Selenski führt – doch der zweite Wahlgang ist Poroschenkos große Chance

Wenige Minuten vor der Schließung der Wahllokale am Sonntagabend tauchte Wladimir Selenski vor Journalisten in seinem Wahlkampfstab im Zentrum Kiews auf. Auf den Favoriten der Präsidentschaftswahl in der Ukraine hatten sie stundenlang gewartet und in seiner Zentrale gegeneinander Pingpong gespielt.

Der Sieger durfte dann gegen den 41-jährigen Politikneuling antreten, der sich souverän und betont entspannt gab. Als Selenski dann auf der Bühne stand, gab es Scherze und Seitenhiebe auf den amtierenden Präsidenten Petro Poroschenko, der mit dem Slogan “Es gibt nur einen Präsidenten” ins Rennen gezogen war. Es gibt nur einen Sieger, hatte Selenski darauf zu sagen.

Selenski kann es sich leisten, entspannt zu sein. Laut Prognosen von zwei Fernsehsendern führt der jüdischstämmige Comedian, der erst vor vier Monaten seine Präsidentschaftsambitionen öffentlich machte. Mehr als 30 Prozent der wahlberechtigten Ukrainer könnten demnach für Selenski gestimmt haben.

Poroschenko könnte nun eine zweite Chance bekommen

Den amtierenden Präsidenten Petro Poroschenko und seine große Konkurrentin, Ukraines altgediente Populistin Julia Timoschenko, ließ er weit hinter sich: Poroschenko soll auf rund 18 Prozent, Timoschenko auf 14 Prozent kommen. Timoschenko hatte allerdings am Sonntagabend behauptet, sie habe den zweiten Platz errungen, das hätten Nachwahlbefragungen ihrer Kampagne belegt.

Wenn die Prognosen tatsächlich die Ergebnisse der Wahlkommission vorgreifen, hatte Selenski mit seiner ungewöhnlichen Plattform Erfolg: diffuse politische Ziele, kombiniert mit einer sympathischen und in zwei Sprachen geführten Social-Media-Kampagne gegen Ukraines politisches Establishment. Offenbar konnte der Russisch-Muttersprachler Selenski sowohl im ukrainischsprachigen Westen des Landes, als auch im linguistisch durchmischten Süden und Osten der Ukraine punkten – während Poroschenko mit seiner auf ukrainischen Patriotismus, Religion und Respekt vor der Armee zielenden Kampagne vor allem den Westen des Landes im Blick hatte.

Für Ukraines Politik bedeutet das den unvermeidlichen zweiten Wahlgang. Keiner der Kandidaten konnte erwartungsgemäß die 50-Prozent-Marke knacken. So überraschend es klingt, für den amtierenden Präsidenten ist das nicht die schlechteste Nachricht: Petro Poroschenko könnte nun eine zweite Chance bekommen, obwohl er noch vor wenigen Wochen als der große Verlierer galt. Laut Meinungsumfragen schien ihm der Weg in die Stichwahl versperrt.

„Ukrainer wollen einfach ein neues Gesicht“

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Der Comedian Wolodymyr Selensky ist erst 41 Jahre alt und bisher ein politischer Nobody. In Umfragen liegt er weit vorne. Dazu WELT-Korrespondent Christoph Wanner aus Kiew.

Quelle: WELT

Nun ist alles anders. Denn wofür genau sein Herausforderer Selenski politisch steht, ist noch immer unklar, das konnte sich Poroschenko zunutze machen. Gewiss bewegt sich Selenski im Mainstream der ukrainischen Politik und setzt sich für weitere europäische Integration und Korruptionsbekämpfung ein. Doch seine Bereitschaft zu Gesprächen mit dem Kremlchef Wladimir Putin über die abtrünnigen Gebiete in der Ostukraine könnte vielen zu denken geben.

“Dumaj”, “denk’ nach”, ein Wahlkampfmotto der Poroschenko-Kampagne, könnte sich nun als ein großes Problem für Selenski erweisen. Wer im ersten Wahlgang aus Protest für den Comedian stimmte, könnte jetzt kalte Füße bekommen und sich für den amtierenden Präsidenten entscheiden. Dieser will nun offenbar auf die Selenski-Wähler zugehen: Er verstehe, warum sie unzufrieden seien, sagte Poroschenko in seiner Rede. Am 10. April wird die Wahlkommission das amtliche Ergebnis des ersten Wahlgangs veröffentlichen. der zweite Wahlgang soll am 21. April stattfinden.

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