Roboterautos: Wie VW von Amerika lernen will

Victorville gilt als das Woodstock des autonomen Fahrens: Ein Festival in der Wildnis, das ein neues Zeitalter begründen sollte. Mit „love, peace and music“ hatte die Urban Challenge 2007 jedoch wenig zu tun. Statt freier Liebe suchten die Studenten freie Steckdosen in der Wüste. Sie wollten die Software ihrer selbstfahrenden Autos tunen, um als erster eine 100 Kilometer lange Strecke zu absolvieren. Besonders friedlich war das Rennen nordöstlich von Los Angeles auch nicht, schließlich hatte die Forschungsagentur des US-Verteidigungsministeriums (Darpa) hohe Preisgelder für die besten autonomen Wagen ausgelobt. Zudem sollten 50 Stuntfahrer für Durcheinander auf dem simulierten Stadtkurs sorgen. Doch niemand hatte auf dem Schirm, dass der Geist in der Maschine Halluzinationen kriegen kann: Mitunter haute die künstliche Intelligenz den Rückwärtsgang rein, weil sie Angst vor dem eigenen Schatten hatte.

Es dauerte Jahre, um die Fahrroboter von diesem Trip wieder runterzubringen. Nur langsam konnten sich die Computer selbstlernend aus dem Zwangskorsett ihrer Programmzeilen befreien. Hinter den Kulissen ging das Forschungsrennen also weiter, das sich Autohersteller, Risikokapitalgeber und Internet-Firmen liefern. Stand heute liege die europäische Autoindustrie zurück, konstatieren die Analysten der Ptolemus Consulting Group, die sich auf Automatisierung spezialisiert haben. „Führend ist Waymo, bei den Autoherstellern liegen die US-Firmen General Motors und Ford vorne. Ihre europäischen Gegenspieler versuchen mit Hilfe von Partnerschaften relevant zu bleiben“, stellt Forschungsdirektor Andrew Jackson nach einer umfangreichen Studie fest. Auch Volkswagen sei spät dran mit dem autonomen Fahren. Die kleine autonome VW-Flotte, die in Hamburg ihre neun Kilometer langen Runden ziehe, reiche bei Weitem nicht aus, um an die Millionen Testkilometer der US-Konkurrenten heranzukommen.

Automobilindustrie Todsichere Wette oder gefährlicher Größenwahn?
Teslas Robotaxi-Pläne

Todsichere Wette oder gefährlicher Größenwahn?

Tesla-Chef Elon Musk will schon im nächsten Jahr eine Million selbstfahrende Autos auf der Straße haben. Warum das ein äußerst riskanter Plan ist.   Von Joachim Becker


Dabei waren die Startvoraussetzungen 2007 in Victorville durchaus vergleichbar: General Motors und Ford hatten schon 2005 eigene autonome Fahrzeuge in die Wüstenrennen geschickt. Bei der Urban Challenge 2007 erreichte der F-250 Pick-up Truck mit dem Victor Tango Team den dritten Platz. Als erster rollte der VW Passat „Junior“ über die Ziellinie, den Volkswagen gesponsert hatte. Doch Sebastian Thrun, der Leiter des führenden Stanford-Teams, heuerte nicht in Wolfsburg, sondern bei Google an. Die Kalifornier spulten beständig autonome Testkilometer ab, während Volkswagen weitgehend tatenlos zusah. Einige Victorville-Heimkehrer fanden zwar eine neue Heimat in Wolfsburg. Doch Leute, die mit ihrem VW Passat reden, galten selbst in der VW-Konzernforschung als Freaks.

„Lange Zeit war es ganz ruhig um das Thema, dann ging es 2015 steil nach oben“, erinnert sich Sebastian Thrun. Der Silicon-Valley-Vordenker hält das Thema autonomes Fahren mittlerweile für „überhypt“. Jedes Jahr werden weitere Milliarden in die Entwicklung der Maschinen-Chauffeure gepumpt. Die Unternehmensberatung Roland Berger erwartet, dass die Hard- und Software für Robotertaxis in den nächsten zehn Jahren einen Marktwert von gut 60 Milliarden Euro erreichen wird. Bis 2025 sollen in Europa, den USA und China 2,5 Millionen On-demand-Shuttlebusse unterwegs sein – die Mehrzahl fahrerlos. Doch die teuren Roboter werden erst dann Geld verdienen, wenn sie den menschlichen Fahrer komplett ersetzen können.

VOLKSWAGEN in Portimao

Alljährlich treffen sich VW-Konzernforscher bei der „Vehicle Dynamics Convention“ in Portugal, um Prototypen ans Limit zu treiben.

(Foto: Volkswagen)

Entsprechend skeptisch war anfänglich auch VW-Konzernboss Herbert Diess. Erst unterschätzte er die schnellen Fortschritte bei Computer-Chips und der künstlichen Intelligenz, dann sollte Mitte des Jahres alles ganz schnell gehen: Grundlage ist eine Allianz und ein Technologie-Tausch mit Ford. Volkswagen stellt die Elektro-Plattform MEB zur Verfügung, während die Amerikaner ihre Expertise beim autonomen Fahren einbringen. Seit 2013 setzt Ford autonome Fusion Hybrid Limousinen mit Lidarscannern auf dem Dach bei Flottentests ein. Der zweitgrößte US-Autobauer hat nie sein Ziel aus den Augen verloren, 2021 die ersten selbstfahrenden Serienfahrzeuge auf den US-Markt zu bringen. Die 2018 gegründete Ford Autonomous Vehicles LLC wird über fünf Jahre mit 3,4 Milliarden Euro ausgestattet.

Trumpfkarte von Ford ist die Entwicklerbude Argo AI, die sich auf Robotik und künstliche Intelligenz spezialisiert hat. Volkswagen beteiligt sich mit einer Milliarde Euro an dem Start-up und bringt die Münchner Audi-Tochter AID mit 200 Experten für autonomes Fahren mit ein. In Pittsburgh, der amerikanischen Zentrale von Argo AI, treffen die Wolfsburger auf alte Bekannte: Bryan Salesky, der das Unternehmen leitet, war bei der Urban Challenge für die Software-Entwicklung des siegreichen Tartan Racing Teams verantwortlich (Stanford kam wegen eines Fahrfehlers letztlich auf Platz zwei). Auch Peter Rander, der operative Argo-Kopf, ist Alumni des National Robotics Engineering Center von der Carnegie Mellon Universität in Pittsburgh.

VOLKSWAGEN in Portimao

Auf der Rennstrecke nehmen die Sicherheitsfahrer die Hände vom Steuer, um die Computersysteme bei Vollgas zu testen.

(Foto: Volkswagen)

Ford und Volkswagen müssen sich sputen, denn künstliche Intelligenz wird beim autonomen Fahren den Ausschlag geben.

Firmen wie Tesla sowie finanzstarke Start-ups aus China und Kalifornien wollen sich mit agiler KI-Entwicklung einen Vorsprung verschaffen. Die alte Autowelt hält mit einer neuen Generation von Computer-Kids dagegen. Alljährlich treffen sich etwa die Volkswagen-Konzernforscher in Portugal, um dort Prototypen ans Limit zu treiben. Dass die Testwagen bei der „Vehicle Dynamics Convention“ nicht von Hand gelenkt werden, versteht sich von selbst.

Schon von Weitem ist in Portimao das Wimmern von Reifen an der Haftungsgrenze zu hören. Doch die meisten Experten kriegen nur indirekt mit, was auf der Rennstrecke 60 Kilometer westlich von Faro passiert. Sie hocken in der offenen Werkstatt und starren gebannt auf die Zahlenreihen, die über ihre Laptops flimmern. Einen festen Kurs gibt es nicht, die Autos mit Kofferräumen voll von Rechnern sollen ihren Weg selbst finden. Vor allem müssen sie in Echtzeit mitkriegen, wie sich der Reibwert der geschundenen Gummis auf dem Asphalt ändert.

„Die Herausforderung ist, so ein System auf Basis von künstlicher Intelligenz zu validieren“, sagt Alexander Hitzinger, „unsere Algorithmen zum autonomen Fahren werden sowohl auf diesen innovativen Ansätzen als auch auf programmierter Nachvollziehbarkeit beruhen.“ Hitzinger kennt sich auf Rennstrecken aus. Er war bis 2016 bei Porsche für die Langstrecken-Weltmeisterschaft in Le Mans zuständig. Nach einem Abstecher bei Apple in Kalifornien landete der 48-jährige Anfang des Jahres als Vorstand für Entwicklung bei Volkswagen Nutzfahrzeuge in Wolfsburg. Sein Hauptjob besteht aber darin, alle Konzernaktivitäten rund um die Roboterautos zu koordinieren. Sie sollen als kompakte Transporter starten: Demnächst wird auf Basis des Elektro-Bullis ID Buzz der Prototyp eines autonomen Taxis entstehen.

„Etwa ab Mitte des kommenden Jahrzehnts erwarten wir den Beginn der kommerziellen Nutzung selbstfahrender Systeme im gewerblichen Bereich“, sagt Hitzinger. Allzu viel Zeit bleibt nicht, um den Vorsprung von Google/Waymo aufzuholen. „Durch den Deal mit Ford kann Volkswagen in dem Entwicklungsrennen deutlich aufholen“, schreiben die Experten von Ptolemus Consulting. „Der gute Marktzugang von Volkswagen in China verspricht eine reiche Dividende für die autonomen Fahrzeuge“, erklärt Andrew Jackson, „vorausgesetzt die Behörden erlauben Flottentests in China.“ Mit der Marktmacht von Ford in den USA und Volkswagen in Europa sowie China habe das Selbstfahrsystem eine gute Verbreitungsgrundlage – auch wenn die Software von Google/Waymo ausgereifter sei. Die Kalifornier haben früher die richtigen Schlüsse aus dem Freak-Treffen in Victorville gezogen.

Automobilindustrie VW und Ford stürzen sich gemeinsam ins Ungewisse

Autokonzerne

VW und Ford stürzen sich gemeinsam ins Ungewisse

Die beiden Autohersteller arbeiten künftig bei E-Autos und autonomem Fahren zusammen. Eine klassische Win-Win-Kooperation – wenn sie denn gelingt.   Von Max Hägler und Angelika Slavik, Hamburg


Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*