„Unsere gesamte Art des Lebens werden wir in den nächsten 30 Jahren verlassen“

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in ihrer Rede beim Weltwirtschaftsforum in Davos „Transformationen von gigantischem, historischem Ausmaß“ angekündigt. „Die gesamte Art des Wirtschaftens und des Lebens, wie wir es uns angewöhnt haben, werden wir in den nächsten 30 Jahren verlassen“, sagte Merkel mit Blick auf Klimaschutz und Digitalisierung.

Die Welt sei in den letzten 50 Jahren, seit der Gründung des Davoser Forums, besser geworden. „Für mich war es damals nicht absehbar, dass ich einmal hier stehe“, sagte die in der DDR sozialisierte Politikerin mit Blick auf die Zeit des Kalten Krieges.

Ganz nach vorne gerückt seien nun Umweltprobleme. „Wir müssen handeln“, betonte Merkel. Die Einhaltung des Pariser Abkommens „könnte eine Frage des Überlebens für den ganzen Kontinent sein“, deswegen sei Handlungsdruck da. Das Ziel, die Erderwärmung unter 1,5 Grad halten, müsse von der Welt gemeinsam erreicht werden. „Leider sind nicht alle mehr dabei“, stellte sie fest – und meinte damit vor allem die USA.

„In den Städten alles etwas leichter“

Mit Blick auf Deutschland sagte Merkel bezüglich der Energiewende, dass „in den Städten alles etwas leichter als auf dem Land“ gehe, „wo man vielleicht eine Windkraftanlage vor der Haustür oder einen weiten Arbeitsweg hat“. Die Stromversorgung in Deutschland müsse mittelfristig klimaneutral werden – doch diese mache nur 22 Prozent des nationalen Energieverbrauchs aus. Der Rest betreffe das Heizen, Mobilität oder die Industrie.

Grüner Wasserstoff werde dabei eine „riesige Rolle spielen“, sei aber außerhalb Europas deutlich leichter zu produzieren. Prozesse der Stahlproduktion und des Maschinenbaus müsse man „vollkommen umstellen“.

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In Davos beginnt das 50. Weltwirtschaftsforum. Erwartet werden neben US-Präsident Trump und Kanzlerin Merkel auch die Umweltaktivisiten Greta Thunberg. Dazu WELT-Reporter Dietmar Deffner mit einer ersten Einschätzung.

Quelle: WELT

Merkel betonte, dass Deutschland „ja eigentlich ein relativ friedliches Land“ sei, es dabei aber auch zu gesellschaftlichen Konflikten käme. „Wir müssen die Ungeduld der Jugend positiv und konstruktiv aufnehmen, verstehen, dass sie einen anderen Lebenshorizont als wir Ältere haben, weit über das Jahr 2050 hinaus“, sagte die Kanzlerin.

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„Wir haben auch in Deutschland eine große Menge von Menschen, die das für nicht so dringlich hält, aber wir müssen alle mitnehmen.“ Der Klimawandel sei eine „Frage der völlig klaren Evidenz wissenschaftlicher Fakten – aber wir leben in einer Zeit in der Fakten mit Emotionen konkurrieren. Wir müssen Emotionen mit Fakten versöhnen“, forderte Merkel. Die Unversöhnlichkeit verschiedener gesellschaftlicher Gruppen müsse überwunden werden.

Und dann sorgt Merkel für Gelächter

„Auch die kontroversesten Gruppen müssen sich austauschen, weil man sonst in seinen Vorurteilen und Blasen lebt.“ Der Preis des Nicht-Handelns in der Klimafrage sei deutlich höher als der des Handelns. Die Industrieländer seien in der Bringschuld.

2020 World Economic Forum in Davos

Merkel arbeitete bei ihrer Rede viel mit Gestik
Quelle: REUTERS

Für etwas Gelächter sorgte Merkel in Davos, als sie erwähnte, dass „zu meiner Überraschung“ Deutschland auf Platz eins der innovativsten Länder bei Bloomberg gewählt wurde. „Wir halten uns ja in Deutschland meist damit auf, was nicht so läuft, da sind die Kulturen unterschiedlich“, scherzte sie. Merkel hob hervor, dass Deutschlands Bürger über die EEG-Umlage „mit den höchsten Strompreis in Europa“ tragen und pro Jahr 30 Milliarden Euro ausgeben. Dadurch seien Technologien gefördert worden, die nun in andere Staaten verkauft werden.

„Der Fehler war es nicht, Menschen aufzunehmen“

Zum Ende ihrer Rede kam die Kanzlerin auch auf die Flüchtlingskrise zu sprechen. 2015 sei der Fehler „mit Sicherheit nicht“ gewesen, „Menschen aufzunehmen, die vor unserer Türe standen, sondern im Vorfeld nicht darauf geachtet zu haben, Bedingungen zu schaffen, dass Menschen in ihrer Heimat bleiben können“, sagte sie.

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Daher müsse alles getan werden, um Friedensprozesse in Gang zu setzen, so wie es nun auch in Libyen geschehen sei, „bevor es dort zum selben Stellvertreterkrieg“ komme wie in Syrien.

Länder wie Mali und Niger, „die ärmsten der Welt“, müssten vor Terrorismus geschützt werden, der jede Entwicklungshilfe ad absurdum führe. Niger gebe beispielsweise 30 Prozent seines Staatshaushaltes für Sicherheit aus. „Wir müssen präventiv handeln, bevor Flucht und Migration in gewissen Staaten aus dem Ruder laufen. Ohne Sicherheit keine Entwicklung.“

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