein Anleiheverkauf des Bundes globales Aufsehen erregt und sogar den amerikanischen Präsidenten in Rage bringt. Doch in dieser Woche wurde aus dem eigentlich technischen Vorgang ein Politikum. Der Bund hat eine 30-jährige Anleihe mit einem Minuszins verkauft. -0,11 Prozent bekommen die Käufer in den kommenden drei Jahrzehnten. Sprich: Berlin macht Geld damit, sich für 30 Jahre zu verschulden.

Da niemand jährlich an die Halter der Schuldtitel herantreten und von ihnen die Minuszinsen einkassieren kann, kommt ein ausgeklügeltes Verfahren zum Einsatz. Die Finanzagentur, die die Schulden des Bundes verwaltet, verkauft die Papiere über dem nominalen Wert von 100 Euro. Der Aufschlag wird Agio genannt. Diese Differenz streicht sie sofort als Gewinn ein.

Von der 30-jährigen Anleihe wurde ein Volumen von 824 Millionen Euro verkauft, zu einem Preis von 103,61 Euro. Da der Staat im Jahr 2050 lediglich 100 Euro zurückzahlen wird, machte der Bund allein mit diesem Verkauf einen Gewinn von 29,75 Millionen Euro.

Quelle: Infografik WELT

Es mag wegen des langen Zeitraums die spektakulärste Auktion des Jahres gewesen sein, doch beileibe nicht die lukrativste. Die gab es nach Angaben des Analysehauses Barkow Consulting im Februar. Damals stockte die Finanzagentur eine 30-jährige Anleihe auf. Es wurde ein Volumen von 1,179 Milliarden Euro zu einem Kurs von 144,38 Euro platziert, damit erlöste der Bund auf einen Schlag einen Gewinn von 524 Millionen Euro. In der Privatwirtschaft würde ein solcher Gewinn gemäß der Laufzeit der Anleihe auf die kommenden Jahre aufgeteilt. Die kameralistische Buchhaltung des Staates stellt ihn dagegen als Einmalerlös unmittelbar in den Haushalt ein. Experten kritisieren das als Buchungstrick.

„Die Regierung braucht sich da nicht einzumischen“

Nach Markus Söders Bundesratsinitiative will Finanzminister Olaf Scholz prüfen lassen, ob man Kleinsparer gesetzlich vor Strafzinsen schützen könnte. Vermögensberater Georg Thilenius hält von der Idee allerdings wenig.

Quelle: WELT/Dietmar Deffner

Durch die Minuszinsen hat der Bund nach Barkow-Berechnungen in diesem Jahr bereits zusätzliche Einnahmen von fünf Milliarden Euro verbucht. Bis zum Jahresende könnte die Summe auf über sechs Milliarden Euro in die Höhe schnellen. Das wäre ein neuer Einnahmenrekord und würde selbst 2016 in den Schatten stellen, als das Phänomen Minuszinsen erstmals auftauchte. Vor allem läge das deutlich über den Budgetplanungen. So sieht der Haushaltsentwurf für das laufende Jahr vor, durch Anleiheverkäufe lediglich 412 Millionen Euro einzunehmen.

So erklärt sich auch, warum die Zinsausgaben des Bundes in diesem Jahr mit 10,8 Milliarden Euro rund ein Viertel unter der Summe liegen, die im vergangenen Jahr noch für den Schuldendienst bezahlt worden war. Im Haushaltsplan ist eigentlich vorgesehen, dass die Zinsausgaben in diesem Jahr um knapp fünf Prozent steigen sollen. Dank Minuszinsen wird der Bund aber für seine Schulden deutlich weniger als die budgetierten 17,5 Milliarden Euro zahlen.

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Dividendenstrategie

Seit 2012 hat der Bund dank der verrückten Zinswelt mit den Anleiheverkäufen einen Gewinn von insgesamt gut 27 Milliarden Euro gemacht. Das zeigen die Berechnungen von Barkow Consulting, die WELT AM SONNTAG exklusiv vorliegen.

Die Gewinne stoßen auch auf Kritik. „Da der Bund aktuell sogar für 30-jährige Schulden keine Zinsen zahlt, sondern damit Geld verdient, entsteht die Illusion, Schuldenmachen bleibe folgenlos“, sagt Wolfgang Schnorr, Volkswirt bei Barkow Consulting. „Wenn die Zinsen aber wieder steigen, wird das schnell zum Bumerang, weil die fiskalischen Gewinne sofort in Belastungen umschlagen.“

So weit ist es aber noch nicht. Trump wetterte auf Twitter, es könne nicht sein, dass Konkurrent Deutschland mit seinen Schulden Geld verdiene, während das viel stärkere Amerika noch Zinsen zahlen müsse.

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Quelle: Welt am Sonntag

Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.

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