Denn neben allen inhaltlichen Fragen – und da müsste es in allen Varianten große Kompromissbereitschaft auf allen Seiten geben – stellt sich für die potenziellen ÖVP-Partner die Frage, welche strategischen Ziele man erreichen will und auch, welche Risiken man eingeht.
Dass die letzten beiden Koalitionen der ÖVP unter Kurz zerbrochen sind und der Koalitionspartner – die SPÖ 2017 und die FPÖ nun – jeweils anschließend in gehörige Turbulenzen geriet, könnte abschreckend wirken. Allerdings: Auch die ÖVP muss nun auf stabile Verhältnisse bedacht sein. Eine dritte vorzeitig beendete Koalition könnte der Partei und ihrem Chef doch schaden.
FPÖ zunächst mit sich selbst beschäftigt
FPÖ-Parteichef Norbert Hofer hatte den ganzen Wahlkampf darum geworben, die Koalition mit der ÖVP nach der Wahl wieder aufzunehmen. Doch dann kam das Wahlergebnis. Von Parteigranden – auch von Hofer – war jetzt zu hören, dieses Ergebnis sei kein Auftrag für eine Fortsetzung der Koalition.
Die FPÖ wird wohl zunächst einmal mit sich selbst beschäftigt sein. Schnell machten Gerüchte die Runde, Hofer könnte den Sitz des Dritten Nationalratspräsidenten übernehmen und spätestens bei einer neuerlichen Bundespräsidentschaftskandidatur den Parteichefsessel an Herbert Kickl übergeben. Vor allem aber muss die Partei den Umgang mit Ex-Chef Heinz-Christian Strache regeln. Ein im Raum stehender Rauswurf wäre für die Partei eine Belastungs-, wenn nicht Zerreißprobe.
Etliche Knackpunkte
Eine Partei in einem solchen Krisenzustand hat wohl tatsächlich geringe Chancen, wieder in Regierungsverantwortung zu kommen. Bessere Aussichten gibt es wohl nur, wenn die Causa Strache rasch, also noch während der laufenden Koalitionsverhandlungen, nachhaltig unter Dach und Fach gebracht werden kann. Der Partei müsste es zudem gelingen, die ÖVP davon zu überzeugen, dass die Reihe an nach extrem rechts kippenden „Einzelfällen“ aufhört, inklusive der Berührungspunkte zu den Identitären.
Koalitionsvarianten: ÖVP hält sich bedeckt
Im Hintergrund sollen Sondierungsgespräche für mögliche Koalitionen bereits laufen. Die ÖVP hält sich jedoch weiterhin bedeckt, sie lässt sich keine Tendenz entlocken.
Und dann müsste die Personalie Kickl geklärt werden, denn Kurz hat mehrmals erklärt, dass er ihn nicht als Minister akzeptieren will. Die FPÖ-Chancen würden wohl steigen, wenn sich die Koalitionsgespräche mit den anderen potenziellen Partnern ziehen und man mehr Zeit bekommt, sich in der Partei neu aufzustellen. Inhaltlich wäre eine ÖVP-FPÖ-Koalition wahrscheinlich die einfachste für die Volkspartei, der eingeschlagene Weg könnte mehr oder weniger direkt fortgesetzt werden.
SPÖ und Grüne: Wenig Themenüberschneidung mit ÖVP
Deutlich schwieriger wird das bei SPÖ und Grünen, bei denen es jeweils eine Vielzahl von Themen quer durch alle Materien gibt, wo die Positionen geradezu diametral zu denen der ÖVP stehen. Beide Parteien würden wohl fordern, dass auch einige Beschlüsse der ÖVP-FPÖ-Regierung – etwa der Zwölfstundentag – rückgängig gemacht oder zumindest abgeschwächt werden. Wie dabei und in allen anderen Bereichen Kompromisse aussehen können, bei der keine Seite ihr Gesicht verliert, wird wohl in Verhandlungen nicht ganz einfach herauszufinden sein.
Grüne denken über Koalition nach
Offiziell beraten die Grünen erst am Dienstag über das Wahlergebnis. Aus den Ländern sind jedoch bereits Stimmen über eine mögliche Koalition mit der ÖVP zu hören.
Ganz abgesehen von inhaltlichen Positionen müsste nach der politischen Polarisierung der vergangenen zwei Jahre eine neue Vertrauensbasis geschaffen werden. Auch das stellt – vor allem beim Verhältnis ÖVP und SPÖ – eine hohe Hürde dar.
Opposition weniger riskant?
Für SPÖ und Grüne stellt sich schließlich die Frage, was eine Regierungsbeteiligung strategisch bringen könnte – oder ob die Oppositionsrolle nicht einfacher und vor allem weniger riskant wäre. Bei der SPÖ gibt es zumindest Erfahrungswerte: In den vergangenen zwei Jahren hieß es oft, die SPÖ habe ihre „Rolle“ als Oppositionspartei nicht gefunden. Auch das Wahlergebnis legt einen solchen Schluss nahe. Als Juniorpartner der ÖVP kann man sich auf folgende Wahl aber wohl nur profilieren, wenn man auch rote Kernanliegen in der Regierung durchbringt.
Matthias Schrom (ORF) über Koalitionsvarianten
ORF2-Chefredaktuer Schrom über das Wahlergebnis und mögliche Koalitionsvarianten.
Ähnlich verhält es sich freilich bei den Grünen. Schon am Wahlabend hieß es dort, man werde sich nicht billig verkaufen: „Für Kurz sind wir die Teuersten“, sagte Ex-EU-Mandatar Michel Reimon.
Überzeugungsbedarf bei Basis und Wählern
Eine Regierungsbeteiligung muss aber vor allem auch der Parteibasis und den Wählerinnen und Wählern schmackhaft gemacht werden. Bei der Wahltagsbefragung sprachen sich sowohl bei der SPÖ als auch bei den Grünen nur genau 32 Prozent der Wähler für eine Koalition mit der ÖVP aus. Es muss also Funktionären wie Wählern glaubhaft versichert werden können, dass in einer Koalition so wichtige Anliegen umgesetzt werden können, dass es sich lohnt, in anderen Bereichen Abschläge hinzunehmen.
Ein im Wahlkampf einige Male geäußertes Argument ist SPÖ und Grünen hingegen zumindest vorerst eher abhandengekommen: nämlich Regierungsverantwortung zu übernehmen, ja sich fast schon zu „opfern“, um eine Neuauflage von Türkis-Blau zu verhindern. Angesichts der derzeitigen Lage der FPÖ sehen alle Beobachter die Fortsetzung als eher unrealistisch an.
NEOS als drittes Rad
Neben den drei offensichtlichen Koalitionsvarianten gibt es dann auch noch NEOS, das theoretisch noch eine Zweiervariante noch zu einer Dreiervariante machen könnte – am ehesten vorstellbar in der Konstellation ÖVP-Grüne-NEOS. Das wäre zwar in Österreich komplettes Neuland und würde Koalitionsverhandlungen noch einmal komplexer machen, hätte aber für die ÖVP womöglich strategische Vorteile – mehr dazu in Wie viel Experiment will Kurz?.
Kommt man in den Koalitionsgesprächen auf gar keinen grünen Zweig, bleibt der ÖVP noch der Ausweg Minderheitsregierung, die manche Experten auch immer wieder ins Spiel bringen und auch Kurz selbst nicht ganz ausschließen wollte. Unter dem permanent drohenden Damoklesschwert Misstrauensvotum sich für jeden Beschluss eine Mehrheit suchen zu müssen wäre aber alles andere als eine stabile Regierung. Insofern ist bei gescheiterten Koalitionsverhandlungen erneut mit Neuwahlen zu rechnen – und mit Zuständen wie in Spanien und Israel, wo es seit fast Jahren ein politisches Patt mit aneinandergereihten Urnengängen gibt.
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