Verteidigung des „Schlachtfelds“ – Wie sich die Neonazi-Szene ungestört selbst finanziert

In der Schweiz fand jetzt eines der größten Neonazi-Konzerte aller Zeiten statt. Die Polizei beobachtete das Treiben, griff aber nicht ein. Interessant ist, worein die Einnahmen fließen.

Marcus R. baut sich vor dem Richtertisch auf, beugt seinen breiten Oberkörper nach vorn und lässt seine tätowierte Glatze begutachten. Richter, Staatsanwalt und Verteidiger mustern eine Weile den schwarz konturierten Totenschädel und einen Schriftzug auf R.s Kopf, dann darf sich der Angeklagte wieder setzen.

In einem Prozess, in dem es um schwere Körperverletzung geht, die Angeklagten aber schweigen, kommen auch mal ungewöhnliche Methoden zum Einsatz, um die Gewaltbereitschaft einer Person zu bewerten. Etwa die Inaugenscheinnahme einer Tätowierung: Auf dem Kopf von Marcus R. prangt ein Symbol von „Combat 18“, dem militanten Arm des in Deutschland verbotenen rechtsextremistischen Netzwerks Blood and Honour.

Insgesamt 15 Neonazis müssen sich derzeit vor dem Erfurter Landgericht verantworten. Über drei Tischreihen verteilt sitzen sie mit ihren Verteidigern im Gerichtssaal 1.42, der für den Mammutprozess extra umgebaut werden musste.

Nach 26 Verhandlungstagen ist noch immer kein Urteil gefallen, doch die Sache ist weitgehend klar. So klar, dass der Vorsitzende Richter in dieser Woche an die Angeklagten appellierte, ihr Schweigen endlich zu brechen und guten Willen erkennen zu lassen. Denn, so der Richter, es sei „reiner Zufall, dass nicht mehr passiert ist“.

Den Streifenpolizisten in Ballstädt bot sich das Bild eines „Schlachtfeldes“. (Foto: dpa)

Was aber ist passiert? Im Februar 2014 warfen Unbekannte eine Fensterscheibe des sogenannten Gelben Hauses – einer Immobilie der rechten Szene – im thüringischen Ballstädt ein. Daraufhin kam es, vermutlich als Racheakt, zu einem brutalen Überfall auf ein nahe gelegenes Kulturhaus, in dem gerade eine Dankesfeier für die Helfer des alljährlichen Dorffestes stattfand. Offenbar vermuteten die Täter dort den oder die Steinewerfer.

Spät in der Nacht, nach 2 Uhr, sollen die angeklagten Neonazis die Feier gestürmt haben. Mit Quarzsandhandschuhen und einem Baseballschläger bewaffnet, teils vermummt, sollen die Rechtsextremisten auf die Gäste eingeschlagen, sie über den Tresen und in einen Spiegel geworfen, mit Stühlen nach ihnen geschmissen und selbst auf Bewusstlose noch eingetreten haben.

Blutspritzer und Glasscherben verteilten sich über den gesamten Raum. Den ersten Streifenpolizisten vor Ort bot sich das Bild eines „Schlachtfeldes“, wie sie es im Prozess schilderten.

„Solidaritätskonzerte“ finanzieren Neonazis Prozesse

Die Angeklagten gehören der bestens vernetzten Thüringer Neonazi-Szene an. Viele von ihnen sind vorbestraft, saßen teils auch schon im Gefängnis. Sie sind geübt im Umgang mit dem Rechtsstaat, mehrere Angeklagte werden von einschlägigen Szeneanwälten vertreten.

Geübt sind sie auch, was die Prozesskosten angeht. Die sollen überwiegend aus den Einnahmen sogenannter Solidaritätskonzerte bezahlt werden – eine wichtige Geldquelle der rechtsextremistischen Szene, nicht nur beim Ballstädt-Verfahren.

Samstag vor zwei Wochen. Im beschaulichen Schweizer Bergdörfchen Unterwasser im Kanton St. Gallen, rund eine Autostunde von der deutschen Grenze entfernt, treffen sich mehr als 5000 Neonazis in einer Veranstaltungshalle. Die Polizei ist völlig überrascht, sie war von einem Konzert von Schweizer Nachwuchsbands mit maximal 600 Besuchern ausgegangen. Stattdessen sieht sie sich mit einer der größten europäischen Rechtsrockpartys aller Zeiten konfrontiert.

Auf der Bühne stehen rechte Bands wie Stahlgewitter, Frontalkraft und Amok. Auch der Hauptangeklagte im Ballstädt-Prozess, der Neonazi Thomas W., ist anwesend. Das Publikum grölt hetzerische Parolen mit, Videoaufnahmen dokumentieren zahlreiche Hitlergrüße. Die Behörden griffen nicht ein. Tausende Neonazis aus ganz Europa konnten ungehindert feiern – und die Veranstalter nahmen wohl stattliche Summen ein.

Ein Autor des Antifa-nahen Blogs „Thüringen Rechtsaußen“ hatte vorgegeben, eine Eintrittskarte für das Konzert in der Schweiz kaufen zu wollen: Er sollte 30 Euro zahlen. Bei 5000 Besuchern macht das mindestens 150.000 Euro, alleine aus den Kartenerlösen. Hinzu kommen die Einnahmen aus Getränke-, Essens- und Merchandise-Verkauf sowie aus den angebotenen Busreisen dorthin.

Die Organisatoren des Rechsrockkonzerts in Unterwasser, das zunächst auf einem Flyer für „Süddeutschland“ angekündigt war, stammen wohl mehrheitlich nicht aus der Schweiz, sondern aus Deutschland. Thüringer Neonazis, so bestätigen auch deutsche Sicherheitskreise der „Welt“, sollen das Event federführend geplant und mithilfe von Schweizer Rechtsextremisten durchgeführt haben. Der Thüringer Neonazi David H. aus Saalfeld etwa stellte wiederholt seine Kontoverbindung für die Überweisungen zur Verfügung.

Auch mutmaßlicher NSU-Helfer verdient mit

Ein Teil des Geldes, darauf lassen Äußerungen von Konzertbesuchern schließen, fließt offenbar in Neonaziprozesse wie in Ballstädt oder auch in München: „Wolle wird sich freuen!“, kommentiert ein Besucher das Schweizer Konzert auf Facebook.

„Wolle“ ist der Spitzname von Ralf Wohlleben. Er soll einer der wichtigsten Helfer des mutmaßlichen Terrortrios NSU gewesen sein und muss sich deshalb vor dem Oberlandesgericht München verantworten. Wohlleben soll unter anderem die Ceska-Pistole besorgt haben, mit der türkisch- und griechischstämmige Geschäftsleute in deutschen Städten erschossen wurden. Der Schweizer Sonntagszeitung bestätigten Insider, dass mit einem Teil der Einnahmen durch das Rechtsrockkonzert die Prozesskosten von Wohlleben finanziert werden sollen.

Der wegen Unterstützung der rechtsextremen Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) angeklagte Ralf Wohlleben vor Gericht. (Foto: dpa)

Schon in der Vergangenheit hat die Thüringer Neonaziszene mehrere Solidaritätskonzerte für Wohlleben organisiert. Zuletzt war im August beim Open-Air-Festival „Rock gegen Überfremdung“ in Kirchheim ein Transparent über die Bühnenseitenwand gespannt, auf dem „Freiheit für Wolle“ gefordert wurde. Die Eintrittpreise wurden damals auf dasselbe Konto überwiesen wie nun beim Schweizer Großkonzert.

Aus eben diesem Umfeld wurden auch zahlreiche Solidaritätskonzerte für die Angeklagten im Ballstädt-Prozess organisiert. Mehrere Bands sollen auf ihre Gage verzichtet haben, am Merchandise-Stand wurden offenbar T-Shirts mit dem Aufdruck „Solidarität mit Ballstädt“ verkauft, mit denen Angeklagte auch schon vor Gericht erschienen sind.

Zahl der Neonazi-Konzerte steigt

Das nächste Konzert, bei dem möglicherweise wieder für die angeklagten Neonazis Geld gesammelt werden soll, ist schon für nächste Woche geplant, am Samstag. Wie so häufig, soll es in Kirchheim bei Erfurt stattfinden – einer der deutschen Hochburgen für braune Konzerte.

Wie die „Welt“ wiederholt berichtete, hat die Häufigkeit rechtsextremer Konzerte in Deutschland zuletzt wieder zugenommen. 2015 fanden nach Kenntnis der Sicherheitsbehörden 199 Musikveranstaltungen der Szene statt, im ersten Halbjahr 2016 waren es nach vorläufiger Zählung 98. In den drei Jahren davor hatte es deutlich weniger solche Musikveranstaltungen gegeben.

Möchten Sie diesen Artikel kommentieren? Dann nutzen Sie die Kommentarfunktion auf unserer neuen Seite

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*