„Gibt keine Diskussion, vor der ich mich fürchte“, sagt Kramp-Karrenbauer

Vor zwei Jahren hatten Union und SPD vereinbart, dass es zur Halbzeit der Legislaturperiode eine Bestandsaufnahme der Koalitionsarbeit geben sollte. Glaubt man Bevölkerungsumfragen, sieht das Zeugnis eher mäßig aus. Die beteiligten Politiker sehen das natürlich anders – vor allem, nachdem am Sonntag einer der großen Konflikte der Koalition befriedet werden konnte.

Nach neun Monaten Diskussion gibt es endlich eine Einigung bei der Grundrente. Doch auch dieser Kompromiss der großen Koalition wirkt ein wenig faul. Die Leitfrage bei Anne Will ist also völlig angemessen: „Halbzeit für die GroKo – viel erreicht, viel versäumt?“

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Wenige Stunden vor der Talksendung hatten Malu Dreyer, die bis zum 8. Dezember noch kommissarische Vorsitzende der SPD ist, und Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU-Vorsitzende und Verteidigungsministerin) den Beschluss der Regierungskoalition noch erleichtert der Öffentlichkeit präsentiert.

Im Studio weicht die Erleichterung dann wieder der allgemeinen Ernüchterung – auch wenn die Politikerinnen gar keinem Oppositionsmitglied, sondern stattdessen den Journalisten Nico Fried („Süddeutsche Zeitung“) und Dagmar Rosenfeld (WELT-Chefredakteurin) sowie dem Politikwissenschaftler Herfried Münkler gegenüber sitzen.

Die Aussage, die den Nagel auf den Kopf trifft

Sowohl SPD als auch CDU/CSU hatten ihre roten Linien in Bezug auf die Grundrente in den vergangenen Monaten immer wieder deutlich gemacht. Die Sozialdemokraten lehnten eine Bedürftigkeitsprüfung ab, die Union wollte das Projekt ohne eine Überprüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht realisieren.

Für die Einigung darauf, die Grundrente nur mit einer Prüfung des Einkommens zu verknüpfen, mussten beide Seiten harte Abstriche machen, das ist schließlich die Natur eines Kompromisses. Und doch wirken Gesetzesvorhaben der GroKo stets wie ein Spiel, bei dem nur einer der beiden Partner gewinnen kann.

„Koalieren und Profilieren zur gleichen Zeit führen selten zu guter Regierungsarbeit“, kommentiert Dagmar Rosenfeld und trifft damit den Kern der Sache: Durch die ständigen Wahlniederlagen der ohnehin schon bröckelnden Volksparteien sei man in der Koalition besonders darauf erpicht, mit Maximalforderungen ins Feld zu ziehen.

Was dann wiederum zum Resultat hat, dass man ein Dreivierteljahr braucht, um bis zu 1,5 Millionen Menschen eine angemessene Rente zu ermöglichen.

Das härteste Eingeständnis der Sendung

Kramp-Karrenbauer und Dreyer lassen sich von der treffenden Kritik nicht aus der Ruhe bringen. Beide sind mit diesem Kompromiss zufrieden, freuen sich, dass es wirklich „etwas für die Menschen bringt“, wie Dreyer es ausdrückt.

Doch natürlich weiß auch sie um die negative Außenwahrnehmung der Koalition: „Es wird uns ja überall bestätigt: Die Bilanz ist eigentlich sehr ordentlich, aber das Image ist schlecht.“

„Und die Wahlergebnisse sind noch schlechter“, ergänzt Anne Will mit hochgezogener Augenbraue, Dreyer stimmt ihr mit gequältem Lächeln zu.

Es scheint, als ob das Kommunikationsproblem der Regierung zu einem regelrechten Politik-Blues bei der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin führt: „Es ist total deprimierend, auch für meine Genossen und Genossinnen, dass wir das Gefühl haben, wir machen gute Arbeit und gleichzeitig wird es nicht honoriert.“

Das zentrale Zitat der Sendung

Kramp-Karrenbauer sieht das ähnlich: Man habe gemeinsam viel erreicht und wolle auch weiter gemeinsam arbeiten. Da muss ihr Nico Fried sogar Recht geben: „Man kann dieser Koalition nicht vorwerfen, dass sie ihren Vereinbarungen im Koalitionsvertrag nicht nachkommt.“ Das Problem liegt für den Journalisten eher darin, dass man jetzt, zur Halbzeit, nicht vorhat, nachzujustieren.

Dass die bisherigen Bemühungen der Regierung trotzdem nicht wahrgenommen werden, liegt für Kramp-Karrenbauer vor allem an aufmerksamkeitsheischenden Nebenschauplätzen: Den andauernden Hahnenkämpfen um die Parteispitzen von CDU und SPD.

Geht es nach der CDU-Chefin, muss damit Schluss sein: „Wir sind schließlich nicht dafür gewählt worden, uns in selbsttherapeutischen Zirkeln mit uns selbst zu beschäftigen.“

Wer darüber abstimmen möchte, ob sie die Richtige für den Parteivorsitz ist, der habe dazu auf dem anstehenden Parteitag in Leipzig die Möglichkeit: „Es gibt keine Diskussion, vor der ich mich fürchte“, sagt die Saarländerin in ihrem typischen abgeklärten Ton.

Die entscheidende Frage des Abends

Zum Fürchten ist viel eher die Situation bei der SPD: Während mit einigermaßen Spannung dem Ergebnis der Stichwahl um den Parteivorsitz entgegen gefiebert wird, könnte der Bundesparteitag Anfang Dezember die Sozialdemokraten erneut entzweien. Während die verbliebenen Duos Geywitz/Scholz und Esken/Walter-Borjans sich mit konkreten Ja-oder-Nein-Aussagen über einen Verbleib in der großen Koalition zurückhalten, könnten die Delegierten den Spieß am zweiten Advent umdrehen.

Was passiert, wenn dann tatsächlich für einen Austritt aus der GroKo gestimmt wird, fragt Anne Will Malu Dreyer. Die wirkt zum ersten Mal in der Sendung unsicher. Es sei überhaupt nicht klar, was im Dezember passiere. Aber die kommissarische Vorsitzende glaubt daran, dass sich die Mitglieder und der Parteitag vernünftig entscheiden werden.

So viel Vertrauen in eine so wankelmütige Partei? Politikwissenschaftler Münkler kann da nur mit dem Kopf schütteln: „Es wurden alle Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Partei sich erneut spaltet. Das ganze Verfahren ist überhaupt nicht durchdacht.“

Halbzeit hin oder her: Was aus der großen Koalition wird, zeichnet sich also erst Anfang Dezember ab. Wieder eine Vertagung, die für alle Beteiligten – Union, SPD und Bürger – unbefriedigend wirkt.

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