Die Mehrheit der Deutschen lehnt es ab, die deutsche Sprache zwanghaft zu verweiblichen. Das ergab eine Umfrage, welche die WELT AM SONNTAG exklusiv bei Infratest-Dimap in Auftrag gegeben hat. Demnach halten 56 Prozent der Bevölkerung nichts vom „Gendern“ von Begriffen durch ein großes Binnen-I, ein Gendersternchen oder einen Unterstrich in journalistischen und literarischen Texten sowie in politischen Reden. Nur ein gutes Drittel ist ganz oder eher dafür. Selbst die Frauen wenden sich mehrheitlich gegen eine „geschlechtergerechte“ Sprache (52 Prozent).
Manche Institutionen scheinen es dennoch für ihren Auftrag zu halten, gegen eine vermeintliche linguistische Benachteiligung zu kämpfen. Claus Kleber, Moderator des ZDF-„heute journals“, spricht neuerdings von „Expert – Pause – innen“. ARD-Talkshow-Moderatorin Anne Will redete in ihrer Sendung am vergangenen Sonntag demonstrativ vom „Bund der Steuerzahler – Pause – Innen“. Grünen-Chefin Annalena Baerbock variierte das dann noch einmal zum „Bund der Steuer-Innen-Zahler“.
Weil es offenbar Nachfragen irritierter Zuschauer gab, erklärte ein ARD-Sprecher der „Bild“-Zeitung: „Anne Will gendert seit Langem konsequent. Sie hat mit ihrem Sprachgebrauch zwei Tage vor dem Diversity-Tag ein Signal gesetzt und damit eine wichtige öffentliche Diskussion angestoßen.“
Der „Diversity-Tag“, der – von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – am 26. Mai begangen wurde, feiert den Wert kultureller, religiöser, ethnischer und sexueller Vielfalt. All das ist auch durch die Verfassung garantiert. „Aber die schlichte sprachliche Schönheit des Grundgesetzes reicht vielen politischen Aktivisten nicht mehr“, sagt der Kieler Verfassungsrechtler und Rechtsphilosoph Robert Alexy: „Sie wollen ihre Mitbürger durch Sprache erziehen und die Wirklichkeit durch Sprache beherrschen.“
ZDF-Talkmaster Markus Lanz sieht es ähnlich: „Die Lage einer verfolgten Minderheit in China wird keinen Deut besser, wenn man von Uigurinnen und Uiguren redet und sich dabei die Zunge verrenkt. Denn dann achten die Zuschauer nur noch auf den Versprecher und kriegen gar nicht mehr mit, worum es eigentlich geht.“ Er frage Frauen in seinem Umfeld und seine weiblichen Talkgäste immer mal wieder, ob sie sich sprachlich diskriminiert fühlten, sagt der Journalist: „Zu meiner großen Überraschung verneinen es so gut wie alle. Deshalb ändere ich auch nichts.“ Zu viele Leute seien der Meinung, man könne die Welt mit Formalismen retten. „Das ist aber Unfug“, sagt Lanz.
„Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo berichtet, dass es in seiner Redaktion seit etwa einem Jahr verstärkt Debatten über das Thema gebe, aber aus dem Kollegenkreis heraus. „Von unseren durchaus kritikfreudigen Leserinnen und Lesern hat sich nach meiner Erinnerung in 16 Jahren noch niemand darüber beschwert, dass wir nicht gendern.“ Eher werde beklagt, wenn Gastautoren auf dem Gendersternchen bestünden. Dies sei umso interessanter, als die „Zeit“ einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Leserinnen habe, sagt di Lorenzo.
Die Schriftstellerin Monika Maron ist in der Sprachfrage ähnlich kompromisslos wie Kraus. 2019 hat sie eine Online-Petition gegen den „Gender-Unfug“ initiiert, die bisher 75.000 Unterzeichner fand. „Die politische Bereinigung der Sprache ist eine geradezu diktatorische, auf jeden Fall eine ideologische Anmaßung, die nur Leute mit Hoheitsgewalt durchsetzen können: in Behörden, Rathäusern, Universitäten, öffentlich-rechtlichen Sendern“, sagt sie.
Das Argument, das ihr am häufigsten entgegengehalten werde, laute, dass die Sprache sich doch ohnehin ständig verändere. „Das stimmt“, sagt Maron: „Die Sprache verändert sich. Aber jetzt soll sie gewaltsam verändert und verunstaltet werden.“ Nach ihrer Erfahrung funktioniere Sprachpolitik nie: Das DDR-Regime habe noch so viel vom „antifaschistischen Schutzwall“ reden können, die Menschen hätten trotzdem immer nur „die Mauer“ gesagt.
Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern Sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.
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