Judo: Ratlos in Tokio

Der Judoverbands-Präsident Peter Frese aus Wuppertal gehört zu den Funktionären, die ihren Sport tatsächlich noch selbst gemacht haben. Mit mäßigem Erfolg zwar, wie er selbst behauptet, weil diese ganzen westdeutschen Meisterschaften, dritten Plätze bei nationalen Titelkämpfen und wenigen Nationalkader-Einsätze, die er in den Achtzigerjahren gesammelt hat, natürlich nicht für den ganz großen Athletenruhm stehen. Aber das Herz eines Kämpfers besitzt er noch. „Kämpfen ist geil“, sagt er. Er würde es sicher immer noch tun, wenn er nicht mittlerweile 65 Jahre alt wäre und die Arbeit an der Spitze seines DJB zu absolvieren hätte. Und sein Fachwissen greift tief, weshalb seine Analyse des deutschen Abschneidens bei der WM im Nippon Budokan von Tokio auch eine gewisse Kraft hatte. Umständliche Fragen nach der Bilanz unterbrach er freundlich und sagte: „Machen wir mal auf den Punkt: Zufrieden bin ich nicht.“

Es ist eine ziemlich bunte Judo-WM gewesen, die an diesen Sonntag mit dem Mixed-Team-Wettbewerb zu Ende geht. 143 Nationen waren am Start, 828 Sportler, und die Medaillen verteilten sich hinter den dominierenden Japanern auf 24 Länder, auch auf solche, die nicht zwingend mit Judo in Verbindung gebracht werden. Israel um Beispiel feierte zum ersten Mal einen Weltmeister in dem Kampfsport, weil sich Sagi Muki aus Netanya in der Gewichtsklasse bis 81 Kilo durchsetzte.

Kleinere politische Scharmützel gab es auch bei den Duellen, die eigentlich nach den Regeln der feinen japanischen Art ablaufen, also mit Verbeugungen vor und nach dem Kampf und Ruhe auf der Matte. Der Ägypter Mohamed Abdelaal handelte sich einen Rüffel seines Außenministeriums ein, weil er besagtem Muki nach dem Halbfinale nicht die Hand geben wollte. Und als der Koreaner Guham Cho im Viertelfinale der Bis-100-Kilo-Männer den Japaner Aaron Wolf aufs Kreuz gelegt hatte, zeigte er demonstrativ auf das Wappen seines National-Judoanzugs. Musste das sein? Die Regierungen von Japan und Südkorea sind gerade tief zerstritten, letztlich wegen Japans anfechtbarer Aufarbeitung seiner Besetzung Koreas von 1910 bis 1945. Das sonst zurückhaltende Tokioter Publikum reagierte empört. Und Cho, als Weltmeister angereist, gewann danach nichts mehr.

Einmal Bronze, das ist es aus deutscher Sicht

In all diesen Turbulenzen ist von den Deutschen nicht viel zu sehen gewesen. Sie waren dabei, aber meistens schnell wieder raus. Auch am Samstag, dem letzten Tag der Einzelkämpfe, gab es für den DJB keinen überraschenden Ausreißer nach oben. Johannes Frey vom JC 71 Düsseldorf verlor im Achtelfinale der Klasse über 100 Kilo gegen den Südkoreaner Minjong Kim, der später Bronze gewann. Für Jasmin Külbs vom 1. JC Zweibrücken war in der zweiten Runde der Klasse über 78 Kilo gegen die Weltranglistendritte Larisa Ceric aus Bosnien-Herzegowina Schluss. Es blieb also bei der einen Bronzemedaille, die Martyna Trajdos aus Hamburg in der Konkurrenz bis 63 Kilo eingebracht hatte und dem einen siebten Platz des nach einer Verletzung zurückgekehrten Weltranglisten-Fünften Eric Ressel (81 Kilo).

Nur zwei Finalrundenteilnahmen bei einem Kader, in dem Leute standen wie der Weltmeister von 2017, Alexander Wieczerzak (81 Kilo), oder die beiden angesehenen 78-Kilo-Frauen Anna-Maria Wagner und Luise Malzahn – das fand Peter Frese zu wenig. Außerdem passte das nicht zu der Ansage von Sportdirektor Ruben Goebel, welche dieser auch im Namen seiner Bundestrainer Richard Trautmann (Männer) und Claudiu Pusa (Frauen) vor der WM gemacht hatte: Ein bis zwei Medaillen pro Geschlecht seien das Ziel.

Es mangelt an Siegeswillen

Was tun im letzten Jahr vor Olympia nach einem solch mageren Ergebnis? Zornig werden? Alles in Frage stellen? Die eigene Belegschaft mit wilden Vorwürfen überziehen? Peter Frese neigt nicht dazu, seinen Sport nur nach Medaillen zu bemessen. Er hat selbst erlebt, welchen Wert Judo für ein Leben haben kann. In der Wuppertaler Stadtzeitung hat er mal gesagt: „Ohne meinen Sport wäre ich vielleicht ein Gauner geworden. Ich wusste in meiner Jugend nämlich nicht, wohin mit meiner Kraft.“

Frese betrachtete also jeden Einzelfall und besprach mit den Trainern, was zu tun sei in den nächsten Monaten bis zu den Spielen. „In manchen Gewichtsklassen, gerade bei den jungen Leuten, haben wir noch Kraftdefizite“, sagt Frese – aus seiner Sicht logisch: „Wir arbeiten mit sauberen Mitten, dann kannst du nicht so schnell Kraft aufbauen.“ Andere im DJB-Kader brauchen auf einem ganz anderen Feld Nachhilfe: „Wir müssen im mentalen Bereich den Siegeswillen noch stärker ausprägen“, sagt Frese. Wieder andere fielen mit taktischen Schwächen auf, weil sie Führungen nicht über die Zeit brachten und dann noch verloren. Freses Fazit mit Blick auf Olympia: „Ein Jahr lang Ärmel aufkrempeln und an individuellen Schwächen arbeiten.“ Der Präsident glaubt an seine Leute.

Das internationale Niveau ist noch einmal deutlich gestiegen. Das überrascht die Deutschen

Peter Frese hat auch gestaunt im Nippon Budokan. „Das ist die stärkste WM, die ich je erlebt habe, vom technischen Niveau her, vom Konditionellen und von der Willensstärke her.“ Die internationalen Trainingslager des Weltverbandes scheinen sich auszuzahlen. Außenseiter lernen dabei von den Besten und wachsen zu Siegkämpfern, die selbst nach den Medaillen greifen. „Hier gab es Kämpfe in der ersten, zweiten Runde, die hätten auch Finals sein können.“ Peter Frese will damit sagen: Es gibt keine Selbstläufer und keine leichten Gegner mehr. Er wusste das eigentlich vor der WM schon und konnte trotzdem nicht verhindern, dass seine Leute teilweise überrascht wurden.

„Ich ärgere mich auch über mich“, sagte der Judo-Präsident Peter Frese deshalb zum Abschluss seiner WM-Bilanz, „dass ich unseren Leuten nicht so deutlich gemacht habe, wie stark das Niveau ist.“ Das wird ihm vor den Olympischen Spielen nicht nochmal passieren.

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