Kein gutes Ergebnis für die AKP – trotzdem ein Erfolg für Erdogan

Es ist kein gutes Ergebnis für den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Ankara, die Hauptstadt der Türkei und das Machtzentrum seiner Regierung, wird nach 20 Jahren in der Hand von Erdogans Partei in Zukunft von der sozialdemokratischen CHP regiert, der größten Oppositionspartei des Landes. Das scheint beim gegenwärtigen Stand der Auszählung sicher.

Auch in den südtürkischen Großstädten Antalya und Adana, wo bisher die islamische AKP und ihr nationalistischer Bündnispartner MHP regierten, könnte die Opposition das Rathaus übernehmen.

Und sogar in Istanbul schien lange ein Sieg der CHP möglich. In der Wirtschaftsmetropole mit ihren 15 Millionen Einwohnern leben fast 20 Prozent der türkischen Bevölkerung. Seit Erdogan hier 1994 selbst Bürgermeister wurde, lag die Macht in der Stadt am Bosporus immer in der Hand seiner Partei. „Wer Istanbul gewinnt, gewinnt die Türkei“, hat Erdogan in diesem Wahlkampf erklärt.

Der AKP-Kandidat der regierenden AKP beanspruchte am Abend den Sieg in Istanbul für sich. „Wir haben in Istanbul gewonnen. Ich danke den Einwohnern von Istanbul für das Mandat, das sie mir übertragen haben“, sagte Ex-Ministerpräsident Binali Yildirim am Sonntagabend vor jubelnden Anhängern. Laut der amtlichen Nachrichtenagentur Anadolu lag er nach Auszählung von 98 Prozent der Wahlzettel wenige tausend Stimmen vor dem Oppositionskandidaten – ein nur hauchdünner Vorsprung.

In einer spätnächtlichen Ansprache reklamierte Erdogan außerdem den Sieg der AKP in 16 Großstädten für sich. In den Kommunalwahlen von 2014 hatte die Partei noch 18 Großstädte gewonnen. Es wurde nicht unmittelbar klar, welche beiden Großstädte AKP-Bürgermeisterkandidaten aus Erdogans Sicht verloren hatten.

Tote nach Schüssen in türkischem Wahllokal

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Während der Kommunalwahl in der Türkei sind im ostanatolischen Malatya zwei Menschen erschossen worden. Die Nachrichtenagentur DHA meldete, zwei Gruppen seien in einem Wahllokal im Bezirk Pötürge aneinandergeraten.

Quelle: WELT

Derzeit scheint es nicht, als kündigten die Achtungserfolge der Opposition wirklich einen beginnenden Machtwechsel in der Türkei an.

Denn andererseits ist es ein ziemlich gutes Ergebnis für Erdogan: Um 23 Uhr waren mehr als 91 Prozent der Wahlurnen ausgezählt, die AKP liegt beim landesweiten Stimmenanteil mit 44,95 Prozent deutlich vor der CHP mit 30,25 Prozent. Und nicht nur das: Im Vergleich zur Parlamentswahl im vergangenen Jahr und zur Kommunalwahl 2014 hat die AKP sogar rund zwei Prozent hinzugewonnen.

Das ist umso bemerkenswerter, als es viele objektive Gründe gegeben hätte, an der Politik der Regierungspartei zu zweifeln. Die Türkei steckt in der Rezession, die Lira hat im vergangenen Jahr mehr als 20 Prozent ihres Werts verloren, die Zahl der Arbeitslosen ist um eine Million gestiegen. Die Regierung lässt sogar Verkaufsstände mit subventionierten Lebensmitteln einrichten, um ärmere Bevölkerungsschichten zu versorgen.

Doch die schlechte Wirtschaftslage lastet die Mehrheit der Wähler offenbar nicht Erdogan und dessen Politik an – obwohl der in den letzten Jahren Reformen immer wieder vermieden und die Inflation angefacht hatte, indem er die Zentralbankzinsen lange Zeit künstlich niedrig hielt.

Aggressiver Wahlkampf

Doch der zurückliegende Wahlkampf war auch der vielleicht aggressivste der zurückliegenden Jahre. Dass der Innenminister potenziell erfolgreichen Kandidaten der Opposition schon im Voraus mit Verhaftung droht, ist selbst für die Türkei ungewöhnlich. Zugleich ist die Unterwerfung der Medien unter das Diktat der Regierung wenn überhaupt nur noch umfassender geworden. Mittlerweile ist mit der einst kritischen Zeitung „Cumhuriyet“ auch das letzte große Organ auf Regierungskurs gebracht.

Und in den Kurdengebieten im Südosten des Landes ist die Lage nicht nur medial unfrei: Hier stehen seit langem große Kontingente der türkischen Armee, in vielen Kommunen sind die Bürgermeister der prokurdischen HDP unter angeblichem Terror-Verdacht abgesetzt und von der AKP-Regierung eingesetzte Zwangsverwalter haben die Rathäuser übernommen. Hier hat die HDP einige Kommunen verloren, aber wie aussagekräftig diese Ergebnisse noch sind, ist im aktuellen Ausnahmezustand im Südosten der Türkei kaum mehr zu beurteilen.

So bleibt nach diesem Wahlabend wieder nur ein paradoxes, zwiespältiges Ergebnis: Die autoritäre Herrschaft Recep Tayyip Erdogans ist selbst in Krisenzeiten weitaus stabiler, als es manche Beobachter in Europa wahrhaben wollen. Und zugleich ist es umso bemerkenswerter, dass die Opposition selbst unter höchstem Druck und höchst ungleichen Bedingungen nicht nur überlebt, sondern noch immer nur knapp hinter dem Regierungslager liegt. Zusammengenommen bedeutet all das weitere Unruhe für die Türkei. Im Südosten, wo die Gegensätze am härtesten aufeinanderprallen, könnte sich die Spannung, die auf diesem Land liegt, irgendwann unkontrolliert entladen. Aber nicht nur dort.

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