Die Begeisterung der CDU für Österreichs bisherigen und wohl auch nächsten Bundeskanzler Sebastian Kurz ist ziemlich neu. Sie musste wachsen, ja der Partei geradezu eingeredet werden. Es war zunächst die CSU, die sich schon vor drei, vier Jahren höchst angetan von dem jungen Politiker aus dem Nachbarland zeigte.
Da war die CDU noch skeptisch. Denn Kurz, damals Außenminister seines Landes, stand in der Flüchtlingspolitik für einen Kurs, der gegen die damalige CDU-Chefin Angela Merkel gerichtet war. Kurz wurde neben Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán zum Antagonisten der deutschen Kanzlerin. Dass ihn die streitsüchtige CSU hofierte, gereichte ihm in der CDU ebenfalls nicht zum Vorteil. Dass er dann auch noch Kanzler in einer Koalition mit der FPÖ wurde, fand ebenfalls keinen großen Anklang.
Eigentlich outete sich nur Gesundheitsminister Jens Spahn von Anfang an als absoluter Kurz-Fan, er war bei seinem Wahlsieg 2017 in Wien sogar dabei. Spahn gratulierte ihm auch jetzt als einer der Ersten zum Erfolg. „Mit Mut zu Haltung, klarem Profil und dem Willen zur politischen Führung ist ein beeindruckender Wahlerfolg der Volkspartei gelungen“, schrieb er am Sonntagabend auf Twitter. Damit gab er den Ton vor, andere folgten bald mit ganz ähnlichen Worten.
Freudestrahlend trat am Montag nach den Gremiensitzungen Generalsekretär Paul Ziemiak vor die Presse im Adenauerhaus. Er wolle „mit einer sehr guten Nachricht beginnen“, sagte er und gratulierte „ganz herzlich im Namen der ganzen CDU Deutschlands zu diesem großen Triumph“. Verbunden wissen wollte er dies „mit sehr herzlichen Grüßen an Sebastian Kurz“. Dem sei es gelungen „mit einer klaren Sprache, mit einer klaren Haltung, mit einer unglaublich guten Kampagne so viele Menschen zu mobilisieren“. Aus der Parteizentrale der CDU blicke man „mit einer besonders guten Stimmung auf die Wahlergebnisse unserer Schwesterpartei in Österreich“.
Von Sebastian Kurz lernen heißt siegen lernen
Die CDU will von Kurz’ Erfolg lernen. Es gebe viele Dinge, „die wir mit großem Interesse sehen“, sagte Ziemiak. Zwar gab er zu, dass die Umstände nicht eins zu eins auf die Situation der CDU übertragbar seien, gleichwohl wagte er eine Analyse, die sich die deutschen Konservativen offenbar zu Herzen nehmen wollen.
Kurz’ Art, Politik zu machen, „erstens über seine Ziele zu sprechen und nicht in irgendeiner negativen Art und Weise über den politischen Gegner“, sei Grund für den Erfolg. „Die ÖVP hat Kurs gehalten und eine klare Botschaft gesendet, wofür die ÖVP steht.“ Auch technisch sei der Wahlkampf sehr, sehr gut gewesen, „modern und digital“.
Auch CDU-Vize Armin Laschet lobte Kurz’ Strategie. „Er hat seine Themen gehabt, er ist bei seinen Themen geblieben, er hat nicht den politischen Gegner beschimpft, sondern für seine Ideen geworben“, sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident. „Ich glaube, das brauchen wir: klare Ideen, kurze Sätze und prägnante Botschaften.“ Das könne auch für die CDU ein Erfolgsrezept sein. Bundesagrarministerin Julia Klöckner pries ebenfalls Kurz’ „klare Haltung“.
Die CDU tut so, als sei der Erfolg des jungen Politikers im Prinzip kopierbar, als seien dafür nur Haltung, Stil, einige prägnante Botschaften nötig. Dabei übersieht die Partei ein entscheidendes Detail – oder will es übersehen: die Person Kurz. Dass der Erfolg auch und gerade mit der Ausstrahlung, dem Charisma und der Persönlichkeit des Kandidaten zu tun hat, wird geflissentlich verschwiegen.
Kurz war aber als Kanzler bereits beliebt, er provozierte nicht aufgrund eigener Fehler eine Neuwahl, sondern indem er der in den Ibiza-Skandal verstrickten FPÖ die Koalition aufkündigte. Das spielt bei der Bewertung durch die CDU quasi keine Rolle, es wird allenfalls von „den Umständen, die zur Neuwahl führten“ gesprochen.
Es ist bezeichnend, dass CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer relativ neutral auf den Sieg der ÖVP reagierte. „Herzlichen Glückwunsch an die Freunde der Volkspartei und Sebastian Kurz zu diesem historischen Wahlsieg!“, twitterte sie. Kramp-Karrenbauer dürfte bewusst sein, dass es nicht ausreichen wird, wenn die CDU sich nun die ÖVP zum Vorbild nimmt. Die CDU kann vielleicht Methoden von Kurz übernehmen, aber deshalb wird aus ihr, Kramp-Karrenbauer, auch kein 33 Jahre alter Mann.
Was aber, wenn die Union nicht nur Kurz’ Strategie kopieren will, sondern auch ihn selbst? Kramp-Karrenbauers Konkurrent um das Amt des Parteichefs, Jens Spahn, käme das sicher zupass. Sollten der CDU-Chefin weitere Fehler unterlaufen und sollte ihre Beliebtheit weiter leiden, könnte der Sieg des Österreichers ihm helfen.
Einstweilen hat die CDU zu tun, seine Strategie, etwa die „klare Sprache“, zu lernen. Am Montag kündigte Ziemiak eine neue Kommunikationsstrategie an. Wie sie, die offensichtlich eine Reaktion auf die Pannen im Zusammenhang mit dem Anti-CDU-Video des YouTubers Rezo ist, aussieht, sagte er allerdings nicht. Nachfragen hätten das Rätsel lösen können, doch nach vier Wortmeldungen blockte der CDU-Sprecher weitere bereits ab. Bis dahin war es nur um Österreich und die beiden Leitanträge für den Parteitag Ende November gegangen.
Diese ließ die Partei – ganz klassisch – vor den Gremiensitzungen an einige Medien durchsickern. In einem Antrag zur „Sozialen Marktwirtschaft von morgen“ bekennt sich die CDU dazu, Steuern und Abgaben zu senken. Sie will den Solidaritätszuschlag vollständig abschaffen und den Einkommensbetrag, ab welchem der Spitzensteuersatz von 42 Prozent fällig wird, anheben. Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sollen sinken, die Werbungskostenpauschale für Steuerzahler steigen.
Was die „klare Sprache“ betrifft, sind die beiden Leitanträge verbesserungsfähig. Der zweite ist überschrieben mit: „Digitalcharta Innovationsplattform: D. Verteilte Systeme und offene Schnittstellen für die digitale Zukunft“. Das spricht nur Spezialisten an.
Bei der Lektüre des Antrags zur Marktwirtschaft, der sich mit Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung und Klimaschutz beschäftigt, braucht der Leser ebenfalls Fantasie. So heißt es etwa: „Wenn ein marktgerechter Preis international nicht zügig umgesetzt werden kann, sind Grenzausgleichsmaßnahmen zu prüfen und unter Umständen bei Verhandlungen künftiger Handelsabkommen zu berücksichtigen.“
Die CDU will also über Importzölle für Produkte ohne CO2-Preis nachdenken. Sie sagt es nur nicht. Ist das schon die Sprache jener „modernen Kampagne“, die die CDU von Sebastian Kurz gelernt hat?
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