Ein politisches Erdbeben erschüttert Europa seit gut zehn Jahren. Es ließ Premiers und Präsidenten stürzen, zerstörte altehrwürdige Parteien für immer – und brachte so viele neue Bewegungen hervor wie wohl nie zuvor in der europäischen Demokratiegeschichte. Aber die deutschen Volksparteien reagieren so, wie man es aus Zeichentrickfilmen kennt. Sie schließen die Augen und glauben, dass das Beben dann nicht mehr existiert.
Wagten sie einen klaren Blick, würden sie sehen, dass die Menschen in Europa mit dem klassischen Dualismus Schwarz gegen Rot nichts mehr anfangen können. Sie würden sehen, dass die Volksparteien nur dort überleben, wo sie sich neu erfinden.
Sie würden sehen, dass es in anderen Ländern längst Ideen und Konzepte gibt, wie man mit Mut, Klarheit und Ideen die liberale Demokratie nicht nur verteidigen, sondern auch fit für das 21. Jahrhundert machen kann. In Frankreich hat ein Ex-Sozialdemokrat mit Charisma und Führungswillen eine rechtsnationalistische Präsidentin verhindert.
In Dänemark hat eine couragierte Sozialdemokratin die Wahl gewonnen – und die Rechtsnationalen abstürzen lassen. Und in Österreich zeigte ein Liberal-Konservativer am Sonntag einmal mehr, wie man eine alte, sklerotische Volkspartei neu erfindet, auf fast 40 Prozent führt – und die Rechtsnationalen, die noch vor drei Jahren vom Kanzleramt träumten, zum Gespött werden lässt.
Die Beispiele zeigen auch: Nicht Beliebigkeit führt zum Ziel, sondern Klarheit. Macron gewann als glühender Europäer, Kurz mit Klartext zu Migration und Integration, die Dänin Mette Frederiksen mit dem klaren, aber modernen Bekenntnis zum sozialen Kern der Partei. SPD und CDU hingegen laufen dem Zeitgeist hinterher – und verlieren sich dabei selbst. Schlimmer: Sie enttäuschen dabei das Vertrauen ihrer Wähler, indem sie gegen ihren Markenkern handeln, egal ob bei Hartz IV, Energiewende oder in der Flüchtlingskrise.
Wir erleben in Europa gerade einen faszinierenden Prozess der kreativen Zerstörung. In diesem Prozess gibt es Risiken – es steht nichts weniger auf dem Spiel als die freiheitlich-liberale, westliche Demokratie. Aber es gibt auch viel zu gewinnen: eine lebendige, streitbare, freie und demokratische Welt. Eine politische Welt, so dynamisch wie unsere Zeit.
Welche Rolle die Volksparteien darin spielen, haben sie in Deutschland selbst in der Hand. In anderen europäischen Ländern – wie Frankreich – sind sie nur noch im Geschichtsbuch groß.
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