„V-Szenario ist vom Tisch“ – Deutschland in der „Protektionismus-Falle“

Die Hoffnung auf eine schnelle Erholung der deutschen Wirtschaft in der Corona-Krise schwindet. In der für Deutschland besonders wichtigen Exportwirtschaft hat sich die Einschätzung der Lage im Vergleich zum April noch einmal verschlechtert.

So erwarten nun laut einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) unter rund 3300 Unternehmen 83 Prozent der Firmen einen Umsatzrückgang in diesem Jahr. Im April lag dieser Wert noch bei 79 Prozent.

„Die Krise ist stärker und wird langwieriger sein als erwartet“, sagt DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier.

Das von vielen Ökonomen erhoffte sogenannte V-Szenario, bei dem auf einen drastischen Einbruch der Wirtschaftsleistung eine ebenso steile Erholung folgt, hält Treier inzwischen nicht mehr für realistisch. „Das V-Szenario in der Konjunkturerholung ist vom Tisch“, sagt er.

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Tatsächlich lautet das besorgniserregende Ergebnis der Umfrage, dass 43 Prozent der Firmen erst im Jahr 2022 oder sogar noch später von einer Erholung ausgehen. Nur 50 Prozent rechnen bereits im kommenden Jahr damit, sieben Prozent glauben sogar noch in 2020 an eine Rückkehr zur Normalität.

Besonders düster ist die Stimmung bei Firmen, die Geschäfte mit Nord-, Mittel- und Südamerika machen. In diesen Gruppen glaubt jeweils sogar eine Mehrheit von 50 bis 55 Prozent, dass es bis mindestens 2022 dauern wird, bis sich die Lage normalisiert.

59 Prozent der Unternehmen berichten von einer schwächeren Nachfrage nach ihren Produkten aufgrund der Corona-Krise, das ist noch einmal eine leichte Verschlechterung um zwei Prozentpunkte gegenüber der im April durchgeführten Umfrage.

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Auch die Reisebeschränkungen werden noch immer von 63 Prozent der Unternehmen als massives Problem eingeschätzt, obwohl die strengen Lockdown-Regeln gelockert wurden. Ausgerechnet aus dem Maschinenbau, einer Schlüsselbranche der deutschen Wirtschaft, höre man besonders häufig, dass aufgrund der fehlenden Reisemöglichkeiten Aufträge nicht ausgeführt oder abgeschlossen werden könnten, berichtet Treier.

Diese Schwierigkeiten werden massive Folgen haben: Inzwischen kündigen 56 Prozent der exportierenden Unternehmen an, dass sie weniger investieren wollen als geplant. Im April lag dieser Wert noch bei 35 Prozent.

43 Prozent gaben an, dass sie Stellen streichen werden, auch hier waren die Firmen im April noch optimistischer, nur 35 Prozent gingen damals schon von einem Jobabbau aus.

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DIHK-Experte Treier geht davon aus, dass statt der sonst üblichen jährlichen Investitionen deutscher Firmen im Ausland von rund 100 Milliarden Euro in diesem Jahr nur die Hälfte dieser Summe erreicht wird. Außerdem müsse man damit rechnen, dass von den 7,8 Millionen Arbeitsplätzen von deutschen Firmen im Ausland 200.000 in diesem Jahr wegfallen werden.

Es werde einen „Aderlass“ bei der Beschäftigung geben, befürchtet Treier. Das werde sich auch auf Arbeitsplätze in Deutschland auswirken, denn das Geschäft im Ausland sorge auch im Inland für Beschäftigung.

Insgesamt rechnet der DIHK mit einem Rückgang der deutschen Exporte um 15 Prozent im Jahr 2020, wovon im nächsten Jahr mit einem Plus von etwa sieben Prozent wohl nur die Hälfte wieder aufgeholt werden dürfte.

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Durch die fehlende Nachfrage aus dem Ausland werde die Exportbilanz um rund 300 Milliarden Euro niedriger ausfallen, während die Importe weniger stark schrumpfen dürften. Deshalb geht der DIHK von einem Rückgang des Handelsbilanzüberschusses von 223 Milliarden Euro auf nur noch rund 50 Milliarden Euro in 2020 aus.

Problematisch sei auch, dass es in vielen Ländern in der Corona-Pandemie protektionistische Bestrebungen gebe, um Produktion im eigenen Land zu halten. Damit seien nicht nur die USA gemeint, sondern beispielsweise auch Länder wie Japan.

Als Reaktion auf die Corona-Pandemie gaben aber auch 22 Prozent der Unternehmen bei der Befragung an, dass sie ihre Produktion verstärkt verlagern würden. 19 Prozent dieser Unternehmen wollen ihre Standorte zurück nach Deutschland verlegen. Dennoch warnt Treier: „Die Corona-Pandemie darf nicht zur Protektionismusfalle werden.“

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Unternehmen, die durch die Krise in existenzielle Nöte geraten, können seit Mittwoch immerhin Mittel aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) beantragen. Der 600 Milliarden Euro schwere Fonds war bereits im März beschlossen worden, konnte aber bis jetzt seine Arbeit nicht aufnehmen, weil die nötige Genehmigung aus Brüssel fehlte. Am Mittwoch segnete die EU-Kommission den WSF nun ab. Laut Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) werden derzeit bereits informelle Gespräche mit rund 50 Firmen geführt. Das Interesse werde jetzt zunehmen.

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