Wie Politiker die Notenbanken zugrunderichten

Nicht jeder Deutsche glaubt an Gott, aber jeder an die Bundesbank, lautet eine klassische Beschreibung der Rolle der deutschen Notenbank. Ihren legendären Ruf begründete sie einst vor allem durch ihre Unabhängigkeit. Der Zentralbankrat in Frankfurt entschied unbeeindruckt und unbehelligt von politischen Erwägungen jeder Regierung.

Und der Erfolg fand Nachahmer. Auf dem Prinzip der Unabhängigkeit gründet heute nicht nur die Europäische Zentralbank (EZB), dieses Prinzip gilt auch als eherne Regel, als Basis der modernen globalen Wirtschaftsordnung.

Doch nun bröckelt diese Bastion. Politiker in diversen Staaten attackieren ihre unabhängigen Notenbanken und versuchen, die Geldpolitik unter ihre Kontrolle zu bringen: in den USA, in Japan und Indien, und in der Türkei. Die Währungshüter sollen nicht länger nur der Preisstabilität verpflichtet sein, sondern die jeweilige Finanzpolitik unterstützen.

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Das ist gefährlich für Währungen und Wirtschaftssysteme, für Sparer und Verbraucher. Nur die EZB steht noch fest auf dem Boden ihrer Verfassung und muss bisher keinen direkten politischen Eingriff fürchten. Aber selbst sie gerät unter Druck.

„Die Unabhängigkeit der Zentralbanken steht zunehmend unter Beschuss“, sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Derzeit wird vor allem um die Herrschaft in der amerikanischen Notenbank (Fed) gerungen. US-Präsident Donald Trump kann zwei freie Posten im Gouverneursrat besetzen und hatte sich dafür zwei Kandidaten ausgesucht, die sich weniger durch Sachkenntnis als durch Hörigkeit gegenüber dem Präsidenten auszeichnen.

Herman Cain, der inzwischen abgelehnt hat, studierte einst Mathematik und leitete später eine Pizzakette. Stephen Moore ist immerhin Ökonom, für den Präsidenten dürfte ihn aber vor allem auszeichnen, dass er die zurückliegenden Zinserhöhungen der Fed für falsch hält und sie zurückdrehen will.

Stiglitz empfiehlt andere Geldpolitik der EZB

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Der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz empfiehlt der EZB eine andere Geldpolitik. Hierdurch könnte das Wirtschaftswachstum in der EU angekurbelt werden. In der Vergangenheit sei die EZB zu sehr auf die Inflation fokussiert gewesen.

Quelle: WELT/ Christoph Hipp

Das hat Trump immer wieder lauthals gefordert. Allein schon solche Forderungen vonseiten der Politik wären noch vor Kurzem als unerhörter politischer Eingriff in die Unabhängigkeit der wichtigsten Notenbank der Welt gewertet worden. Plötzlich sind wütende Präsidenten-Tweets gegen die Fed zum Teil einer neuen Normalität geworden.

Auch außerhalb der USA hat sich das Klima gewandelt. In Japan tauschte Premierminister Shinzo Abe kurz nach seinem Amtsantritt Anfang 2013 den Notenbankchef aus, der seither eifrig Geld druckt und die Schuldenpolitik der Regierung widerspruchslos mitträgt.

In Indien drängte Premierminister Narendra Modi erst vor wenigen Wochen den obersten Währungshüter zum Rücktritt, weil er sich weigerte, die Geldschleusen zu öffnen. Und in der Türkei entmachtete Präsident Recep Tayyip Erdogan die Zentralbank Stück für Stück und zwang sie, einer kruden Theorie zu folgen, wonach Zinssenkungen die Inflation bekämpfen.

Die Finanzkrise wirkt bis heute nach

„Ein Grund für die Angriffe auf die Unabhängigkeit der Notenbanken ist, dass viele in der Finanzkrise ihr Mandat überschritten haben“, sagt Krämer. Und Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank pflichtet ihm bei. „Die Notenbanken haben im Zuge der Finanzkrise nicht mehr nur als reine Inflationsbekämpfer gewirkt, sondern als Finanzstabilisatoren“, sagt er. „Die Bilanzen der Notenbanken haben sich dadurch enorm ausgeweitet und die Zentralbanken haben sich angreifbar gemacht, denn Unabhängigkeit bedeutet auch Ferne von politischen Entscheidungen.“

Die größte Bedrohung ist allerdings der global wachsende Populismus, der Politiker an die Macht bringt, die es mit den Grundsätzen der Verfassung und der garantierten Unabhängigkeit einer Notenbank nicht allzu genau nehmen. „Für populistische Staatslenker wie Donald Trump ist eine unabhängige Notenbank ein Machtfaktor, den es zu bekämpfen oder zumindest in seine Schranken zu weisen gilt“, sagt Schmieding.

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Weichenstellung

Die Populisten führen dabei ironischerweise auch ein Demokratie-Argument ins Feld: Sie fragen, warum ausgerechnet die Geldpolitik als eine der wichtigsten Stellschrauben des Wirtschaftssystems an ungewählte Technokraten ausgelagert werden soll.

Das wesentliche Argument dafür bestätigen sie aber mit ihrem eigenen Handeln. Nur eine unabhängige Notenbank gewährleistet, dass die Geldpolitik nicht von Politikern ausgenutzt wird, um kurzfristige Ziele zulasten der langfristigen Stabilität zu erreichen.

Wenn sich die Politik heute auf die Notenbanken einschießt, steckt dahinter auch ein Ablenkungsmanöver. „Viele Politiker missbrauchen ihre Zentralbanken als Sündenbock für die eigenen wirtschaftspolitischen Fehler“, sagt Marcel Fratzscher, Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

Das geschieht inzwischen auch in Europa. Die rechtspopulistische Regierung in Italien hat bereits angekündigt, der Banca d’Italia durch Umbesetzungen an der Spitze einen „Neustart“ verpassen zu wollen. Fratzscher kritisiert, dass auch in Deutschland zu viele Politiker, Medien und Ökonomen der EZB die Schuld für nationale Fehler der Wirtschaftspolitik gäben.

US-Notenbank ist in viel größerer Gefahr

„Die EZB hat Europa und Deutschland wiederholt vor einer viel tieferen Krise bewahrt“, sagt der Ökonom. „Nicht die EZB gefährdet mit ihrer Geldpolitik ihre eigene Reputation and Effektivität, sondern es sind die nationalen Regierungen, die sich weigern, die notwendigen Reformen der Währungsunion, wie die Banken- und Kapitalmarktunion sowie kluge Fiskalregeln, umzusetzen.“

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Holger Schmieding hält es dennoch für unwahrscheinlich, dass die EZB in ähnliche Bedrängnis geraten kann wie die Fed. „In den USA entscheidet eine Regierung über die Fed, im Euro-Raum sind es 19 Regierungen“, sagt er. Die Hürde, den Maastricht-Vertrag zu ändern und die Unabhängigkeit der EZB zu beschneiden, sei viel höher als in den USA. „Die EZB ist eindeutig die unabhängigste Notenbank der Welt.“

Viel größere Sorgen macht er sich um die Fed. Denn der US-Präsident steht mit seiner Attitüde nicht allein. „Trump und die Linksdemokraten mögen sich über alles Mögliche streiten, aber in einem Punkt sind sie sich einig: die unabhängige Fed ist aus ihrer Sicht eine Gefahr.“

Auch diverse Präsidentschaftskandidaten der Demokraten wollen sie zum Erfüllungsgehilfen ihrer Finanzpolitik machen. Es sei daher nicht völlig undenkbar, dass die US-Politik die gesetzlich garantierte Unabhängigkeit der Fed eines Tages einschränken werde.

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„Absolute Mist-Show“

Wohin das führen kann, zeigt das Beispiel Türkei. Die ständigen Eingriffe des Präsidenten in die Geldpolitik haben zu einer galoppierenden Inflation, zu einem Wertverfall der Lira und zu einer tiefen Rezession geführt. Vielleicht müssen aber erst solche Erfahrungen gemacht werden, bevor Politiker den Wert einer unabhängigen Notenbank wieder erkennen

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