Die meisten Mahnmale für Opfer des NSU wurden geschändet

Die Gedenkorte für Mordopfer des rechtsterroristischen Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) werden immer wieder attackiert. Recherchen von WELT AM SONNTAG ergaben, dass es in fünf der acht Städte mit Mahnmalen für NSU-Opfer zu Schändungen kam. Täter konnten bisher nicht ermittelt werden.

Die Redaktion hat alle acht Städte angefragt: So wurde in Kassel 2014 der Gedenkstein für das Opfer Halit Yozgat mit einer Bitumenmasse übergossen. In Rostock ist der Gedenkort für das NSU-Opfer Mehmet Turgut seit 2014 dreimal beschädigt worden.

In Nürnberg wurde 2015 eine Gedenktafel von Unbekannten entfernt. Ferner war dort im November 2017 eine Stele mit einem Hakenkreuz beschmiert worden. Schon kurz nach ihrer Einweihung im März 2013 war eine andere zentrale Stele in der Stadt mit Hakenkreuzen beklebt worden.

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In Heilbronn, wo die NSU-Terroristen die Polizistin Michèle Kiesewetter ermordet hatten, wurde 2008 eine Gedenkstele ausgegraben und in den Neckar geworfen. 2014 besprühten Unbekannte in der württembergischen Stadt eine Gedenktafel. Den Städten Dortmund, Hamburg und München sind keine Attacken bekannt. In Köln, wo der NSU zwei Bomben gezündet hatte, gibt es kein solches Mahnmal.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte WELT AM SONNTAG auf Anfrage: „Die Schändungen der NSU-Mahnmale sind ein Schlag ins Gesicht der Hinterbliebenen, den unsere Gesellschaft nicht hinnehmen darf.“

Gedenkort für Enver Simsek, dem ersten Opfer der Terrorzelle NSU, in Zwickau. Die dazugehörige junge Eiche wurde von Unbekannten abgesägt

Gedenkort für Enver Simsek, dem ersten Opfer der Terrorzelle NSU, in Zwickau. Die dazugehörige junge Eiche wurde von Unbekannten abgesägt
Quelle: dpa/Sebastian Willnow

Der Staat müsse entschieden gegen jede Form von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit vorgehen. „Auch die schreckliche Tat in Halle hat gezeigt, dass wir jetzt handeln müssen. Worte des Bedauerns allein reichen nicht aus, um der Gefahr für die Sicherheit unserer Bürger zu begegnen“, sagte Seehofer. Darum setze er sich dafür ein, dass die Sicherheitsbehörden mehr Personal bekämen und ihre Befugnisse im Kampf gegen Rechtsextremismus gestärkt würden.

Das Bundeskriminalamt führt eine Statistik mit abweichender Zählweise. Das BKA hat bundesweit acht Straftaten gegen Gedenkorte für NSU-Opfer registriert. Sie wurden von den Länderpolizeien von 2010 bis 2018 als politisch motiviert bewertet. Sieben der acht Fälle wurden dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet, ein Fall dem linksextremen.

Zu den Delikten gehören die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, Sachbeschädigung, Störung der Totenruhe und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. „Zu den aufgeführten Delikten konnten bislang keine Tatverdächtigen ermittelt werden“, teilte das BKA mit. Für 2019 liegen der Behörde noch keine Zahlen vor. In Zwickau hatten Unbekannte jüngst zwei der Mahnmale geschändet, einen Baum und eine Bank.

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Terror in Halle

Neben den Gedenkorten wurde auch die Wanderausstellung „Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen“ mehrfach attackiert. Bei einer Ausstellungseröffnung 2014 in Rostock flog ein Stein gegen das Rathausfenster. Im selben Jahr waren in Berlin Parolen wie „Stoppt den NSU-Schauprozess“ am Ort der Ausstellung zu lesen.

Und in der Fachhochschule der Polizei in Aschersleben schmierte im Oktober 2014 jemand ein Hakenkreuz und den Satz „Es lebe die NSU“ auf zwei Tafeln der Ausstellung. 2017 wurden die Zahlen 318 auf eine Tafel geschrieben, ein Code für die Neonazi-Organisation „Combat 18“. Zuletzt prangten im März 2019 in Hamburg Hakenkreuze auf Tafeln. Auch Ausstellungsmacherin Birgit Mair ist „kein Fall bekannt, bei dem die Täter gefunden wurden“.

„Wer versucht, die Erinnerung zu löschen, tötet sie ein zweites Mal“

Unionsfraktionsvize Thorsten Frei (CDU) sagte: „Jeder einzelne Fall ist tief beschämend, insbesondere wenn man bedenkt, wie lange es gedauert hat, die vom NSU Ermordeten als Opfer des rechtsextremistischen Terrors anzuerkennen. Wer versucht, die Erinnerung an diese Opfer auszulöschen, tötet sie ein zweites Mal und bereitet den Boden für neue Gewalt.“

SPD-Innenexperte Burkhard Lischka sagte: „Wir spüren nicht erst seit dem Terror in Halle, dass es für Rechtsextremisten keine roten Linien und Tabus mehr gibt.“ Gelinge es nicht, mit aller Härte durchzugreifen und als Gesellschaft Haltung zu zeigen, befürchte er, „dass der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke und die Attentate von Halle nicht die letzten rechten Terrorakte in unserem Land waren“.

Grünen-Innenexperte Konstantin von Notz sagte: „Acht Jahre nach dem rassistischen Terror des NSU ist der militante Rechtsextremismus gefährlicher denn je.“

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Quelle: WELT AM SONNTAG

Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.

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