In Frankreich bewegt er sich so sicher wie in den USA und hat mehr Anekdoten parat als sonst irgendjemand in der deutschen Filmbranche: Volker Schlöndorff wird 80 Jahre alt.
Sollte jemals ein Foto von der Mondlandung auftauchen, auf dem aus einem der Raumanzüge ein Mann mit Brille herausschaut, oben nicht so viel Haare, aber an den Seiten viel und recht lang, dann ist es wahrscheinlich Volker Schlöndorff. Schlöndorff ist einer der wichtigen Vertreter des deutschen Nachkriegskinos, des Neuen Deutschen Films – aber darüber hinaus hat er mehr Anekdoten parat als sonst irgendjemand in der deutschen Filmbranche. Weil er immer überall dabei war, bei den Anfängen der Nouvelle Vague, dem Aufbruch des deutschen Kinos, Keith Richards‘ Besuchen in München und im Auto von Max Frisch. Die Sache mit dem Auto ist Legende: Ein Jaguar, den Frisch 1967 erwarb – er schenkte ihn Schlöndorff 1990, kurz vor seinem Tod, zum Dank für Schlöndorffs Verfilmung von „Homo Faber“. Aber fangen wir beim Anfang an.
Volker Schlöndorff wurde am 31. März 1939 in Wiesbaden geboren, aber da hielt ihn nichts. Schon als Kind betrieb er – welche Kinder machen so was? – seine Selbstverschickung in ein Jesuiteninternat in Vannes in Nordfrankreich. Das war vielleicht nicht immer schön und angenehm, aber wenigstens aufregender als Wiesbaden. Und für Schlöndorff führte eins zum anderen.
Seinen Banknachbarn am Lyceum in Paris zog es auch zum Kino: Bertrand Tavernier
Er blieb in Frankreich, das Abitur machte er an einem Lycée in Paris. Und dieser Schulwechsel lenkte ihn in neue Bahnen: In der Familie Schlöndorff wurde man traditionell Arzt. Der junge Volker aber schlug mehr in die Richtung seines Sitznachbarn in Paris, eines gewissen Bertrand Tavernier, dessen Familie in Paris kulturell umtriebig war, und der später Filmemacher wurde. Die Sechzigerjahre brachen bald an, Godard und Truffaut hatten die Nouvelle Vague angestoßen.
Und Volker Schlöndorff war mittendrin in dieser sich formierenden Filmbewegung, ging drei Mal am Tag ins Kino – er hing mit den anderen in der Pariser Cinémathèque herum, wo sich alle trafen, die heute Legende sind, lernte den frustrierten Fritz Lang kennen, ergatterte erste Jobs. Er assistierte Alain Resnais bei „Letztes Jahr in Marienbad“ und Jean-Pierre Melville bei „Le doulos“ und schaffte es nebenher trotzdem, ein erstes Drehbuch zu verfassen: „Der junge Törless“ nach Robert Musil. Es wurde, 1966, sein erster langer Film daraus – und der bekam dann auch gleich drei Auszeichnungen beim Deutschen Filmpreis.
Die Anekdoten hat Volker Schlöndorff in seinem 2008 erschienenen Buch „Licht, Schatten und Bewegung“ aufgeschrieben. Man könnte sagen: Er hat sich dabei nicht ins Zentrum der eigenen Autobiografie gestellt. So hat er auch seine Filme gemacht, sie sind keine persönlichen Beichten, sie bedienen sich nicht im Privaten. Das hat man ihm manchmal vorgeworfen – er sei zu sehr Beobachter gewesen, zu wenig involviert. Gerade dadurch aber hat er einen grandiosen Zeitzeugen abgegeben, und seine Filme sind direkter politisch, als viele andere Vertreter des Neuen Deutschen Films es waren. Für politisch aufgehetzte Zeiten waren sie dennoch immer zu komplex.
Für die Zusammenarbeit mit Heinrich Böll brauchte Schlöndorff einen langen Anlauf, ein erstes Projekt verlief im Sande. Zusammenkamen sie, als Böll ihm „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ schickte, wo es um die Erfahrungen mit der Boulevardpresse in Zeiten des RAF-Terrorismus ging. Inszeniert hat Schlöndorff die Geschichte einer Hausangestellten, die arglos einen Kriminellen mit nach Hause nimmt und dann etwas erlebt, was man heute als Shitstorm bezeichnen würde, zusammen mit seiner damaligen Frau Margarethe von Trotta – ein erster internationaler Erfolg. Aber fortan galt auch Schlöndorff, wie Böll, zumal die beiden als Nächstes zusammen am Episodenfilm „Deutschland im Herbst“ mitarbeiteten, als Sympathisanten des Terrors – und nicht etwa als jemand, der sich um das Funktionieren des Rechtsstaats sorgt.
Dann verfilmte er 1979 einen Teil von Günter Grass‘ Roman „Die Blechtrommel“. Oskar Matzerath, der nicht wachsen will und gegen den Nazi-Mief lärmend antrommelt, hatte in Cannes Premiere. Der Film gewann dort die Goldene Palme und danach auch noch den Oscar als bestes fremdsprachiges Werk – danach galt Schlöndorff eine Zeit lang als Nationalheld. „Die Fälschung“, mit Bruno Ganz als Reporter, der aus Libanon über den Bürgerkrieg berichten soll und dort feststellt, dass sich die Wirklichkeit seinen Vorstellungen widersetzt, wurde dann aber für fast zwei Jahrzehnte sein letzter deutscher Film. Vielleicht kamen die Zustimmung und der Ruhm zu spät, hat das giftige Klima im Lande dazu geführt, dass sein Kinoleben nun in weiten Teilen anderswo stattfand.
Als Nächstes inszenierte er Jeremy Irons als liebestrunkenen Lebemann in der Proust-Verfilmung „Eine Liebe von Swann“ (1984), dann drehte er Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“, mit Dustin Hoffman als Willy Loman und dem jungen Theaterstar John Malkovich als Biff (1985), „Ein Aufstand alter Männer“ (1987) über die Lynchjustiz in Louisiana, „Die Geschichte der Dienerin“ (1990) nach einem dystopischen Roman von Margaret Atwood über eine Zukunft, in der die wenigen fruchtbaren Frauen versklavt werden von der herrschenden Klasse in einer Diktatur. Und natürlich „Homo Faber“ (1991), nach dem Roman von Max Frisch. Der großartige Sam Shepard spielt darin Faber, der sich traumwandelnd in die eigene Tochter verliebt und in die größte Krise seines Lebens hineintaumelt. (Einige dieser Filme, „Eine Liebe von Swann“, „Tod eines Handlungsreisenden“ und „Homo Faber“, sind pünktlich zum 80. Geburtstag in einer Box bei Studiocanal erschienen.)
Nach seiner amerikanischen Lebensphase ist Volker Schlöndorff nach Potsdam gezogen und hat, nach der Wende, das Studio Babelsberg wieder flottgemacht, zehn Jahre lang hat er es geleitet, und er hat weiter gedreht, nach wie vor umgetrieben von der deutschen Geschichte. Schlöndorffs einstweilen letzter Spielfilm lief vor zwei Jahren auf der Berlinale, er führte ihn zurück zu Max Frisch – „Rückkehr nach Montauk“ ist eine Art Fortführung von Frischs sehr autobiografischer Novelle über ein Wochenende in Long Island. Der Schriftsteller im Film ist dann aber nicht unbedingt Max Frisch, sondern vielleicht doch ein ironisches Selbstporträt Schlöndorffs, was dann ungewöhnlich persönlich wäre. Aber er bleibt sich selbst schon treu, mit dem nächsten Film – seit Jahren bereist Schlöndorff Afrika, und nun macht er einen Dokumentarfilm, zusammen mit den Agrarwissenschaftler Tony Rinaudo. Da geht es dann wieder um den Zustand der ganzen Welt.
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