Selten war so viel Willkür in der deutschen Rentenpolitik

Der Weg für die Grundrente ist frei. Wer trotz eines langen Erwerbslebens nur eine Minirente erhält, kann sich ab 2021 über einen Zuschuss freuen. Die große Koalition hat ihren monatelangen Streit beigelegt und will nun im Eilverfahren das Gesetz noch vor dem Beginn der Sommerpause verabschieden. Zwar mosert die Union weiter darüber, dass der Koalitionspartner die Absprachen zur Finanzierung nicht einhält.

Denn die vom Arbeitsminister ursprünglich einkalkulierten Einnahmen einer neuen Finanztransaktionssteuer wird es wohl nie geben. CDU und CSU beklagen auch zu Recht, dass die neue Sozialleistung einen gewaltigen Bürokratieaufwand für die Rentenkasse bedeutet und keineswegs nur Bedürftigen zugutekommt. Zudem können Angaben über mögliche Kapitaleinkünfte oder über die im Ausland absolvierten Arbeitsjahre von der Behörde gar nicht überprüft werden, was zum Missbrauch einlädt.

Warum die Union dennoch umgefallen ist, hat CSU-Landesgruppenchef Dobrindt in aller Freimütigkeit eingeräumt. Man wollte den Sozialdemokraten in der Sommerpause keine Gelegenheit geben, mit einem Rententhema zu punkten. Der Christsoziale hat damit ausgesprochen, worum es – nicht nur der Union – in der Rentenpolitik leider viel zu häufig in erster Linie geht: um Parteiinteressen. Die Kosten der Grundrente mögen im Verhältnis zu den gesamten Sozialausgaben mit rund 1,5 Milliarden Euro verkraftbar erscheinen.

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Jung gegen Alt

Zumal derzeit in der Corona-Krise ohnehin mit Summen hantiert wird, die schwindelerregend sind. Doch die Wohltat, die anfangs 1,3 Millionen Ruheständlern gewährt wird, wächst mit den kommenden Jahren. Vor allem aber bricht sie mit dem wichtigsten Prinzip des deutschen Rentensystems, dass sich die Höhe der Altersbezüge an den zuvor geleisteten Beiträgen bemisst. Künftig wird derjenige mit der Grundrente belohnt, der lange Zeit wenig eingezahlt hat, etwa weil er nur Teilzeit gearbeitet hat. Wer in kurzer Zeit die gleiche oder gar eine größere Summe beigesteuert hat, geht leer aus.

Die neue Sozialleistung verletzt aber nicht nur die bisher gültigen rentenpolitischen Gerechtigkeitsvorstellungen. Sie bringt auch fast nichts im Kampf gegen Altersarmut. Denn das Risiko, später auf Sozialtransfers angewiesen zu sein, ist besonders groß für Langzeitarbeitslose, Erwerbsunfähige und kleine Selbstständige. Gerade diese Gruppen bleiben bei der Grundrente außen vor. Selten war so viel Willkür in der deutschen Rentenpolitik. Das sollte Junge und Alte gleichermaßen beunruhigen.

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