Nicht einmal jetzt ist Trump willens, die geschundene Seele der Nation zu heilen

Die oft beschriebene und beklagte „Spaltung Amerikas“ ist mindestens so alt wie die Nation selbst. Mögen auch die Gräben zwischen Stadt und Land, Arm und Reich, Demokraten und Republikanern zuletzt tiefer geworden sein – aktuell leiden die USA unter gleich drei Krisen, die vor einem halben Jahr kaum absehbar waren. Sie sind in mehrfacher Hinsicht miteinander verknüpft.

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Erstens: Die Corona-Epidemie hat allen das teils dysfunktionale Gesundheitssystem des Landes vor Augen geführt. Der Anstieg der Infektionen ist gebremst, die Zahl der aktiven Fälle aber bleibt hoch, und mehr als 104.000 Amerikaner sind infolge von Covid-19 gestorben.

Zweitens: Mehr als 40 Millionen Menschen in den USA sind arbeitslos, fast jeder Sechste. Das Land erlebt eine Rezession wie seit der Großen Depression nicht mehr.

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Drittens: Eine Welle von Gewalt hält das Land in Atem, es gibt so viele Ausgangssperren wie seit 1968 nicht mehr. Damals waren es die Unruhen nach der Ermordung Martin Luther Kings, heute sind es Wut und Frust über den gewaltsamen Tod George Floyds. Die Ungleichbehandlung der Afroamerikaner treibt viele Menschen um. Sie sterben proportional öfter als Weiße an Corona, sie werden rascher arbeitslos. Dass Afroamerikaner weniger verdienen als Weiße, wird in den USA weitgehend achselzuckend hingenommen. Warum eigentlich?

Mit Covid-19 und dem noch immer präsenten Rassismus sind die USA gewissermaßen von zwei Viren befallen. Die Weltmacht Amerika erscheint in diesen Tagen wie ein um sein Leben kämpfender Patient. Stärker denn je bräuchte das Land nun Führungsstärke, also: einen Präsidenten mit Willen und Fähigkeit, die Menschen zu überzeugen und hinter sich zu versammeln. Donald Trump aber führt sich seit jeher auf als Spalter, nicht als Staatsoberhaupt aller Amerikaner. Nicht einmal in dieser dramatischen Situation ist er willens und in der Lage, die geschundene Seele der Nation zu heilen.

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Ob Donald Trump aus der Gewalt dieser Tage, wie erhofft, politisch Honig saugen kann, ist noch nicht absehbar. Gewählt wird in gut fünf Monaten. Noch vor vier Monaten debattierte der Senat über ein Amtsenthebungsverfahren, vor drei Monaten galt Bernie Sanders als Präsidentschaftskandidat. Ein Tag in der amerikanischen Politik wirkt manchmal wie ein ganzes Jahr. Am 3. November haben die Amerikaner die Wahl. Es täte dem Land gut, wenn es ein wenig zur Ruhe fände und wieder einmal tief durchatmen könnte.

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