Die Außenseiter haben die Favoriten geschlagen: Mit 53,06 Prozent setzen sich Saskia Esken, die Abgeordnete aus Baden-Württemberg, und Norbert Walter-Borjans, der ehemalige Finanzminister aus NRW, in der Stichwahl durch, ihre Rivalen kamen auf gut 45 Prozent. Formell werden Esken und Walter-Borjans am 6. Dezember auf einem Parteitag in Berlin gewählt, auf dem die Delegierten ziemlich sicher dem Votum der Basis folgen werden. Der Parteitag soll auch die bisherige Bilanz der ungeliebten großen Koalition bewerten. Und nach dem Willen der neuen Parteispitze dürfte diese Bewertung negativ ausfallen, das haben beide im Vorfeld deutlich gemacht.
Die Installierung des Duos bedeutet das vorläufige Ende einer besonders bleiernen Phase, die für die deutsche Sozialdemokratie mit dem Rücktritt der Vorsitzenden Andrea Nahles Anfang Juni begann. In den letzten drei Monaten gab es bis dahin noch nicht dagewesenen innerparteilichen Wettbewerb um die neue Parteispitze, die erstmals aus zwei Köpfen bestehen soll.
Die Bewerberduos stellten sich in 23 Regionalkonferenzen der Basis vor, etwa 20 000 Menschen kamen zu den Veranstaltungen, etwa 270 000 sollen via Livestream zugeschaut haben.
Esken und Walter-Borjans haben erst spät im August als letztes Duo ihre Kandidatur öffentlich gemacht. Angeblich dauerte es lange, bis sich der Mann aus Nordrhein-Westfalen überzeugen ließ, anzutreten. Offenbar brauchte Saskia Esken einige Hartnäckigkeit und Geduld.
Wer ist Saskia Esken?
Die 58-jährige gebürtige Stuttgarterin ist 1990 in die SPD eingetreten, mit ihrer Familie lebt sie inzwischen im Nordschwarzwald, bei Calw. Mitglied des Bundestages wurde Esken 2013, sie zählt zur Parlamentarischen Linken. Zu Beginn der Legislaturperiode gehörte sie zur SPD-Delegation der Arbeitsgruppe, die über die Digitalagenden mit der Union verhandelte, ansonsten meldete die sie sich eher selten zu Wort.
Vor ihrem Einzug in den Bundestag engagierte sich Esken in der Kommunalpolitik, etwa als stellvertretende Vorsitzende des Landeselternbeirats (2012-14). Auf diese Funktion beruft sich die Sozialdemokratin, wenn sie von sich sagt, sie könne die SPD „wieder zusammenführen“ – eine Fähigkeit, die andere Genossen anzweifeln. Fraktionsintern konnte sie bislang kaum reüssieren, als Vizechefin der Südwest-SPD wurde sie nach nur zwei Jahren abgewählt. Die Mutter dreier erwachsener Kinder gibt sich dennoch unerschrocken: „Angst ist einfach nicht mein Ding.“
Wer ist Norbert Walter-Borjans?
Als Sohn einer Schneiderin und eines Tischlers wuchs der heute 67-Jährige in Düsseldorf auf. Walter-Borjans, Spitzname Nowabo, studierte Informatik und Volkswirtschaft und promovierte. In den achtziger Jahren machte er in der Staatskanzlei des damaligen NRW-Ministerpräsidenten Johannes Rau (SPD) Karriere und stieg zum Regierungssprecher auf.
Weitere Stationen: Staatssekretär im Saarland und Wirtschaftsdezernent und Stadtkämmerer in Köln. Von 2010 bis 2017 amtierte Walter-Borjans an Rhein und Ruhr als Finanzminister. Der Ankauf von Steuerdaten und die resolute Verfolgung von Steuerhinterziehern brachte dem Fiskus Milliarden ein und ihm einen größeren Bekanntheitsgrad. Walter-Borjans, der mit seiner Familie in Köln lebt, gehörte zu den frühen Kritikern der Agenda 2010 des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder.
Was wollen Esken und Walter-Borjans?
Das Duo kritisiert die SPD-Finanzpolitik der letzten beiden Jahrzehnte und plädiert für einen radikalen Umbau des deutschen Steuersystems. „Umverteilung für die Vielen“ ist der Titel eines Papiers, das sie vorgelegt haben: Sie schlagen nicht nur die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer vor, sondern auch eine Bodenwertsteuer anstelle der Grundsteuer sowie die Streichung von Unternehmensprivilegien bei der Erbschaftssteuer. Der Solidaritätszuschlag soll wegfallen, Grundfreibeträge steigen.
„Wir wollen die Systemfragen angehen und nicht Reparaturarbeiten machen“, sagt Esken. Walter-Borjans fordert ein „Jahrzehnt der Investitionen“ in Höhe von 500 Milliarden Euro. Die Summe soll in die Kommunen fließen, in Bildung, die Bahn, die Digitalisierung und den Klimaschutz.
Das wird allerdings nur dann stattfinden, wenn es ein Ende der „Schwarzen Null“ gibt, die der unterlegene Konkurrent und Bundesfinanzminister Olaf Scholz hartnäckig verteidigt. Der bisherige Vizekanzler wäre Umfragen zufolge zwar einer, der in direkten Vergleichen andere Kanzlerschaftsaspiranten der CDU ausstecken könnte, nur wird er es nun schwer haben: Walter-Borjans hat erklärt, dass die SPD nicht unbedingt einen eigenen Kanzlerkandidaten braucht.
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