„Noch weit entfernt von dem, was wir erreichen wollen“

Der Tag begann mit derselben Debatte, mit der der vorangegangene endete: über die Schutzmasken. In der Corona-Krise lassen sich bestimmte Themen inzwischen recht verlässlich antizipieren. So bilden die Beschlüsse anderer Länder in Europa oft die Vorlage für entsprechende Verordnungen oder Überlegungen auch in Deutschland. Nachdem Österreich am Montag das Tragen von Schutzmasken in Supermärkten zur Pflicht erklärt hatte und am Dienstag mit Jena die erste deutsche Stadt nachzog, wurde also den ganzen Tag über intensiv über Sinn und Unsinn von Schutzmasken gesprochen.

So fühlte sich offenbar auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwochmorgen aus ihrer heimischen Quarantäne heraus bemüßigt, in der virtuellen Konferenz mit den Unionsministern im Bundeskabinett das Thema noch einmal anzusprechen. Dabei äußerte sie sich ablehnend, was die Pflicht zum Maskentragen angeht. Laut WELT-Informationen soll die Kanzlerin die inzwischen oft selbst genähten Stoffteile als „Virenschleudern“ bezeichnet haben, seien diese doch innerhalb kürzester Zeit durchfeuchtet. Sie warnte zudem davor, dass die Menschen durch das Tragen einer Maske verleitet werden könnten, den verordneten Mindestabstand von 1,5 Metern zu unterschreiten.

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Die Maskenpflicht war dann auch in der Schaltkonferenz zwischen den Ministerpräsidenten der Länder und Merkel am Nachmittag ein Thema. Abgesehen von den Zweifeln, die am medizinischen Nutzen herrschen, fürchten die Ministerpräsidenten und der Bund, die allesamt mit der Beschaffung von Schutzkleidung für das medizinische Personal beschäftigt sind, dass es bei einer Maskenpflicht zu noch mehr Engpässen kommt. Man werde keine Pflicht ausrufen, sagte denn auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Man bewerte es „zurückhaltend, dass mit dieser Art von Masken ein durchschlagender medizinischer Erfolg erreicht wird“.

Die Beschlüsse, die Merkel und die Ministerpräsidenten fassten, sind aus Sicht vieler Bürger bitter. Gleichwohl kommen sie wenig überraschend. Zunächst sollen die bisherigen Maßnahmen über die Osterfeiertage bis zum 19. April verlängert werden. Ausführlich widmete sich die Runde dem Thema Reisen an den Ostertagen. Dazu heißt es in dem Beschlusspapier: Die Bürger „bleiben angehalten, auch während der Osterfeiertage Kontakte zu anderen Menschen außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstandes gemäß den geltenden Regeln auf ein absolutes Minimum zu reduzieren“.

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Zudem werden die Bürger aufgefordert, „generell auf private Reisen und Besuche auch von Verwandten zu verzichten“. Dies gelte auch im Inland und für überregionale tagestouristische Ausflüge, heißt es in dem Papier weiter. Die Regelung kommt jedoch nicht als Verpflichtung daher. Die Menschen seien „angehalten“, so formuliert es das Papier – und so formulierte es auch die Kanzlerin. Allerdings schafften hier ja alle Länder dadurch Tatsachen, dass sie touristische Übernachtungen untersagen. Zudem kontrollieren einige Länder die Binnengrenzen oder verbieten wie Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern das Übersetzen auf die Inseln.

Merkel sagte: „Eine Pandemie kennt keine Feiertage.“ Die Begründung für die Verlängerung der Maßnahmen lieferte Merkel in der nicht ganz störungsfreien Audio-Pressekonferenz aus ihrer Quarantäne, in der sie ihr Statement wegen Tonproblemen wiederholen musste, ebenfalls mit: „Wir sind von dem, was wir erreichen wollen, noch weit entfernt.“ Man sehe leichte Wirkungen der Maßnahmen. Jeder der politisch Verantwortlichen würde gerne sagen, dass man die Kontaktbeschränkungen erleichtern könne. Am Dienstag nach Ostern würden die Maßnahmen neu bewertet. Maßstab sei dabei die Einschätzung des Robert Koch-Instituts und von Epidemiologen. „Wir müssen die Dinge weiter einhalten“, sagte Merkel – und dann an die Bevölkerung: „Bleiben Sie stark.“

In den vergangenen Tagen hat sich der Anstieg der Infiziertenzahlen zwar verlangsamt; jedoch ist ein Verdopplungswert von um die zehn und mehr Tage, den die Kanzlerin als Maßstab nannte, ab dem man wieder über Lockerungen reden könnte, noch längst nicht erreicht. Einige Länder nähern sich dem immerhin an. Nordrhein-Westfalen etwa zählt inzwischen neun Tage, das stark betroffene Bayern liegt aber noch bei sieben. In der Bundesregierung geht man davon aus, dass zehn, aber besser zwölf oder 14 Tage erreicht werden müssten.

Den Einsatz von Tracking-Apps, der als eine Möglichkeit genannt wird, wieder mehr Menschen rauszulassen, besprach die Runde zwar nicht; jedoch erklärte Merkel im Anschluss, dass man sich einig darin sei, den Einsatz solcher Apps nur als freiwillige Maßnahme zu machen. Falls diese aber gut funktionierten, wolle sie es empfehlen und es auch selbst anwenden. Merkel machte auch klar, dass beim Ausstieg aus den Maßnahmen nur ein gemeinsames Vorgehen denkbar sei.

„Wir wollen als Bundesrepublik Deutschland gemeinsam herausgehen. Es muss die Situation überall so sein, dass das pandemische Geschehen vom Gesundheitssystem bewältigt werden kann. Wir lassen hier keinen Flickenteppich wachsen.“ Sie könne aber keine Aussage machen, wie lange das noch dauern werde, bekannte Merkel. Grund dafür sei auch, dass die schweren Fälle länger als anfänglich gehofft in intensivmedizinischer Behandlung blieben. Merkel sprach von zwei Wochen. Zunächst war man von rund zehn Tagen ausgegangen. Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) sagte, man könne noch nicht mal sicher sein, ob man das Ziel einer Verlangsamung wirklich erreicht habe. Eventuelle Erfolge dürften durch eine frühe Lockerung nicht gefährdet werden.

Neben diesen Themen besprach die Runde, wie es um den Aufbau weiterer Klinikkapazitäten, mehr intensivmedizinischer Krankenhausbetten mit Beatmungsgeräten stehe. Auch die Situation in Pflegeheimen kam ausführlich zur Sprache. Gerade in diesen Heimen kam es zuletzt zu vielen Corona-Fällen, die häufig tödlich endeten, da die Patienten aufgrund ihres Alters oder schwerer Vorerkrankungen zu den Corona-Risikopatienten gehören. Söder sprach von einem Aufnahmestopp in diesen Heimen. Merkel fügte hinzu, dass die Bundesländer Maßnahmen träfen, damit sich nicht weitere Bewohner infizierten. Zur Entlastung der Heime sollen in den Reha-Einrichtungen mehrerer Bundesländer Menschen aufgenommen werden.

Generell bleiben gerade in den Heimen das drängendste Problem größere Schutzmaßnahmen für die Patienten und das Personal. „Wir müssen mit Nachdruck medizinische Masken besorgen“, sagte Merkel. „Daran wird verstärkt gearbeitet.“ Söder sagte: „Uns eint die tiefe Sorge um Altenheime, Pflegeheime, Behindertenheime.“ Man müsse Testmöglichkeiten in den Heimen ausbauen, Hygienechecks vornehmen, hohe Priorität genieße die Versorgung mit Schutzmasken. „Wir haben einen Bedarf, der geht eher in die Milliarden hinein als in die Hunderttausende.“

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