Deutsche Wirtschaft schrammt an der Rezession vorbei

Deutschland ist der Rezession einmal mehr entronnen: Die Volkswirtschaft hat im dritten Quartal auf den Wachstumspfad zurückgefunden. Zwischen Juli und September stieg das hiesige Bruttoinlandsprodukt (BIP) völlig überraschend um 0,1 Prozent. Die Wirtschaft zeigt sich damit erneut widerstandsfähiger als gedacht.

Die Mehrzahl der Volkswirte hatte hingegen wegen des scharfen Einbruchs in der Industrie mehrheitlich mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,1 Prozent gerechnet und für die größte Volkswirtschaft der Euro-Zone ein Abrutschen in die Rezession vorhergesagt.

Quelle: Infografik WELT

Stattdessen ist gerade noch rechtzeitig die Exportmaschine wieder angesprungen. Im September hatten die Ausfuhren um 1,5 Prozent zugelegt, so stark wie seit zwei Jahren nicht mehr. Positive Impulse kamen auch aus dem Inland vom privaten Konsum und vom Staat, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte.

Wäre die Wirtschaftsleistung wie im zweiten Quartal erneut gesunken, wäre die Definition einer technischen Rezession erfüllt gewesen. Die Statistiker korrigierten ihre Zahlen zum zweiten Quartal – von minus 0,1 Prozent auf minus 0,2 Prozent. Dafür wuchs das BIP im ersten Quartal stärker als zunächst gemeldet, nämlich um 0,5 Prozent statt um 0,4 Prozent. Grund für die neuen Angaben sind den Statistikern zufolge „neu verfügbare statistische Informationen“.

„Die deutsche Volkswirtschaft ist noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen“, sagte DekaBank-Ökonom Andreas Scheuerle. „Doch es gibt drei Gründe, sich nicht beruhigt und zufrieden zurückzulehnen: Deutschlands Trendwachstum leidet unter einem Investitions- und Reformstau. Deutschlands Konjunktur leidet unter der enormen, globalen politischen Unsicherheit. Deutschlands Paradebranche – die Automobilindustrie – läuft nicht mehr rund.“ Tatsächlich sind die Investitionen in Ausrüstungen im Vergleich zum Vorquartal nach Angaben der Statistiker gesunken.

Dusel der GroKo

Die Situation erinnert an das vergangene Jahr. Damals hatte sich die Wirtschaft nach einem Minus im dritten Quartal auch noch einmal hauchdünn über die Null gerettet. Ein ähnliches Muster hat sich nun auch gezeigt. In den Monaten Juli bis September stagnierte das hiesige Bruttoinlandsprodukt zwar, immerhin blieb damit aber das befürchtete zweite Minusquartal in Folge aus – und damit das von der Mehrzahl der Ökonomen prognostizierte Abrutschen in eine sogenannte technische Rezession.

Die große Koalition in Berlin hat damit erneut Dusel, dass ihre Bilanz nicht durch das hässliche R-Wort belastet wird. Denn es zeigen sich deutliche Zeichen für eine konjunkturelle Erholung. In der Industrie scheint die Talfahrt gestoppt, zuletzt waren die Top-Manager wieder deutlich optimistischer und auch die jüngsten Quartalszahlen lagen deutlich über den Erwartungen der Analysten.

„Wir haben keine technische Rezession, aber die Wachstumszahlen sind noch zu schwach“, zeigte sich Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) in der ARD erleichtert.

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Nach einer Umfrage des Finanzdienstes Bloomberg dürfte die Ökonomie im vierten Quartal um 0,1 Prozent wachsen. Auch für die Folgemonate wird mit leichten Zuwächsen gerechnet. Für das Gesamtjahr rechnen die Auguren nicht mit einem konjunkturellen Absturz. Im Durchschnitt sagen sie ein Wachstum von 0,5 Prozent voraus, für das kommende Jahr gehen die Profis von 0,7 Prozent aus. Sollte es so kommen, wäre das Risiko einer Rezession für längere Zeit abgewendet.

Deutschland hinkt in Europa hinterher

Die nun ausgefallene Rezession kann jedoch auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Deutschland seit 2015 nicht mehr richtig wächst und anderen Ländern in Europa hinterher hinkt. Das Mini-Wachstum von 0,1 Prozent im dritten Quartal ist nur halb so hoch wie jenes in der Euro-Zone von 0,2 Prozent.

Außerdem besteht die Gefahr, dass die Politik weiter wichtige Impulse wie Reformen oder Investitionen verschleppt, die möglicherweise durch das Reizwort Rezession für die Bundesregierung an Dringlichkeit gewonnen hätten.

„Die gute Nachricht ist, dass die deutsche Wirtschaft an einer technischen Rezession vorbeigeschrammt ist. Am Schmalspurwachstum wird sich dennoch so rasch nichts ändern: Die Konjunkturabkühlung in China, der globale Handelskonflikt und das Brexit-Chaos sprechen für eine niedrig bleibende Konjunkturdynamik“, kommentierte Alexander Krüger, Volkswirt vom Bankhaus Lampe. Es bleibe zu hoffen, dass aus der Industrierezession nicht mehr wird. „Die Stimmungseintrübung im Dienstleistungssektor rückt Ansteckungsgefahren jedenfalls in den Blick. Sie dürften bei US-Autozöllen sicherlich real werden“, sagte Krüger.

Handelskonflikte, schwächere Weltkonjunktur und Brexit-Chaos setzen der exportabhängigen deutschen Industrie zu. Sie hat deshalb fünf Quartale in Folge ihre Produktion gedrosselt. Unter der Flaute in der Industrie leiden inzwischen auch viele unternehmensnahe Dienstleister, etwa die Logistikbranche. Die Wirtschaftsweisen sagen Europas größter Volkswirtschaft in diesem Jahr ein Wachstum von 0,5 Prozent voraus. 2020 soll es zu einer Beschleunigung auf 0,9 Prozent kommen, allerdings nur aufgrund der höheren Anzahl an Arbeitstagen.

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