Als die Tesla-Fabrik wegen „Brandenburg“ fast scheiterte

Sechszehn Flaschen Rotkäppchensekt halbtrocken hat Bürgermeister Arne Christiani für die Sitzung des Hauptausschusses organisiert und gleich einschenken lassen. Aber noch mag die Gläser keiner so recht anrühren. Nicht mal 36 Stunden ist es her, dass die Bewohner von Grünheide die Eilmeldung im Radio hörten, dass Elon Musk, der verrückte Tesla-Milliardär, in ihrem Dorf ein gigantisches Werk bauen will.

Bis zu 10.000 neue Jobs, die größte Industrieansiedlung des Landes, und dann nicht mal schmutzig, sondern klimaneutral und cool. Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach hat sich persönlich her bemüht, in den Festsaal vom „Heydewirt“, um ihnen aus erster Hand zu erzählen, wie das war mit ihm, Musk und den Millionen.

Der Minister ist spät dran. „Der Stau am Schönberger Kreuz“, sagt der SPD-Politiker entschuldigend und erntet gleich sarkastische Lacher. Genau das meinen sie. Kaputte Straßen, Funklöcher, zu wenig Schulen und Kita-Plätze. Und dann auch noch eine „Giga-Fabrik“. Das Leben im Speckgürtel ist auch nicht leicht. Bevor sie die Sektgläser klirren lassen, wollen die Brandenburger erst ein wenig mosern.

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Brandenburg

Tesla in Brandenburg – das klang in den ersten Berichten wie die Nachricht von einer Ufo-Landung in Dunkeldeutschland. Dass sich dieser schräge Elektroauto-Pionier überhaupt nach Deutschland wagt, ins Mutterland des Autos, war schon ein Ding. Aber dann ausgerechnet in diesen strukturschwachen, abgehängten und vermutlich auch noch fremdenfeindlichen Landstrich? „Tesla wird Ossi“, hatte eine Berliner Zeitung getitelt. Kann das gutgehen?

Wer am Tag nach Musks Ankündigung nach Grünheide kommt, merkt schnell, dass die Ossi-Klischees wenig zu tun haben mit der Realität in dieser kleinen Gemeinde in der märkischen Provinz. An den Ufern der drei Seen spiegeln sich schmucke Altbauten im glitzernden Wasser. Mit Ausflugsbooten und Kanus kann man von hier bis zum Reichstag schippern. Im kleinen Ortskern ist nichts los, aber aber auf die idyllische Art. Leerstand sieht man kaum. Die Arbeitslosenquote liegt unter fünf Prozent. Der Ort wächst.

Spart nicht an Eigenlob: Brandenburgs Wirtschaftsminister Arne Steinbach

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Quelle: dpa/Soeren Stache

Es gibt ein munteres Dorfleben mit Karnevals-, Handball- und Schildkrötenverein. Die schöne Seenlandschaft in unmittelbarer Nähe zur Hauptstadt hat viele gut verdienende Berliner in die Gemeinde gelockt. Die AfD wurde bei der letzten Kommunalwahl in diesem Jahr nur viertstärkste Kraft. Nazis und abgehängte Tagestrinker sind hier eher nicht das Problem, dann schon eher die Neureichen. Tesla kommt für die Menschen in Grünheide nicht wirklich von einem anderen Stern – mehrere fahren selbst einen. Aber heißt das, dass man deshalb zwangsläufig auch eine Tesla-Fabrik vor der Haustür haben will?

Musk wollte unbedingt nach Berlin

Minister Steinbach beginnt unbeirrt und nicht ohne Selbstrührung seinen Bericht. Er erzählt, wie hart und professionell die Verhandlungen mit Tesla waren. Die Timeline gnadenlos durchgetaktet, das Geheimhaltungsabkommen geradezu „hässlich formuliert“, er als Verhandlungsführer praktisch ständig „mit einem Bein im Gefängnis“. Für seine Leute in Brandenburg, so klingt es, ist Steinbach durch die Hölle gegangen. Kurz vor dem Abschluss hätte er „das Ding beinahe noch selbst in den Sand gesetzt“, gesteht er und sieht aus, als laufe ihm gerade eine Gänsehaut den Rücken herunter.

„Nicht Berlin. Brandenburg“, habe er Musk in einer Telefonkonferenz geographisch zu belehren gewagt, was der offenbar gar nicht lustig fand, denn Musk habe unbedingt ein Werk im hippen Berlin haben wollen. Es kam offenbar zu hektischen Nachverhandlungen, bis Steinbach die Lösung fand: „Giga-Fabrik Berlin – in Brandenburg!“ Als die Absichtserklärung schließlich unterschrieben war, habe er erstmal einen irischen Whisky getrunken, „um runterzukommen“. Ein großer Moment für einen Minister. Der Applaus im Heydewirt ist eher tröpfelnd.

Muss bald wohl mehr Brötchen backen: Marion Jauernig in ihrer „Backstube“

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Quelle: Steffen Fründt

„Es gibt hier inzwischen einige Millionäre“, sagt Marion Jauernig, die mit der „Backstube“ eines der wenigen alteingesessenen Geschäfte im Ort besitzt. Seit Musks Ankündigung ist die 60-Jährige eine medial gefragte Frau. Mit ihrem Tante-Emma-Laden, seit 1922 im Familienbesitz, ist sie genau das, was Journalisten suchen, ein brandenburgisches Original – und offenbar auch so etwas wie die Nachrichtenbörse des Dorfes. „Der Pfarrer wünscht sich ein neues Sportzentrum und ein Kino, wenn Tesla kommt“, erzählt sie. Auch andere wünschen sich offenbar eher mehr Einzelhandel „,Kein Konsum, aber Tesla!‘ lästerte einer.“

Jauernig selbst erhofft sich durchaus positive Impulse für ihr Geschäft. Erst im September musste sie die von ihr im Nachbarhaus betriebene Postfiliale schließen. Die angeschlossene Drogerie ist ebenfalls dicht. „Aber wenn einer etwas braucht, lasse ich ihn durch den Seitengang rein“, sagt sie. Doch wenn nun mit dem Autowerk auch die Kunden in wieder in Scharen kommen, könnte Marion Jauernig ihre Drogerie vielleicht wieder aufmachen, wer weiß. „Das Leben ist Veränderung!“

Arne Christiani, parteilos, gerade wiedergewählt, aber nicht unumstritten wegen seiner öffentlich gewordenen Stasi-Vergangenheit, sitzt in seinem Bürgermeisterzimmer im obersten Stock und lässt sein Vorzimmer die Anrufer abwimmeln. Viel Presse, aber auch Geschäftemacher lockt die Aussicht auf das ganz große Geld jetzt nach Grünheide. „Gerade rief ein Bauunternehmer aus Süddeutschland an, der für Tesla die Hallen bauen will“, erzählt Christiani, während er nicht zum ersten Mal den Bebauungsplan an der Wand betrachtet, auf dem rot schraffiert die 300 Hektar große Ansiedlungsfläche mit direktem Eisen- und Autobahn-Anschluss eingezeichnet ist. 2001 wurde hier Baurecht geschaffen für ein BMW-Werk, das dann doch nicht kam. Nun steht neben der Tür ein Aktenrollwagen voller Sektpullen bereit.

Arne Christiani, Bürgermeister von Grünheide

Arne Christiani, Bürgermeister von Grünheide
Quelle: Steffen Fründt

Bis zum letzten Moment hatte Christiani zu niemandem im Ort ein Sterbenswörtchen verlauten lassen über das, was da auf sie zukommt. Nun bemüht er sich, seine überrumpelten Bürger mitzunehmen. „So ein Werk ist für uns eine riesige Chance. Es bringt qualifizierte Jobs, Ausbildungsplätze. Damit unsere Kinder nicht mehr nach der Schule in den Westen ziehen“, sagt er. Zugleich ist ihm klar, dass er in Grünheide nicht 10.000 Tesla-Beschäftigte mitsamt ihren Familien unterbringen kann, auch nicht die 3000 Mitarbeiter, mit denen Musk schon im Sommer 2021 in Brandenburg das erste Fahrzeug gebaut haben will.

Die Verbundgemeinde Grünheide zählt selbst nur 8.800 Einwohner, die sich auf sechs kleine Orte verteilen, zum Teil mit bloß 250 Bewohnern. „Wir werden diese örtliche Struktur erhalten“, verspricht Christiani. Er will nun einen komplett neuen Ortsteils errichten, eine kleine Tesla-Stadt mit Kindergarten, Schule und was noch so dazu gehört. Die Landesregierung habe schon zugesichert, das nötige Planungsrecht zu schaffen. Mit Musk im Rücken scheint plötzlich vieles möglich.

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Musks Gigafactory

Die wenigen Leute, die sich tagsüber auf der Straßen blicken lassen, zeigen hingegen gemischte Gefühle. Einerseits sind sie erkennbar stolz über den plötzlichen Weltruhm ihres Dorfes. New York, Shanghai, Grünheide. Zugleich sind sie skeptisch. Ein Unternehmer, der nicht genannt werden aber dennoch eine Menge erzählen möchte, schimpft über die Unfähigkeit der Gemeindeverwaltung („Die kriegen ja nicht mal die Straßenbeleuchtung hin“) und bezweifelt, dass das Tesla-Werk jemals Realität wird. Andere fürchten, dass die Immobilienpreise noch weiter durch die Decke gehen könnten und sie ihren Ort bald nicht mehr wieder erkennen.

Tatsächlich wurde in den vergangenen Jahren schon jede freie Parzelle weggekauft und zugebaut. Eine der wenigen Immobilien, die den Verkäufern in Grünheide nicht sofort aus den Händen gerissen wurde, ist ein eindrucksvolles, aber offenbar auch ziemlich renovierungsbedürftiges Jagdschloss auf einem riesigen Grundstück mit Teehaus in direkter Seelage, Verhandlungsbasis 1,3 Millionen Euro. Ein Luxushotel am See? Ein Landhäuschen für Elon Musk selbst? Der Makler will sich nicht äußern.

Rotkohl und Knödel für 17,50 Euro: Gastwirt Holger Haustein

Rotkohl und Knödel für 17,50 Euro: Gastwirt Holger Haustein
Quelle: Steffen Fründt

Für Gastwirt Holger Haustein hat sich die Giga-Fabrik bereits gelohnt. Allein die Ankündigung hat schon erste Tesla-Touristen nach Grünheide gelockt, darunter nicht wenige Tesla-Fahrer, die nun etwas ziellos durch den Ort gurken. Außer Wald und Wiese ist von einem Werk zwar noch nichts zu sehen. Aber beim Heydewirt gibt es Bauerngans mit Rotkohl und Knödeln für 17,50 Euro. Vor zwei Jahren pachtete Haustein gemeinsam mit seinem Schwager die Gaststätte. Die angeschlossene Pension ist mit zwölf Betten der größte private Beherbergungsbetrieb von Grünheide, Auslastung bei 60 Prozent.

Bisher hatte der 35-Jährige neben einem großen Biergarten am Seeufer als touristisches Highlight vor allem den angrenzenden „Bürgerpark“ zu bieten. Dabei handelt es sich allen Ernstes um einen mit EU-Mitteln angelegten Seniorenspielplatz mit Sandkiste, „Senioren-Spielgeräten“ und windgeschützten Sitzschränken. Mit Tesla könnte eine weitere Attraktion von Weltrang für Haustein ganz neue Zielgruppen erschließen. Geschäftsessen, die eine oder andere Abteilungsfeier im Biergarten. „Erweitern können wir hier aus rechtlichen Gründen leider nicht“, bedauert Haustein. „Aber wir überlegen, ob wir für die Tesla-Leute ein externes Cateringangebot aufbauen, vielleicht mit einem Foodtruck.“

Am Donnerstagabend platzt der große Saal vom Heydewirt auch ohne Tesla-Beteiligung aus allen Nähten. Die Hauptstadtpresse ist geschlossen angetreten, dazwischen quetschen sich interessierte und besorgte Bürger in den Saal. Der Minister drängt bereits zum Aufbruch, doch die Zuhörer kommen jetzt erst in Fahrt. Immer mehr Forderungen werden laut. Ein neuer Bahnhof, neue Schulen und Kitas, ein lückenloses 5G-Netz. Einer hat sich sogar Notizen mitgebracht und trägt einen ganzen Wunschzettel an Beigeschenken zur Giga-Fabrik vor. Steinbach nickt irgendwann alles nur noch weg. „Dem Ingenieur ist nichts zu schwör“, sagt er über sich selbst. Und klingt dabei fast schon ein wenig so wie Elon Musk persönlich.

Rotkäppchen Sekt meets Tesla: Grünheide freut sich auf die Gigafactory

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Quelle: Steffen Fründt

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