Bis nach den Osterferien soll an den Schulen kein Unterricht stattfinden. Wie Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vergangene Woche in der ZIB1 aber anmerkte, könne es „schon sein, dass die Schule noch deutlich länger geschlossen bleibt“. Und ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann sagte am Dienstag, dass „realistisch gesehen“ im April kein Schulunterricht mehr stattfinden werde – auch die Entscheidung über einen Termin für die Matura kündigte er erst für nach Ostern an.
In zahlreichen Zeitungsartikeln, Interviews und Blogs wurden in den letzten zwei Wochen viele sinnvolle Tipps gegeben, wie der Schulalltag zu Hause für alle Beteiligten gut zu bewältigen ist. Struktur sei besonders wichtig: Wecker stellen, nicht den ganzen Tag im Pyjama bleiben, einen Arbeitsplatz (nicht das Sofa) einrichten, an dem man produktiv ist, Lern- und Freizeit trennen.
Von Ö1 bis YouTube
Eine Übersicht über Unterrichtsmaterialien und andere Angebote gibt es auf der Website des Bildungsministeriums.
Dazu kommt eine mittlerweile fast schon unüberschaubare Menge an Onlineangeboten mit pädagogisch wertvollen Inhalten: Es gibt Lern-Apps für alle Fächer und Schulstufen. Schulbuchverlage stellen ihr Angebot gratis im Netz zur Verfügung. Kinder können digitale Rundgänge durch Museen und Zoos machen. Und auch für Experimente und Basteleien finden sich zig Anleitungen und Anregungen.
„Verwirrender Mix aus unterschiedlichen Plattformen“
Viele Schülerinnen und Schüler – und deren Eltern – sind zurzeit allerdings schon froh, wenn sie den täglichen Überblick über die Aufgaben behalten, die von Lehrenden auf die diversen E-Learning-Plattformen gestellt oder per E-Mail verschickt werden. In den Wohnzimmern stapeln sich Arbeitsunterlagen der Eltern neben Arbeitsblättern der Kinder. Und ein Anruf vom Büro kommt verlässlich dann, wenn das Volksschulkind auf dem Smartphone mit der App „Anton“ Blitzlesen übt.
„Wir ächzen unter der der Menge der Arbeitsaufträge“, so eine Mutter gegenüber ORF.at. Manche Lehrende kommunizierten per E-Mail, andere über drei verschiedene Apps. Teils müssten Arbeitsblätter online ausgefüllt, teils ausgedruckt, ausgefüllt und eingescannt hochgeladen werden. Für ihre elfjährige Tochter sei das alleine nicht zu schaffen. In der AHS-Klasse habe es bereits Proteste der Eltern gegeben.
Tippen mit dem Zehnfingersystem habe sein Sohn in der Digitalen Grundbildung gelernt, erzählt ein Vater, auf das nun stattfindende digitale Lernen von zu Hause aus sei er aber überhaupt nicht vorbereitet. „Am Anfang der zweiten Woche haben wir entdeckt, dass der Geografielehrer seine Arbeitsblätter auf eine andere Plattform stellt als die anderen Lehrer“. Sein Sohn, der eine AHS-Unterstufe besucht, sei völlig verzweifelt gewesen, weil die drei Arbeitsaufträge der ersten Woche zu diesem Zeitpunkt bereits als abgelaufen angezeigt wurden.
Von einem „verwirrenden Mix aus unterschiedlichen Plattformen, von denen mindestens eine immer nicht funktioniert“, berichtet eine weitere Mutter gegenüber ORF.at. Sie fühle sich überlastet, da im Homeoffice der gleiche Output verlangt werde wie zuvor an einem Arbeitstag im Büro. Erschwerend komme hinzu, dass sie ihr Notebook mit ihrer Tochter teilen muss.
Benachteiligung durch Krise verstärkt
Und dann sind da noch jene Haushalte, in denen es gar kein Notebook gibt. Eltern, die die Unterrichtssprache nicht gut genug verstehen, um ihren Kindern helfen zu können. Familien, die durch die aktuelle Situation stärker belastet sind als andere – sei es durch einen Krankheitsfall oder durch Arbeit im Supermarkt oder im Krankenhaus. Kinder, die ihr Zimmer in der engen Wohnung mit kleinen Geschwistern teilen und keinen Rückzugsort zum Lernen haben. Alleinerziehende, die schon am Limit waren, bevor die Schulen geschlossen wurden.
„Es besteht die Gefahr, dass viele Kinder während der nächsten Wochen und Monate lernmäßig zurückgelassen werden und sich die in Österreich ohnehin hohe Bildungsungerechtigkeit vergrößert“, so Heidi Schrodt, Vorsitzende der Initiative Bildung Grenzenlos, gegenüber ORF.at.
Schrodt plädiert deshalb für ein Bündel an Maßnahmen. Besonders wichtig: „Die Heimarbeit darf auf keinen Fall in die Note einfließen.“ Das Bildungsministerium hat ja festgelegt, dass die Bearbeitung der Übungsmaterialien „vergleichbar mit einer Hausübung oder Mitarbeit“ in die Leistungsbeurteilung einfließt. Das sei nicht nur sozial ungerecht, sagt Schrodt, sondern auch insgesamt problematisch, denn die Kinder seien – „egal mit welchem sozialen Hintergrund“ – einer Situation ausgesetzt, die „völlig neu, aber auch potenziell bedrohlich ist“.
„Weltvertrauen infrage gestellt“
„Das größte pädagogische Problem der Coronavirus-Krise ist nicht die mehr oder weniger geglückte Umstellung auf E-Learning“, schrieb auch der Bildungswissenschaftler Stefan Hopmann vergangene Woche in einem Gastkommentar in der „Furche“. Das größte Problem seien „die psychosozialen Folgen, die diese Krise jetzt schon und auf absehbare Zeit für immer mehr Kinder und Jugendliche haben wird“.
Weltvertrauen und Lebenszuversicht würden gerade in extremem Ausmaß infrage gestellt, so Hopmann. „In dieser Situation auf schulischen Forderungen zu beharren verschärft mutwillig die Krisenfolgen, ganz gleich, wie gut die Umstellung mancherorts gelungen erscheint.“
„Druck herausnehmen“
Dass Lehrende im Team arbeiten, ist laut Schrodt jetzt besonders wichtig: „Sie müssten sich absprechen, wie viel Material sie jeweils zur Verfügung stellen.“ Dadurch würde verhindert, dass Schülerinnen und Schüler „mit einer Überfülle an Arbeitsmaterial zugeschüttet“ werden. Denn das sei kontraproduktiv und würde Druck in der ganzen Familie erzeugen. Genau das Gegenteil sei aber dringend notwendig: „Es muss jetzt Druck aus dem Ganzen herausgenommen werden.“
Zudem müssten Kindern, die zu Hause nicht über entsprechende technische Ressourcen verfügen, diese schnell und unbürokratisch zur Verfügung gestellt werden, so Schrodt. Weil die Unterstützung durch Sozialarbeit und Schulpsychologie jetzt ausfalle, sei es außerdem notwendig zu klären, wie diese Unterstützungssysteme den Familien weiter zur Verfügung stehen.
„Nicht die Zeit für schulischen Leistungsdruck zu Hause“
Allesamt Umstände, die Faßmann am Dienstag zu problematisieren versuchte: „Die Corona-Krise ist nicht die Zeit, schulischen Leistungsdruck zu Hause zu entfalten.“ Umgekehrt sei ein geregelter Alltag mit Zeitstruktur und Aufgaben ein wesentlicher Faktor, die Situation bewältigen zu können. Schülerinnen und Schüler aus einem „schwächeren sozioökonomischen Umfeld“ sollen nicht vergessen werden, so Faßmann. Eine Form der aufsuchenden Sozialarbeit sei wichtig.
Einen Fokus will man im Ministerium auf sozial schwächere Schüler legen. So sollen etwa Schülerinnen und Schülern ohne Zugang zu digitalen Endgeräten solche vermittelt werden. Sozialarbeiter und Schulpsychologen sollen außerdem versuchen, Kontakt mit jenen Schülerinnen und Schülern aufzunehmen, die von ihren Lehrern nicht erreicht werden können.
Ministerium: Auch Eltern brauchen Pause
Das Bildungsministerium erinnerte Ende vergangener Woche in einem Informationsschreiben an die Schulen daran, während „der Überbrückungsphase der Fernlehre“ keine neuen Lehrinhalte zu vermitteln. Die Lehrenden werden zudem aufgefordert, Arbeitsmaterialien für ihre Schülerinnen und Schüler bereitzustellen, die „in Anspruch und Umfang angemessen“ sind. Außerdem sollen die Schülerinnen und Schülern regelmäßiges Feedback bekommen – „zur Stärkung der Motivation“.
Für die Eltern findet sich in dem Schreiben ebenfalls ein Rat: „Auch Erziehungsberechtigte brauchen einmal eine Pause! Um Überforderungen zu vermeiden und den Alltag zu Hause aufzulockern, ist regelmäßige Pausensetzung auch für Sie ratsam.“
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