Etwas mehr als ein Jahr ist es her, dass Donald Trump in einer der vielen Fernsehdebatten des republikanischen Vorwahlkampfs gefragt wurde, wie er denn, sollte er eines Tages tatsächlich Präsident werden, gedenke, die Mitglieder des Kongresses von seinem politischen Programm zu überzeugen. Das sei ganz einfach, erwiderte der Kandidat damals. Man müsse nur alle Senatoren und Abgeordnete des Repräsentantenhauses „in einem Raum haben“ und dann werde man sie schon „dazu bringen, dem, was man selbst will, zuzustimmen“, so Trump. „Man muss sie packen, umarmen, küssen und den Deal abschließen.“
So weit die blumige Theorie. Am späten Dienstagabend (Ortszeit) musste Donald Trump, seit vierzig Tagen als 45. Präsident der Vereinigten Staaten im Amt, seine Überzeugungskünste in der Realität unter Beweis stellen.
Eines wird schnell klar: In seiner mit Spannung erwarteten ersten Rede vor beiden Kammern des Kongresses versucht Trump, seinen viel zitierten Ruf als „Dealmaker“ wieder in den Vordergrund zu stellen. In den vergangenen Wochen und Monaten, als seine Auftritte vor allem von persönlichen Beleidigungen gegenüber Medien und politischen Gegner geprägt waren, war dieser in Amerika fast schon in Vergessenheit geraten.
„Demokraten und Republikaner“, so erklärt der Präsident an einer entscheidenden Stelle seiner Ansprache, „sollten zusammenkommen und sich zusammentun für das Wohl des Landes und das Wohl des amerikanischen Volkes“. Alles, was kaputt sei, könne repariert werden, sagt Trump. „Jedes Problem kann gelöst werden.“
Der Präsident ist zu diesem Zeitpunkt beim Thema Gesundheitspolitik angelangt, zu dem Beobachter von ihm im Vorfeld seiner Rede besonders viele klärende Ansagen gefordert hatten. „Wir müssen Obamacare aufheben und mit Reformen ersetzen, die Wahlmöglichkeiten ausweiten, den Zugang erhöhen, Beitragskosten senken und gleichzeitig bessere Gesundheitsversorgung ermöglichen“, sagt der Präsident. Wie genau der republikanisch dominierte Kongress diese Forderungen in Gesetze gießen soll, lässt er offen.
Konkrete Zahlen: Fehlanzeige
Vage bleibt Trump auch beim Thema Steuerreform. Sein Wirtschaftsteam arbeite daran, sagt er. Amerikanische Unternehmen sollten weniger Steuern zahlen, um überall auf der Welt wettbewerbsfähig zu sein. Auch die amerikanische Mittelschicht werde bald von massiven Steuererleichterungen profitieren, verspricht er unter donnerndem Applaus. Konkrete Zahlen oder gar ein Zeitplan: Fehlanzeige.
Ein weiteres Feld, bei dem der Präsident eine Zusammenarbeit von Demokraten und Republikanern anmahnt, ist die Einwanderungspolitik. Er unterstütze eine Reform bestehender Einwanderungsgesetze, wenn diese bessere Jobs und höhere Löhne für Amerikaner bedeuten würden, lässt Trump wissen. Statt „ungebildeter Arbeiter“ solle man in Zukunft hochgebildete Menschen einreisen lassen. Verschiedene amerikanische Medien hatten zuvor berichtet, dass Trump auch beim Thema Abschiebungen zurückrudern würde und sich entgegen seiner bisherigen Haltung nun dafür ausspreche, illegal eingereiste Menschen, die sich ansonsten in den Vereinigten Staaten keines Verbrechens schuldig gemacht hätten, nicht mehr abzuschieben. In seiner Rede blieb dieser Aspekt allerdings unerwähnt.
Trump, der Impulsgeber
Überhaupt wirkt Trump in weiten Abschnitten seines etwa einstündigen Auftritts weniger wie ein Dealmaker, sondern eher wie ein Impulsgeber, der den Abgeordneten die Ausarbeitung seiner Politik überlassen möchte. „Die Zeit des Denkens in kleinen Dimensionen“ sei vorüber, lässt er seine Zuhörer wissen. Das klingt nach Visionär, aber auch nach einem Präsidenten, der um mühsame Detailarbeit lieber einen Bogen macht.
Stattdessen verbringt Trump fast ein Drittel seiner Redezeit damit, bisherige Erfolge seiner Amtszeit zu loben. „Ein neuer nationaler Stolz“ sei spürbar, erklärt er und zählt vermeintliche Fehler der Vorgängerregierung auf. Statt sechs Milliarden Dollar in den Nahen Osten zu stecken, hätte man lieber in die amerikanische Infrastruktur investieren sollen. „Mit diesen sechs Milliarden Dollar hätten wir unser Land zwei Mal wieder aufbauen können – drei Mal sogar, wenn wir Leute gehabt hätten, die verhandeln können.“ Einer von zahlreichen Seitenhieben auf die Demokraten, die ihm an diesem Abend nur selten applaudieren.
Den Versöhner nimmt man ihm nicht ab
Und doch: „Ich bin hier, um eine Nachricht von Einheit und Stärke zu übermitteln, die von Herzen kommt“, sagt Trump staatsmännisch. Dass er seine Ansprache mit einer Verurteilung von Hassverbrechen gegen Minderheiten beginnt, rechnen ihm auch viele Kritiker hoch an. Die jüngsten Drohungen gegen jüdische Gemeinden oder die tödlichen Schüsse auf einen Inder in Kansas etwa seien, so der Präsident, eine Erinnerung daran, dass, auch wenn man in politischen Fragen gespalten sei, „wir ein Land sind, dass geschlossen den Hass und das Böse in aller Form verurteilt“.
Viele politische Gegner nehmen dem Präsidenten seine neu entdeckte Rolle als Versöhner trotzdem nicht ab. Trumps Satz, wonach „die Zeit für triviale Auseinandersetzungen“ vorbei sei, sorgt beim früheren demokratischen Präsidentschaftsbewerber Bernie Sanders für ungläubiges Lachen. „Dieser Mann hat Muslime angegriffen. Er hat Latinos angegriffen. Er hat die Medien angegriffen. Er hat Richter angegriffen, die nicht in seinem Sinne geurteilt haben. Und jetzt ist er zu dem Entschluss gekommen, dass die Zeit für triviale Auseinandersetzungen hinter uns liegt. Naja, ich hoffe, er hat Recht.“
Trumps eingangs erwähnte Ankündigung scheint also doch etwas zu optimistisch gewesen zu sein. Aber es bleibt ja noch viel Zeit für jede Menge Deals.
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