Der erste Höhepunkt im Ringen um Macht und Merkel-Nachfolge

Den Vogel hat über Pfingsten die zuletzt eher mäßig erfolgreiche schleswig-holsteinische SPD abgeschossen. Die Nord-Genossen, das beschloss deren Landesvorstand am Pfingstsonnabend, wollen mit der Forderung nach einer 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich in die bevorstehenden Wahlkämpfe in Bund (2021) und Land (2022) ziehen. Die Gelegenheit für die Einführung neuer, besonders arbeitnehmerfreundlicher Arbeitszeiten sei günstig, schreibt SPD-Landeschefin Serpil Midyatli auf der Homepage ihrer Partei, da viele Menschen wegen der Corona-Pandemie „ohnehin ungewollt ihre Arbeitszeit reduzieren“ müssten.

Weniger Arbeit, mehr Freizeit für alle – nur ein Beispiel aus der unendlichen Reihe der Vorschläge, die derzeit nach dem Motto „wer will noch mal, wer hat noch nicht“ auf die Deutschen einprasseln. Bunte Ideensammlungen, bei denen es jedenfalls nicht ausschließlich um die Frage geht, wie Land und Leute möglichst ungeschoren durch die Corona-Krise kommen. Sondern auch um das Profil von Parteien und Personen, um die besten Startplätze für den Bundestagswahlkampf 2021.

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Hilfe für Kommunen

Erster Höhepunkt des einsetzenden Ringens um Macht und Merkel-Nachfolge ist der Corona-Gipfel der drei Koalitionsparteien an diesem Dienstag. CDU, CSU und SPD wollen im Kanzleramt über Eckpunkte jenes milliardenschweren Konjunkturprogramms beraten, mit dem Bund, Länder und Gemeinden die aufziehende Wirtschaftskrise bekämpfen sollen. Beste Gelegenheit also, um sich auch innerparteilich für die Bundestagswahl zu positionieren.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) zum Beispiel wird an diesem Dienstag mit einem ganzen Bündel von Vorschlägen aufwarten. Der Vizekanzler ist fest davon überzeugt, dass seine Partei trotz mickriger Umfragedaten mit ihm als Kanzlerkandidaten, als einer Art „neuer Merkel“, gute Chancen auf einen Machtwechsel in Berlin hat.

Wird Olaf Scholz (SPD) die Gunst der Stunde nutzen und als potenzieller Kanzlerkandidat punkten?

Wird Olaf Scholz (SPD) die Gunst der Stunde nutzen und als potenzieller Kanzlerkandidat punkten?
Quelle: Getty Images

Dass Scholz bei dem Koalitionsgipfel neben einer Vielzahl sehr spezifischer Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft eine Gießkannen-Auszahlung von 300 Euro pro Kind auf seine Agenda gesetzt hat, dient auch dazu, die Vorbehalte der eigenen Partei gegen den potenziellen SPD-Kanzlerkandidaten Scholz zu zerstreuen. Seht her – das ist die Botschaft des Scholz’schen Familienbonus – in diesem immer etwas kühl und unnahbar wirkenden Vizekanzler schlägt doch tatsächlich ein echtes sozialdemokratisches Herz.

Auch Armin Laschet (CDU), potenzieller Kanzlerkandidat der Union, hat das Wahlkampfpotenzial, das in einer Bonuszahlung für alle Eltern steckt, zügig erkannt und die Angebotssumme für sein eigenes Bundesland, Nordrhein-Westfalen, kurzerhand auf 600 Euro verdoppelt.

Die Parteichefin der Grünen, Annalena Baerbock, plädiert dafür, dass bundesweit alle Menschen einen „Kauf-vor-Ort-Gutschein“ in Höhe von 250 Euro pro Kopf erhalten sollen. Auf diesem Wege, so Baerbock zu WELT, könnten „unsere Innenstädte und Ortskerne lebendig bleiben und auch der inhabergeführte Buchladen an der Ecke oder das Lieblingscafé in der Nachbarstraße die Krise überstehen“.

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Markus Söder

Markus Söder (CSU), wie Laschet als potenzieller Merkel-Nachfolger gehandelt, will sich im allgemeinen Wettstreit um die populärste Methode zur Ankurbelung der Konjunktur ebenfalls nicht lumpen lassen und erteilt einem Zusatzkindergeld für alle seinen Segen. „Ein Familienbonus ist sinnvoll“, betonte Söder im Interview mit WELT AM SONNTAG. Die Elternprämie, so viel steht schon vor Beginn des Gipfels fest, wird kommen – die Frage ist nur noch, in welcher Form und in welcher Höhe.

Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Stephan Weil zum Beispiel will es wie Laschet nicht bei 300 Euro belassen. Da die von seiner Partei geforderte vorzeitige Teilabschaffung des Solidaritätszuschlags „technisch nicht mehr möglich zu sein“ scheine, so Weil zu WELT, sei es umso wichtiger, andere Wege zu finden, um die private Nachfrage anzukurbeln. „Eine Einmalzahlung für Familien in Höhe von 600 Euro pro Kind zur Stärkung der Kaufkraft insbesondere unterer und mittlerer Einkommensgruppen wäre dafür ein wichtiger Beitrag.“ Der Niedersachse darf, anders als CSU-Parteichef Söder, nicht am Berliner Konferenztisch Platz nehmen.

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Not der Kommunen

Söder, bis dato der Unionspolitiker, der die Krise am besten für die eigene Profilierung zu nutzen wusste, hat wie Scholz reichlich Vorschläge für die Ankurbelung der Konjunktur im Gepäck: Abschaffung des Soli, Senkung der Energiekosten, verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen, ein Hotel-Bonus für Inlandsreisen – auch Bayerns Ministerpräsident, zuletzt eher als Mahner vor allzu großzügigem Umgang mit dem Steuergeld aufgefallen, positioniert sich in diesen Tagen als einfallsreicher Keynesianer. Mehr Nachfrage, mehr Wirtschaftswachstum, mehr Krisenbekämpfung durch eine kräftige Erhöhung der Staatsausgaben. Auch für Länder und Gemeinden.

Anders als über den unstrittigen Familienbonus wird über die Art und Weise der Entlastung von Kommunen heftig gestritten werden. Während Scholz Bund und Länder in die Pflicht nehmen will, um besonders klamme Gemeinden zu unterstützen, lehnt die Union eine solche Art der Quasi-Vergemeinschaftung von Altschulden ab.

Sie will stattdessen allen Kommunen, unabhängig von ihrer jeweiligen Finanzlage, zusätzliche Teile der Steuereinnahmen überlassen. Hinzukommen soll ein kommunales Investitionsprogramm, bei dem der Bund 90 und die Länder zehn Prozent der Ausgaben übernehmen.

Walter Borjans – „Dann laufen die Konjunkturprogramme ins Leere“

Der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans spricht sich sowohl auf EU- als auch auf Bundesländerebene für ein solidarisches Handeln aus. Die finanzielle Unterstützung anderer Staaten geschehe auch „im eigenen Interesse“.

Quelle: WELT/Felicia Pochhammer

Eine Debatte, die vor Ort auf ein der jeweiligen Finanzlage angepasstes Echo trifft. So lobt der Bürgermeister des notorisch finanzschwachen Bremen, Andreas Bovenschulte (SPD), die Hilfspläne des Vizekanzlers ausdrücklich. Es hätte „einen echten und schnellen Effekt, wenn die Bundesregierung den Kommunen die Hälfte der Gewerbesteuerausfälle und die Hälfte der Kassenkredite abnehmen würde“, sagt Bovenschulte auf Anfrage von WELT.

So hätten „die Kommunen wieder Luft für dringend erforderliche Investitionen in Kitas und Schulen, in Infrastruktur und Digitalisierung. Das käme den Menschen und der Wirtschaft gleichermaßen zugute. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) lehnt Scholz’ Altschulden-Plan dagegen ab – in seinem Bundesland gebe es schließlich überhaupt keine überschuldeten Gemeinden.

Noch ein Thema wird für hitzige Debatten, auch quer durch die beteiligten Parteien, führen. Die Frage, ob und wie die Autoindustrie unterstützt werden soll, wird allerdings weniger entlang von Partei- als von Ländergrenzen geführt. Während sich Baden-Württembergs grün-schwarze Koalition und Niedersachsens rot-schwarze Regierung zusammen mit Bayern für eine „Innovationsprämie“ für den Umtausch eines alten Autos gegen ein neues starkmachen, gibt es sowohl innerhalb der Union als auch bei SPD und Grünen erhebliche Skepsis gegenüber Staatshilfen für VW, Mercedes oder BMW.

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Pläne der EU-Kommission

Sowohl Unions-Bundestagsfraktionschef Ralph Brinkhaus als auch SPD-Parteichef Norbert Walter-Borjans haben aus ihrer ablehnenden Haltung gegenüber staatlichen Autokaufprämien keinen Hehl gemacht.

Und auch Winfried Kretschmanns Parteichefin Annalena Baerbock ist strikt gegen Kaufanreize zur Ankurbelung der Autokonjunktur. „Abwrackprämien für Benziner und Diesel sind ökonomisch und ökologisch falsch“, so Baerbock am Pfingstmontag zu WELT, „sie verlängern nur die Strukturkrise der Autobranche.“ Damit diese wettbewerbsfähig bleibe, um Arbeitsplätze zu erhalten und Zulieferer zu unterstützen, solle der Bund vielmehr „in den Umbau von Fabriken investieren, damit dort saubere Autos vom Band rollen“.

Ein Ziel, das übrigens nicht besonders weit entfernt ist von dem der amtierenden Bundeskanzlerin. Angela Merkel kündigte am Pfingstwochenende an, dass die Koalition am Dienstag ein Konjunkturprogramm schnüren werde, das der Wirtschaft helfen, zugleich aber auch „Innovation und Nachhaltigkeiten einen Schub versetzen“ müsse.

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